Fahnen vor der Hauptuniversität Wien
ORF.at/Roland Winkler
Begutachtungsfrist endet

Unireform erntet Kritik von allen Seiten

Am Freitag endet die Begutachtungsfrist für die Novelle des Universitätsgesetzes. Die Reform soll sowohl den Universitäten als auch den Studierenden zugutekommen, wie es seitens der Politik heißt. In den Augen der Betroffenen ist jedoch genau das Gegenteil der Fall, sie sehen drastische Verschlechterungen für Studierende wie auch für Lehrende. Im Vorfeld kam es daher zu einem Aufschrei und vehementen Protesten.

Die neue Reform sehe „Unterstützungsleistungen von Seiten der Universitäten vor, die Studierenden dabei helfen sollen, ihr Studium von Beginn an gut zu planen, sodass sie es auch tatsächlich im Optimalfall in Regelstudienzeit abschließen können“, heißt es in dem Dokument des Wissenschaftsministeriums zu den „Eckpunkten der UG-Novelle“. Derzeit sei das nur bei sechs Prozent der Bachelor-Studien der Fall.

Erreicht werden soll ein Abschluss in Regelstudienzeit etwa durch die Einführung einer Mindeststudienleistung bei Bachelor- und Diplomstudien. Zukünftig sollen innerhalb der ersten zwei Jahre 24 ECTS-Punkte erbracht werden müssen. „Gelingt“ das nicht, erlischt die Zulassung für dieses Studium. Die Reform soll mit dem neuen Studienjahr 2021/22 wirksam werden.

Eine Demonstration der Initiative „Bildung brennt“ gegen die geplante Reform des Universitätsgesetzes in Linz.
APA/Kerstin Scheller
Trotz Schneetreibens kam es in einigen Bundesländern diese Woche zu Protesten von Studierenden und Lehrenden wie hier in Linz

Das „Gelingen“ dürfte jedoch nicht nur von der eigenen Motivation abhängen, sondern von mehreren Faktoren, wie die aktuelle Studierendensozialerhebung zeigt. So arbeiten 65 Prozent aller Studierenden durchschnittlich rund 20 Stunden die Woche. Davon gibt bereits jetzt ungefähr die Hälfte an, Schwierigkeiten mit der Vereinbarkeit von Studium und Beruf zu haben. Dazu kommt: 7,5 Prozent der Studierenden haben Kinder unter 25 Jahren.

ECTS-Vorgaben

Die Studienpläne sind so konzipiert, dass mit 60 absolvierten ECTS-Punkten pro Studienjahr das jeweilige Studium in Mindeststudienzeit abgeschlossen wird. Für den Abschluss eines Bachelor-Studiums sind 180 Punkte nötig. Ein ECTS-Punkt bedeutet umgerechnet einen Arbeitsaufwand in Höhe von 25 bis 30 Stunden.

Kritik an steigendem Leistungsdruck

Die Novelle würde folglich Lebensrealitäten der Studierenden außer Acht lassen, so die Kritiker und Kritikerinnen. Die Arbeiterkammer (AK) fordert etwa vielmehr „Maßnahmen für eine Verbesserung der Studienbedingungen, insbesondere für jene, die sich ein Vollzeitstudium nicht leisten können“.

Auch seitens der Protestbewegung „Bildung brennt“, die sich angesichts der Novelle formierte, heißt es, dass sich die Situation für all jene, die keine finanzielle Unterstützung haben, durch den steigenden Leistungsdruck zusätzlich verschlechtere.

Bildung für alle gefordert

Die UG-Novelle würde daher zu einer „Elitarisierung und Verknappung des Gutes Bildung“ führen, wie man gegenüber ORF.at sagte. Nur ein „guter und freier Bildungszugang“ könne eine „befreite, offene, kritische, solidarische, respektvolle und vielfältige Gesellschaft schaffen“. Und das sei schließlich das Ziel.

