Menschen shoppen am 31. Dezember in Dublins Einkaufstraße
APA/AFP/Paul Faith
Lockerung und Mutation

Irlands Spitäler am Rand des Kollapses

Irland hat im Herbst als Musterschüler im Umgang mit dem Coronavirus gegolten. Als erstes Land in Europa hatte es wegen der zweiten CoV-Welle bis Anfang Dezember einen strengen, sechswöchigen Lockdown verhängt und dadurch die niedrigste Infektionsrate Europas erreicht. Nun überholte das Land bei seinen CoV-Neuinfektionen sogar die USA und Großbritannien. Die Krankenhäuser kämpfen mit rasant steigenden Patientenzahlen und Personalnot.

Am Montag hatte das 4,9-Mio. Einwohner zählende Land die weltweit höchste CoV-Infektionsrate. Der rasante Anstieg der Neuinfektionen begann bereits Mitte Dezember. Nach dem Lockdown ließ Irland wieder mehr Freizeitaktivitäten zu – von Fitnessstudios bis zu Kinos. Auch Restaurants und Pubs, die Speisen servieren, durften öffnen. Zwar wurden diese ab dem 24. Dezember wieder geschlossen. Über die Weihnachtsfeiertage und Silvester waren aber Treffen von bis zu drei verschiedenen Haushalten erlaubt.

Diese Lockerung der Kontaktbeschränkungen sowie die zunehmende Verbreitung der britischen Virusmutation werden nun als Ursachen für die Explosion der Zahlen gesehen. Allein in der vergangenen Woche kamen laut Zahlen der Johns Hopkins University (JHU) 45.726 neue Fälle dazu. Das ist laut JHU weltweit die höchste Zahl der Neuinfektionen und mehr, als sich insgesamt zwischen März und Oktober angesteckt hatten.

Spitäler „jenseits der Belastungsgrenze“

Der Sozialwissenschaftler Sean L’Estrange am University College Dublin beschäftigte sich mit der irischen Antwort auf die Pandemie. Er kritisierte im „Guardian“-Interview die Lockerung der Beschränkungen vor Weihnachten und die fehlende Reaktion auf die steigenden Infektionen ab Mitte Dezember: „Es war rücksichtslos. Sie (die Regierung, Anm.) ignorierte die Beweise.“ Selbst der britische Regierungschef Boris Johnson habe vor Weihnachten die Regeln verschärft.

Die alarmierenden Zahlen bringen das Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazitäten. Irlands Krankenhäuser seien jetzt „jenseits der Belastungsgrenze“, so der Leiter des Irischen Gesundheitsdienstes (HSE), Paul Reid. Erstmals werden derzeit mehr als 1.700 (Stand: Dienstagfrüh) Covid-19-Patienten in irischen Krankenhäusern behandelt. Knapp 150 davon sind auf der Intensivstation – fast so viele wie zu Zeiten des bisherigen Höchststandes im Frühling vergangenen Jahres.

4.000 Beschäftigte im Gesundheitsbereich ausgefallen

In einem besonders betroffenen Spital im Nordwesten des Landes etwa mussten Ärzte am Wochenende aufgrund von Platzmangel Patienten in Krankenwagen behandeln. In diesem Spital fehlen einem Bericht der „Irish Times“ zufolge 160 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aufgrund einer CoV-Infektion bzw. wegen Quarantäne. Insgesamt fallen laut dem HSE deshalb derzeit 4.000 Beschäftigte im Gesundheits- und 1.000 Mitarbeiter im Pflegebereich aus.

600 Spitalsbetten können daher aufgrund von Personalmangel nicht belegt werden. Laut aktuellen Zahlen des HSE vom Dienstag gibt es landesweit in 13 Spitälern keine Betten mehr für kritische Fälle, in drei Krankenhäusern gibt es überhaupt keine freien Betten mehr. „Ich denke, uns sind die Adjektive ausgegangen, um zu beschreiben, wie ernst die Lage ist“, sagte HSE-Chef Reid bereits vor wenigen Tagen. Das Ausmaß sei „beispiellos“, sagte auch der irische Chefepidemiologe Philip Nolan. Laut der Irish Hospital Consultants’ Association verdoppelt sich derzeit die Zahl der Krankenhauseinweisungen jede Woche. Ihr Chef, Alan Irvine, sprach von einem „nationalen Notfall“.

Der irische Primeminister Micheal Martin
Reuters/ Olivier Hoslet
Regierungschef Micheal Martin verteidigte das Vorgehen der Regierung

Regierung verteidigt Vorgehensweise

Irlands Premierminister Martin verteidigte die Vorgehensweise der Regierung: „Wir akzeptieren unsere Verantwortung, aber wir haben auf alle Wellen effektiv geantwortet.“ Aber die Kombination aus gestiegenen Kontakten und der neuen Virusvariante hätten den „perfekten Sturm“ bewirkt. Die Regierung hatte bereits Ende Dezember die Notbremse gezogen und für mindestens einen Monat einen weiteren Lockdown verordnet. Auch die Schulen bleiben geschlossen.

Die Sorge vor der britischen Virusmutation ist aber groß. Der Austausch zwischen Großbritannien und Irland im Reise- und Güterverkehr ist groß. Und die neue Variante hat sich auch schon stark in Irland verbreitet, wie aktuelle Stichproben zeigen. Zuletzt seien 45 Prozent der zusätzlich überprüften Positivtests auf die neue Virusvariante zurückzuführen, so die Regierung. Bei den Stichproben in der Woche bis zum 3. Jänner seien es 25 Prozent gewesen und davor nur neun Prozent.