Coronavirus Impfstoff von AstraZeneca
Reuters
AstraZeneca-Impfstoff

Offene Fragen zu Dosis und Alter

Der CoV-Impfstoff von AstraZeneca spielt eine zentrale Rolle in Österreichs Impfstrategie. Bisher veröffentlichte Daten legen nahe, dass der Impfstoff schwere Verläufe von Covid-19 verhindern kann und sicher ist. Zudem liefern sie ein überraschendes Ergebnis: Eine geringere Impfstoffdosis scheint einen größeren Schutz vor einer Erkrankung zu bieten – was allerdings bisher nur für Menschen bis 55 Jahre nachgewiesen wurde.

Der Impfstoff steht kurz vor der Zulassung in der EU. Am 29. Jänner könnte die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) grünes Licht geben. Entwickelt wurde AZD1222 von einem Forschungsteam der britischen Uni Oxford und dem Pharmaunternehmen AstraZeneca. Anders als die beiden bereits in der Europäischen Union zugelassenen CoV-Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna handelt es sich um einen Vektorimpfstoff.

Während Biontech und Pfizer sowie Moderna auf eine neuartige Technologie setzen, sind zwei Vektorimpfstoffe bereits zugelassen – einer gegen Dengue-Fieber, ein weiterer gegen Ebola. Die Wirkweise: Ein harmloses Virus – konkret ein abgeschwächtes Schnupfenvirus, das sonst nur bei Schimpansen vorkommt – fungiert dabei als Träger, mit dem genetisches Material aus dem Coronavirus in die Zelle transportiert wird. Dort wird dann ein Prozess in Gang gesetzt, an dessen Ende die Zellen selbst das für SARS-CoV-2 charakteristische „Spike-Protein“ erzeugen. Das wiederum veranlasst das Immunsystem zu einer Reaktion. Laut AstraZeneca fördert AZD1222 nicht nur die Produktion von spezifischen Antikörpern, sondern auch die für die Immunabwehr wichtigen T-Zellen.

Mitarbeiterin in einem Forschungslabor
APA/AFP/University of Oxford/John Cairns
Forscherin an der Uni Oxford: Ein harmloses Virus wird als Träger für Erbgut von SARS-CoV-2 verwendet

Schutz vor schweren Verläufen

Anfang Dezember präsentierten die Forscherinnen und Forscher Ergebnisse aus der Phase-3-Studie im Fachmagazin „The Lancet“. Ausgewertet wurden die Daten von insgesamt 11.636 Personen, die im Vereinigten Königreich und in Brasilien an Impfstoffstudien teilgenommen hatten. 50 Prozent von ihnen hatten den Impfstoff erhalten, 50 Prozent ein Placebo.

Insgesamt 131 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer erkrankten im Beobachtungszeitraum an Covid-19. 30 von ihnen waren geimpft worden, 101 in der Placebo-Gruppe. Bei den Geimpften wurden keine schweren Verläufe verzeichnet. Aus der Placebo-Gruppe mussten zehn Personen in Spitalsbehandlung, eine starb.

Für die Ermittlung möglicher Gegenreaktionen und Nebenwirkungen wurden die Daten aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Phase-1-, Phase-2- und Phase-3-Studien herangezogen, in Summe 23.745 Personen. Die häufigsten leichten Gegenreaktionen waren Schmerzen und Schwellungen an der Einstichstelle, Fatigue, Kopf- und Muskelschmerzen sowie ein leichtes Krankheitsgefühl, leichtes Fieber, Schüttelfrost und Übelkeit. Bei einem Geimpften kam es zu einer Entzündung des Rückenmarks, die in Zusammenhang mit der Impfung stehen könnte. Eine weitere Person bekam hohes Fieber; ob sie in der Impfstoff- oder Placebo-Gruppe war, ist noch nicht geklärt. Beide Personen sind mittlerweile wieder vollständig genesen.

Halbe Dosis wirksamer als volle Dosis

Was die Schutzwirkung insgesamt betrifft, zeigt sich in den bisher veröffentlichten Daten ein überraschendes Bild. Bei Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern, die zuerst eine halbe und später die volle Dosis erhielten, lag die Wirksamkeit bei 90 Prozent. Bei jenen, die zwei volle Dosen verabreicht bekamen, betrug sie 62 Prozent. Rechnet man beide Gruppen zusammen, so hat der Impfstoff insgesamt eine Wirksamkeit von 70,4 Prozent. Ein hoher Wert im Vergleich zur Grippeimpfung – Biontech und Pfizer sowie Moderna kommen allerdings auf jeweils über 90 Prozent.

Die Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse der AstraZeneca-Studien müssen erst geklärt werden. Dass es überhaupt zur Verabreichung der halben Dosis kam, ist auf eine Panne zurückzuführen. Mene Pangalos, Vizepräsident der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, sprach von einem „glücklichen Zufall“. Anstatt die Studie abzubrechen und neu zu starten, habe man sich entschlossen, der Wirkung der halben Dosis nachzugehen.