Hierbei dürfe es keine Ausgrenzung von Personengruppen geben: „Es sollte keine Rolle spielen, wo sie herkommen, welcher gesellschaftlichen Gruppe sie angehören, wie viel Geld sie besitzen, wie ihre sozial-ökonomische Situation oder wie der Bildungsstand ihrer Familie ist.“

Laut Studierenden-Sozialerhebung sind Studienanfängerinnen und Studienanfänger, deren Eltern ein höheres Bildungsniveau aufweisen, an den Hochschulen nach wie vor überrepräsentiert. Und der Anteil des eigenen Erwerbseinkommens ist umso höher, je niedriger der formale Bildungsstand der Eltern ist.

Bild zeigt den Eingangsbereich der Hauptuniversität in Wien.
APA/Georg Hochmuth
Viele, deren Eltern nicht studiert haben, sehen eine Uni auch selbst nur von außen. Andere wiederum müssen nebenbei arbeiten, um sich das Studieren leisten zu können.

Uniko begrüßt Mindeststudienleistung

Die Österreichische Universitätenkonferenz (Uniko) begrüßt jedoch die Einführung einer Mindestleistung. In einer Stellungnahme weist Präsidentin Sabine Seidler darauf hin, „dass dieser Erhöhung der Verbindlichkeit auf der anderen Seite auch verbesserte Rahmenbedingungen für das Studium gegenüberstehen“, und nennt dabei etwa die leichtere Anerkennung von Studienleistungen sowie die gerechtere Verteilung von ECTS-Punkten. Seitens des Wissenschaftsministeriums versteht man darunter die „angemessene Verteilung des Arbeitsaufwands für Studierende“.

In einer Stellungnahme des Verfassungsdienstes, die ORF.at vorliegt, wird die Umschreibung „angemessene Verteilung“ jedoch als „unklar“ zurückgewiesen. Die genaue Absicht sei „nicht zu erkennen“. Auch Leistungsvereinbarungen werden nicht „als geeignete Instrumente für die Änderungen des Wirkungsbereiches einer Universität“ erachtet.

Zudem wird die Verhältnismäßigkeit der Sperre von zehn Jahren infrage gestellt. Auf insgesamt 30 Seiten kritisiert der Verfassungsdienst nicht nur begriffliche Unschärfen, sondern äußert auch rechtliche Bedenken, was einzelne Änderungen betrifft.

Höhere Qualität „nicht das Ziel“

Günther Stocker, Assoziierter Professor am Institut für Germanistik, sieht diese Mindestleistung als „prinzipiell nicht unmöglich“, allerdings kritisiert er in einem Gastkommentar für den „Falter“ die Orientierung an Quantitäten sowie die Verschulung des Universitätssystems.

Ziel der Reform seien offensichtlich bessere Zahlen bei den Studienabschlüssen, nicht aber eine höhere Qualität des Studiums. Ein Begriff, den er in der Presseaussendung des Wissenschaftsministeriums vermisse, ebenso wie „Wissen“ oder „Reflexions- und Kritikfähigkeit“.

Eine Demonstration der Initiative „Bildung brennt“ gegen die geplante Reform des Universitätsgesetzes in Graz.
APA/Ingrid Kornberger
Auch in Graz ging man gegen die Novelle auf die Straße. Die Protestbewegung „Bildung brennt“ fordert einen freien Hochschulzugang.

„Bildung brennt“: Demos in den Bundesländern

In Linz, Innsbruck, Wien und Graz versammelten sich am Dienstag mehrere hundert Teilnehmer und Teilnehmerinnen, um gegen die Novelle zu protestieren. Zu den Protesten, mit denen man ein „Zeichen gegen die Neoliberalisierung der Hochschule und die Erhöhung des Leistungsdrucks auf Studierende“ setzen wolle, rief „Bildung brennt“ auf. Auch eine Petition der Initiative unter dem Motto „Bildung darf nicht weiter prekarisiert werden“ zählt bereits rund 23.000 Unterstützer und Unterstützerinnen.

Während die Demos von lokalen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaften unterstützt wurden, distanzierte sich die Vorsitzende der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH), Sabine Hanger (AG), von diesen. In einer Stellungnahme der ÖH gegenüber ORF.at hieß es am Freitag: „Wir arbeiten seit Langem Tag und Nacht daran, detaillierte Vorschläge gegenüber den politischen Partnerinnen und Partnern am Verhandlungstisch durchzubringen, und konnten bereits einige Verbesserungen erreichen – etwa bei der Mindeststudienleistung.“

Eine 80-seitige Stellungnahme soll dem Ministerium noch übermittelt werden, der Fokus bleibe dabei „stark auf der Reduktion der Prüfungsantritte sowie der Streichung der universitären Autonomie bei Festlegung der Beurlaubungsgründe“.

