Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Helmut Fohringer
Bis zu 100 Verdachtsfälle

Mutation wohl schon ‚breitflächiger‘ im Land

Die Verdachtsfälle auf die britische Mutation B.1.1.7 des Coronavirus häufen sich in Österreich. Derzeit würden 70 bis 100 solche vermuteten Fälle vorliegen, hieß es bei einer Pressekonferenz von Rudolf Anschober (Grüne) und Expertinnen und Experten am Freitag. „Wir müssen davon ausgehen, dass es zu einer relevanten Betroffenheit Österreichs gekommen ist.“ Die zeitintensiven Sequenzierungen würden auf Hochtouren laufen.

„Es wäre nicht überraschend, wenn es sich hierzulande nicht schon ausbreitet – die Variante B.1.1.7 dürfte sich schon breitflächiger in Österreich befinden“, sagte der Mikrobiologe Andreas Bergthaler vom Research Center for Molecular Medicine (CEMM) in Wien. Er sprach von etwa „70 bis 100“ Verdachtsfällen. Wenn man davon ausgehe, dass die Variante 50 Prozent ansteckender ist, und das hochrechne, dann stelle sich nach einem Monat eine Verachtfachung der Fälle dar.

Österreich müsse „ausgeleuchtet“ werden, was das Vorkommen der Variante betrifft, so Anschober. Überall in den EU-Regierungen sei die Stimmung „sehr alarmiert“, die Bedrohung werde sehr ernst genommen. In der Slowakei etwa schätze man, dass bereits rund 15 Prozent der Fälle auf die neue Sequenz zurückzuführen sind. Es scheint so zu sein, dass sich diese Variante sich in Europa schon ausgebreitet hat – und Österreich scheint da „keine Insel der Seligen“ zu sein.

Gesundheitsminister Anschober zur Coronavirus-Mutation B 1.1.7

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Die Grünen), Andreas Bergthaler (Research Center for Molecular Medicine) und Christina Nicolodi (Virologin) informierten im Rahmen einer Pressekonferenz über die aktuellen CoV-Entwicklungen.

Künftig sollen alle positiven Tests untersucht werden

Man solle sich die Suche nach der neuen Variante in Österreich „wie eine dunkle Scheune“ vorstellen, in der man jetzt das Licht einschalten müsse. Vor wenigen Tagen war das Ziel noch, den Lichtkegel der Taschenlampe, mit der man in diese Scheune leuchtet, zu erweitern, so Anschober. Konkrete Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung seien etwa aufrechte Grenzkontrollen, Einreisebeschränkungen und Landeverbote für Flugzeuge aus Großbritannien. „Es gibt ja intakte Landeverbote für Großbritannien, Südafrika und andere Regionen“, wie Anschober dazu noch sagte.

Schrittweise sollen alle positiven Ergebnisse auf Mutationen untersucht werden, so Anschober – dafür brauche man die Labore. Zwar sei die Variante ansteckender als die bisherige, doch es sei „erfreulich“, dass alle Maßnahmen, die man bisher getroffen habe, weiterhin helfen würden. Man müsse diese jetzt verstärken. Wie es nach dem 24. Jänner aussehen wird, könne er nicht sagen, so Anschober. Jetzt werde noch intensiv analysiert. Aus seiner Sicht sei die Situation „alarmierend“ und „sehr ernst“.

Christina Nicolodi (Virologin und Impfstoffexpertin), Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Helmut Fohringer
Virologin Christina Nicolodi, Mikrobiologe Bergthaler und Minister Anschober bei der Pressekonferenz (v. l. n. r.)

Monitoring in größten Kläranlagen

Bergthaler lieferte die Begründung, wieso es sich nach wie vor um Verdachtsfälle handle: Die englische Variante habe 17 Mutationen, und die Analyse müsste immer „leicht verändert werden“, damit man zumindest eine Mutation sehen könnte. Darum dauere das Sequenzieren so lange, also etwa sieben Kalendertage.

Sequenzierung

Unter Sequenzierung versteht man eine Analysemethode, durch die Veränderungen im Bauplan des Virus entdeckt werden können.

Bergthaler kam auch auf die bereits bekannte Untersuchung von Wasser von Kläranlagen zu sprechen. „Man kann die Gesamtbelastung von Viren feststellen“, da stelle auch die Verdünnung kein Problem dar, so Bergthaler. Mittlerweile sei ein System aufgebaut worden, flächendeckend die größten Kläranlagen zu monitoren. Das würde etwa vier Millionen Menschen in Österreich abdecken. Grundlegend handle es sich bei den neuen Varianten nur um Vorboten: „Es werden weitere neue Varianten kommen“, so Bergthaler.

Die Virologin Nicolodi sprach zur Entstehung einer Mutante: Sie beschrieb, dass das Virus eine Zelle infiziere und im Zuge dessen ein „Kopierfehler“ passiere. Mutationen entstünden entweder so oder als neue Kombination zwischen zwei Varianten. Es gäbe bereits 10.000 kleine Mutationen beim Coronavirus. Auch jenes Virus, das hier in Österreich grassiert, sei eine Variante jenes ursprünglichen Virus, das in Wuhan auftauchte.

Bis Freitag 87.000 Impfungen verabreicht

In der Pressekonferenz war eingangs kurz auch der aktuelle Stand der Impfungen Thema. Am Freitagabend werde man eine Zahl von 87.000 Impfungen haben, sagte Anschober – über 50 Prozent seien in den E-Impfplan eingetragen. Man gehe davon aus, dass man am Dienstag die 100.000er-Grenze überschreiten werde. Einmal mehr sagte Anschober, dass er eine „Stimmungswende“ orte.

Sein Ziel sei, die Durchimpfung der österreichischen Bevölkerung „im Laufe des Sommers“ erreicht zu haben, so Anschober. Dänemark hatte als Ziel ausgegeben, das bis Mitte Juni zu erreichen. Das sei möglich, wenn alles – Zulassungen, Produktion, Auslieferung – klappt. „Das wäre der ‚best case‘.“

„Es gibt jeden Tag mehr Geimpfte“

Man sei aber nicht zuletzt wegen der Entwicklung der neuen Variante auf die Bremse gestiegen, was die Maßnahmen nach dem geplanten Ende des Lockdowns am 24. Jänner betrifft, so Anschober. „Wir hatten ein fast fertiges Konzept, was den 24. Jänner betrifft.“ Die Situation werde überall in Europa analysiert, man stehe in engem Kontakt miteinander.

Eine Prognose der Ausbreitung sei sehr schwierig. Nichtsdestotrotz will die Regierung nun ein Konzept für die weiteren Maßnahmen präsentieren. Was die weitere Entwicklung betrifft, zeigte sich Anschober dennoch „vorsichtig optimistisch“: „Es gibt jeden Tag mehr Geimpfte, und wir haben jetzt die schwierigste Witterung.“