Wirksamkeit bei Älteren auf dem Prüfstand

Laut dem Impfstoffexperten Herwig Kollaritsch hat die Sache allerdings einen Haken: In der Gruppe der Geimpften, die zunächst die halbe Dosis erhalten hatten, waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 18 und 55 Jahre alt. Großbritannien hatte dem Impfstoff bereits Ende 2020 eine Notzulassung für alle Altersklassen erteilt. Dort muss das Vakzin in zwei vollen Dosen in einem Abstand von vier bis zwölf Wochen verabreicht werden – jenes Impfschema, das in den Studien auf eine Wirksamkeit von 62 Prozent kam. Die britischen Behörden führten die Unterschiede in der Wirksamkeit nicht auf unterschiedliche Dosierungen zurück, sondern auf den längeren Zeitraum zwischen der Gabe der halben und der ganzen Dosis.

Am 12. Jänner stellte AstraZeneca offiziell einen Zulassungsantrag in der EU. Zum Inhalt ist noch nichts bekannt. Die Behörde selbst äußert sich in der Regel nicht während eines laufenden Zulassungsverfahrens. Der „Standard“ berichtete, es sei „derzeit fraglich“, ob die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) dem Impfstoff die „volle Zulassung“ gewähren wird. AstraZeneca habe Mängel bei der „belegbaren Wirksamkeit“ bei Menschen über 65, schrieb das Blatt unter Berufung auf einen „hochrangigen Experten, der in die Umsetzung der europäischen Impfstrategie eingebunden ist“.

In den im Dezember in „The Lancet“ publizierten Daten zu Phase-3-Studie finden sich Angaben zu insgesamt 1.418 Personen über 65. Auch bei den älteren Geimpften gab es keine schweren Covid-19-Verläufe. Fachleute verwiesen damals allerdings darauf, dass es weitere Untersuchungen zur Wirkung des Impfstoffs bei älteren Menschen brauche. Der Leiter der Impfstoffstudien der Uni Oxford, Andrew Pollard, sagte, es lägen Hinweise vor, dass die Schutzwirkung des Vakzins in allen Altersstufen ähnlich sei.

„Standard“: Mögliche Änderungen im Impfplan

AZD1222 ist ein Eckpfeiler der österreichischen und europäischen Impfstrategie. Die EU hat sich insgesamt 400 Millionen Dosen des Impfstoffs gesichert. Österreichs Anteil aus diesem Vertrag umfasse rund sechs Millionen Dosen, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Ende August 2020. Mehr als zwei Millionen Dosen werden allein im ersten Quartal 2021 erwartet. Sollte das Halbe-Dosis-ganze-Dosis-Schema in der EU nur für Menschen bis 55 zugelassen werden, könnte das Änderungen in Österreichs Impfplan nach sich ziehen, berichtete der „Standard“. Ursprüngliches Ziel der Regierung war es, bis Ende März die Gruppe der über 65-Jährigen geimpft zu haben.

Fläschchen mit dem Covid-Impfstoff von AstraZeneca
Reuters/Francis Mascarenhas
Der Impfstoff kann preisgünstig hergestellt werden, ist im Kühlschrank lagerbar und einfach zu verabreichen

Auch außerhalb Europas werden große Hoffnungen in den Impfstoff gesetzt. Das Vakzin ist preisgünstig in der Herstellung, bei Kühlschranktemperaturen bis zu sechs Monate haltbar und einfach in der Handhabung. Ein deutscher Infektiologe sprach gar von einem „Impfstoff für die Welt“. In den USA läuft zurzeit eine weitere große Studie zur Wirkung von AZD1222. Im April könnte der Impfstoff in den Vereinigten Staaten zugelassen werden.

Bericht: Wissenschaftler überarbeiten Vakzin

Einem „Telegraph“-Bericht zufolge wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Oxford den zusammen mit AstraZeneca entwickelten Impfstoff nun überarbeiten, damit dieser gezielt gegen die neuen Coronavirus-Mutationen eingesetzt werden kann. Gemeint sind jene Virusvarianten, die in Großbritannien, Südafrika und Brasilien entdeckt wurden. Die Wissenschaftler erstellten eine Machbarkeitsstudie zur Umgestaltung des Impfstoffs.

Auffrischen mit anderen Impfstoffen möglich?

Noch keine Studien gibt es zur Frage, ob man nach der Grundimmunisierung mit einem Impfstoff zu einem späteren Zeitpunkt mit einem anderen Impfstoff auffrischen kann. „Ich gehe aber davon aus, dass es in Zukunft so sein wird, dass man mit unterschiedlichen Impfstoffen auffrischen kann“, sagte Impfstoffexperte Kollaritsch gegenüber ORF.at. Was man allerdings nicht machen sollte, „ist ein Präparatwechsel während des Basisimmunisierungsvorganges“, so Kollaritsch. Wer beispielsweise eine erste Dosis des Biontech-Pfizer-Impfstoffes erhalten hat, muss auch die zweite Dosis mit diesem Präparat bekommen, um die volle Schutzwirkung zu erzielen.