Entdemokratisierung der Strukturen?

Kritik an der Novelle formiert sich aber nicht nur bei den Studierenden, die Vertreter der Rektorate, des akademischen Mittelbaus und der Forscher, die über Drittmittel finanziert werden, sehen sich von den Plänen schwer betroffen.

Besonders die geplanten Änderungen in den Kompetenzen des Senats stoßen auf Widerstand. Der Universitätssenat setzt sich aus Vertretern der Studierenden, des akademischen Mittelbaus und der Professorenschaft zusammen und wird demokratisch gewählt. Dem Senat kommt wesentliches Mitspracherecht bei der Besetzung der Rektorinnen und Rektoren zu. Bei der ersten Wiederbestellung einer Rektorin oder eines Rektors soll es laut Entwurf nur noch einer Zweidrittelmehrheit des Universitätsrats bedürfen. Dieser wird jeweils zur Hälfe vom Senat und von der Bundesregierung besetzt und gilt als potenzielles Einfallstor für politische Interessen in die universitäre Selbstverwaltung.

Hörsaal an der Universität Wien.
APA/Roland Schlager
Nächstes Semester wieder im Hörsaal stehen? Bis zu 85 Prozent der Lehrbeauftragten hanteln sich von Befristung zu Befristung.

Die Uniko übte Kritik an den geplanten Änderungen: „Die Legitimation des Rektors oder der Rektorin muss sowohl im Senat als auch im Universitätsrat auf denselben Mehrheitsverhältnissen begründet sein, um die ausgewogene Stellung beider Gremien in der Entscheidungsfindung zu garantieren. Zudem würde die vorgeschlagene Änderung auch das Zusammenwirken der universitären Leitungsorgane und das wechselseitige Vertrauen, das die Grundlage für die erfolgreiche Leitung einer Universität darstellt, nachhaltig beeinträchtigen“, sagte Präsidentin Seidler in einer Aussendung.

Anton Tantner, Historiker und Vorstandsmitglied der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen, sieht im Gespräch mit ORF.at in der Abwertung des Senats und geplanten Änderungen in der Curriculum-Entwicklung eine „Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive“.

Kritik an Verschärfung für „Kettenverträge“

Die Interessenvertretung des akademischen Mittelbaus stößt sich aber vor allem am Paragrafen 109 des Novellenentwurfs. Diese sieht eine Änderung der „Kettenvertragsregelung“ vor, die schon bisher immer wieder kritisiert wurde. Im universitären System ist es möglich, dass Beschäftigte in größerem Umfang befristet angestellt werden. Je nach Fach und Universität betrifft das bis zu 85 Prozent der Lehrenden und Forschenden. Bisher waren diese Befristungen auf sechs Jahre bei Vollzeit- beziehungsweise acht Jahre bei Teilzeitarbeit begrenzt, konnten aber durch zwischenzeitliche Anstellungspausen umgangen werden.

„Der Zustand, wie er momentan herrscht, ist schon sehr kritikwürdig“, sagte Tantner gegenüber ORF.at, weil er andauernde Unsicherheit bei den befristeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern produziere. Die geplante Verschärfung der „Kettenvertragsregelung“, die eine Befristung auf maximal acht Jahre ohne die Möglichkeit der Verlängerung oder Umgehung vorsieht, das könne auf den ersten Blick als Versuch des Bildungsministeriums gedeutet werden, die Universitäten dazu zu bringen, die Situation für die Betroffenen zu verbessern.

„In der Praxis“, so Tantner, komme die rigorose Beschränkung, die nun im Raum steht, einem „Arbeitsverbot an der jeweiligen Institution gleich“. Sinnvoller wäre es vonseiten des Ministeriums etwa, in den regelmäßigen Leistungsvereinbarungen auf eine vermehrte unbefristete Anstellung zu drängen.

