Blick aus der Zelle eines Angeklagten in den Gerichtssaal des Mafiaprozesses in Lamezia Terme (Kalabrien)
APA/AFP/Gianluca Chininea
Italien

Größter Mafia-Prozess seit Jahrzehnten

In der süditalienischen Region Kalabrien startet am Mittwoch einer der größten Mafia-Prozesse seit Jahrzehnten. Hunderte Mitglieder und Komplizen der dort beheimateten ’Ndrangheta-Mafia stehen vor Gericht. Sie müssen sich wegen Verbrechen wie Mordes, versuchten Mordes, Drogenhandels, Amtsmissbrauchs und Geldwäsche verantworten.

Es wird ein Prozess riesigen Ausmaßes: 355 Angeklagte werden von 400 Anwälten und Anwältinnen vertreten, 900 Personen sollen in den Zeugenstand treten. 58 davon gelten als Kronzeugen. Der Prozess dürfte mehr als zwei Jahre dauern. Unter den Angeklagten befinden sich auch Namen aus Politik, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft. Für rund 90 weitere Angeklagte, die sich für ein Schnellverfahren entschieden haben, ist der Prozessstart am 27. Jänner vorgesehen.

Das Verfahren findet in einem eigens dafür ausgestattetem Gebäude im kalabrischen Lamezia Terme statt. Im Visier ist trotz der hohen Zahl an Angeklagten nur einer der vermutlich hunderten ’Ndrangheta-Clans, die Familie Mancuso und ihre Handlanger. Vor Gericht steht auch Clanchef Luigi Mancuso, genannt „Der Onkel“.

Anti-Mafia-Operation in mehreren Ländern

Die ’Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt. Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffen, Geldwäsche, Menschenhandel und durch Korruption, hat große Bereiche des öffentlichen Wesens unterwandert, etwa den Gesundheitsbereich und die Müllentsorgung. Fachleute schätzen, dass die ’Ndrangheta jährlich einen weltweiten Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro macht. Außergewöhnlich ist, dass die ’Ndrangheta global tätig ist.

Gerichtssaal des Mafiaprozesses in Lamezia Terme (Kalabrien)
APA/AFP/Gianluca Chininea
Die Räumlichkeiten sind für Hunderte ausgelegt

Der Prozess ist das Ergebnis umfangreicher Ermittlungen, die im Dezember des Vorjahres im Rahmen von Italiens größter Anti-Mafia-Operation seit den 1980er Jahren zur Festnahme von 334 Personen geführt hatten. Auch in Deutschland, der Schweiz und Bulgarien kam es zu Festnahmen, darunter kalabresische Politiker wie ein Ex-Senator und der Bürgermeister einer Gemeinde in Kalabrien.

Erinnerung an Cosa-Nostra-Prozess

In Italien weckte der Großprozess Erinnerungen an 1986: Damals wurde in Palermo gegen die sizilianische Cosa Nostra prozessiert. 338 Angeklagte wurden verurteilt, die beteiligten Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino wurden später von der Mafia ermordet. Bei dem aktuellen Prozess gibt sich der Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, der bereits seit mehr als 30 Jahren unter Polizeischutz steht, kampfeslustig: Er hat sich vorgenommen, „diese erstickende ’Ndrangheta, die wirklich den Menschen den Atem und den Herzschlag nimmt“, zu zerschlagen.

Die Maxi-Prozesse gegen die Mafia sind allerdings nicht unumstritten wegen der Schwierigkeit, jedem der vielen Angeklagten ein faires Verfahren zu ermöglichen. Die Staatsanwälte argumentieren aber, die weitverzweigten Aktivitäten der ’Ndrangheta ließen sich schwerlich in vielen kleinen Prozessen verhandeln. Zudem wurde eine Überlastung des Rechtssystems durch ausufernde Einzelprozesse befürchtet.

CoV-Krise nützt Mafia

Beobachter und Beobachterinnen verweisen auf die hohe Symbolwirkung des Prozesses – dieser sei ein starkes Zeichen des Staates gegen die Mafia. Denn die Mafia ist nach wie vor lange nicht besiegt. Gerade von der Coronavirus-Krise konnte die Mafia profitieren. Laut den italienischen Sicherheitsbehörden würden die kriminellen Vereinigungen diese unter anderem zur Geldwäsche nutzen: Geld aus illegalen Geschäften werde in notleidende Unternehmen investiert, damit seien auch diese infiltriert. Nicht selten versuchten sie dabei, sich die Vermögenswerte der Unternehmen zu eigen zu machen. Zudem versuche die Mafia, über Korruption an staatliche Nothilfe zu gelangen.

Gigantischer Mafia-Prozess in Kalabrien

Die kalabrische Mafia ’Ndrangheta gilt als eine der mächtigsten kriminellen Organisationen der Welt. Am Mittwoch beginnt in Kalabrien der größte Prozess, den es bisher gegeben hat – mit über 350 Angeklagten und mehr als 900 Zeugen.

Außerdem nutzten die Clans die Notlage durch das Coronavirus demnach auch für Cyberkriminalität. Es sei unter anderem zu Angriffen auf das Gesundheitswesen gekommen. Das Druckmittel war etwa sogenannte Ransomware, mit der die Täter drohten, die Systeme der Einrichtungen lahmzulegen. In Zahlen ausgedrückt: Während von Jänner bis Oktober 2019 insgesamt 105 „kritische Infrastrukturen“ angegriffen wurden, schoss die Zahl im Zeitraum des vergangenen Jahres auf 476 Attacken in die Höhe.

Zwischen März und September des vergangenen Jahres gingen die Ermittler der Finanzpolizei Guardia di Finanza zufolge in etwas mehr als 90 Operationen gegen ’Ndrangheta, Cosa Nosta, Camorra und die Mafia in Apulien vor und nahmen dabei mehr als 1.000 verdächtige Mafiosi fest.