US-Vizepräsident lehnt Absetzung Trumps per Verfassungszusatz ab

Der amtierende US-Vizepräsident Mike Pence hat eine sofortige Absetzung des Präsidenten Donald Trump über einen Zusatzartikel der Verfassung offiziell abgelehnt. In einem gestern Abend (Ortszeit) veröffentlichten Schreiben an das Repräsentantenhaus erklärte Pence, ein solches Vorgehen, das von ihm und mehreren Kabinettsmitgliedern angestoßen werden müsste, sei nicht im Interesse der Nation.

Auf Grundlage des 25. Zusatzartikels der Verfassung könnte Pence den Präsidenten mit einer Mehrheit wichtiger Kabinettsmitglieder für unfähig erklären, sein Amt auszuüben.

Erste Republikaner kündigen Votum gegen Trump an

Nach der Erstürmung des US-Kapitols in Washington kündigten erste republikanische US-Abgeordnete an, für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump stimmen zu wollen. „Ich werde für ein Impeachment gegen den Präsidenten stimmen“, sagte die Nummer drei der Republikaner im Repräsentantenhaus, Liz Cheney, gestern. Auch der konservative Abgeordnete John Katko kündigte sein Votum für eine Anklageerhebung gegen Trump an.

Die Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus, das die Demokraten dominieren, sollen Insidern zufolge frei über die Vorstöße der Demokraten zur Amtsenthebung entscheiden können. Man werde sie bei den anstehenden Abstimmungen nicht unter Druck setzen, sagten zwei Mitarbeiter der republikanischen Parteiführung in der Kongresskammer der Nachrichtenagentur Reuters.

„Das sind beides Gewissensentscheidungen“, sagte einer. Die Demokraten wollen Vizepräsident Pence per Resolution auffordern, Trump für amtsunfähig zu erklären. Sollte Pence dem wie erwartet nicht nachkommen, wird mit einem neuen Amtsenthebungsverfahren gerechnet.

Militärführung verurteilt Attacke

Trump wird wegen der Erstürmung des Kapitols vergangene Woche „Anstiftung zum Aufruhr“ vorgeworfen. In einer raren politischen Stellungnahme verurteilte sogar der Generalstab der US-Streitkräfte die Vorgänge scharf.

„Die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht geben niemandem das Recht zu Gewalt, Aufruhr und Aufstand“, schrieben US-Generalstabschef Mark Milley und seine Kollegen aus der US-Militärführung in einer gemeinsamen Stellungnahme. Im Inneren des Kapitols hätten sich Szenen abgespielt, die klar gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen hätten.

„Völlig angemessen“

Trump selbst verteidigte seine Rolle dabei. Seine Rede vor Anhängern unmittelbar vor dem Gewaltausbruch am Sitz des US-Parlaments sei völlig angemessen gewesen, sagte Trump. „Wenn Sie meine Rede lesen, und viele Leute haben es getan, und ich habe es sowohl in den Zeitungen als auch in den Medien, im Fernsehen, gesehen, sie wurde analysiert, und die Leute fanden, dass das, was ich gesagt habe, völlig angemessen war“, so Trump.

Trump sah wegen des geplanten Amtsenthebungsverfahrens auch eine große Wut im Land. Der Vorstoß der Demokraten im Repräsentantenhaus sei eine Fortsetzung der Hexenjagd gegen ihn, sagte der Republikaner.

Warnung an Demokraten

Trump nutzte auch einen Auftritt an der Mauer an der US-Südgrenze zu Mexiko für eine düstere Warnung an die Demokraten und den künftigen US-Präsidenten Joe Biden. Maßnahmen, die jetzt gegen ihn ergriffen würden, würden auf sie zurückfallen. „Der 25. Verfassungszusatz stellt null Risiko für mich dar, aber er wird zurückkommen und Joe Biden und die Biden-Regierung heimsuchen.“ Er fügte hinzu: „Seid vorsichtig, was ihr euch wünscht.“

UNO befürchtet neue Gewalt

Nun wächst die Sorge, dass es bei Bidens Angelobung am 20. Jänner wieder zu Ausschreitungen kommt. Die Vereinten Nationen warnten vor Gewalt anlässlich der Amtseinführung. UNO-Sprecher Stephane Dujarric forderte „politische Führer auf, ihre Anhänger nicht zu Gewalt zu ermutigen oder zur Gewalt anzustiften“. Die Botschaft sei „universell“ – und richte sich auch an die USA.

Nach dem Sturm auf das Kapitol rechnen die Justizbehörden in den USA mit Hunderten Strafverfahren. Staatsanwalt Michael Sherwin sagte in der Hauptstadt Washington, einzelne Täter könnten wegen Verbrechen wie „Aufruhr“ und „Verschwörung“ vor Gericht gestellt werden. Ermittelt werde wegen Taten, auf die bis zu 20 Jahre Haft stünden.

Bisher leitete das US-Justizministerium Ermittlungen gegen mehr als 170 Personen ein. Die Vorwürfe reichten von Hausfriedensbruch über Verschwörung und Aufruhr bis zu Mord, so Sherwin. Es handle sich um „beispiellose Ermittlungen“, nicht nur in der Geschichte des FBI, sondern wohl auch des US-Justizministeriums. „Das Gelände des Kapitols außen und innen ist ein Tatort.“ Bisher seien 70 Anklagen erhoben worden.