„Rückschritte in der Geschlechtergerechtigkeit“

Auch das Elise-Richter-Netzwerk sieht die geplante neue Regelung der Kettenverträge als kontraproduktiv an. Die gegenwärtigen und früheren Preisträgerinnen des an hervorragend qualifizierte Wissenschaftlerinnen gerichteten Exzellenzprogramms orten darin „Rückschritte in der Geschlechtergerechtigkeit“.

Von den Plänen zu den Kettenverträgen seien Frauen überproportional betroffen, da Drittmittelstellen für Frauen eine deutlich größere Rolle spielten als für Männer. Unter anderem solle deshalb sichergestellt werden, dass Förderungen in international evaluierten Exzellenzprogrammen mit dem Angebot einer Laufbahnstelle verbunden werden.

Befristung und Innovation

„Brachial“ nannte Klaus Kastberger, Professor für deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Leiter des Franz-Nabl-Instituts in Graz, die geplante Befristung in einem Kommentar im „Standard“. Im Gespräch mit ORF.at legte er nach: „Das ist eine Vorschlaghammerlösung.“ Die Beschränkung sei für alle befristet Angestellten von Drittmittelprojekten, die „hochinnovative Forschungsarbeit“ leisten, „existenziell gefährdend“.

Universitäten würden sich bei Projekten wie etwa der Herausgabe von wissenschaftlichen Editionen scheuen, Fixanstellungen zu vergeben, da sie nicht sicher sein könnten, ob eine langfristige Finanzierung möglich sei. Deshalb sind es oft die Forscherinnen und Forscher, die beispielsweise beim Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) Gelder für Innovative Forschung bewilligt bekommen und auch daraus ihr Gehalt beziehen.

Auf das spezialisierte Wissen dieser Forscherinnen und Forscher sei man angewiesen, man könne nicht alle acht Jahre „das Personal austauschen“. Zudem herrsche in der heimischen Universitätslandschaft eine „Kultur der Nichtkündigung“, wer einmal eine unbefristete Stelle ergattert, behält sie für lange Zeit. Die befristete Anstellung von Lehrenden sei auch eine Strategie der Universitäten, Menschen von außen in die Hörsäle zu bringen. Die Absicht hinter der Novelle versteht Kastberger so: „Offensichtlich will man Menschen im Universitätssystem nur acht Jahre für die Karriereentwicklung zugestehen.“

Vorstoß bei wissenschaftlicher Redlichkeit

Einige Vorschläge im Entwurf der UG-Novelle werden hingegen als durchwegs positiv wahrgenommen. So soll es auch im Bereich Plagiate und Ghostwriting künftig Änderungen geben, um zu garantieren, dass wissenschaftliche Leistungen nicht mehr erschlichen werden können. Zuletzt musste Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) zurücktreten, weil Plagiatsvorwürfe gegenüber ihrer Diplom- und Doktorarbeit erhoben wurden.

Der „Plagiatsjäger“ und Medienwissenschaftler Stefan Weber, der die Causa Aschbacher ins Rollen gebracht hatte, schaltete sich am Mittwochabend mit einem offenen Brief an Wissenschaftsminister Faßmann in die Debatte ein. Er forderte unter anderem eine Neuaufnahme der Begriffe „gute wissenschaftliche Praxis“ und „wissenschaftliches Fehlverhalten“ in die studienrechtlichen Begriffsbestimmungen des Universitätsgesetzes sowie die Rücknahme der Verjährungsfrist von 30 Jahren für die Möglichkeit des Widerrufs eines akademischen Grades.

„Die UG-Novelle sind die Seepocken an Unis“

Ähnlich äußerte sich der Verfassungsdienst, so heißt es in der Stellungnahme: „Die Entwurfsbestimmung hätte zur Konsequenz, dass es möglich wäre, erschlichene akademische Grade gleichsam zu ‚ersitzen‘.“ Eine Verjährung im strafrechtlichen Sinne komme hier nicht in Betracht, handelt es sich doch um ein „Dauerdelikt“.

Die Causa Aschbacher spielte auch bei der Demonstration in Wien eine Rolle. Auf einem Schild war zu lesen: „Die UG-Novelle sind die Seepocken an Unis“. (In Aschbachers Dissertation hieß es „Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsamen uns“, Anm.).