Russischer Oppositionspolitiker Alexei Nawalny
Reuters/Evgenia Novozhenina
Rückkehr nach Moskau

Nawalny fordert Kreml heraus

Fünf Monate nach seiner Vergiftung will der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny am Sonntag von Deutschland nach Russland zurückkehren. Die politische Führung Russlands steht nun vor der Frage, wie sie mit der Rückkehr umgehen soll. Nawalny droht bei seiner Ankunft die sofortige Festnahme.

Das Flugzeug der russischen Gesellschaft Pobeda startete am Nachmittag vom Berliner Flughafen BER und soll am Abend auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo landen. Der Oppositionsführer hatte seine Anhänger aufgerufen, ihn dort zu treffen. Die Moskauer Staatsanwaltschaft warnte vor unerlaubten Kundgebungen auf dem Flughafengelände und drohte mit Konsequenzen – das Sicherheitsaufgebot wurde indes verschärft.

Zahlreiche Anhänger des Oppositionsführers berichteten von „präventiven Festnahmen“. In Sozialen Netzwerken war zu sehen, wie Kräfte der Anti-Terror-Polizei Omon schon am Vorabend auf dem Flughafen mit Gefangenentransportern Stellung bezogen. Zahlreiche Medien beklagten, dass die Flughafenverwaltung keine Kamerateams zulassen wollte. Die russische Justiz hat Nawalny zur Fahndung ausgeschrieben, weshalb der Gegner von Kreml-Chef Wladimir Putin mit seiner Festnahme rechnen muss.

Putin im Dilemma

Mit dem symbolischen Comeback seines größten Widersachers auf die politische Bühne steht Putin vor einer schwierigen Entscheidung: Lässt er Nawalny einfach zurückkehren und unternimmt nichts, könnte ihm das als Schwäche ausgelegt werden. Lässt er ihn aber verhaften und für längere Zeit einsperren, würde der Fall international weiterhin für großes Aufsehen sorgen.

„Es gibt keine gute Entscheidung, aber irgendeine Entscheidung muss fallen“, sagte die Politologin Tatjana Stanowaja der Nachrichtenagentur AFP. Nach Einschätzung anderer Experten hat der 44-jährige Putin-Kritiker mit seiner Rückkehrankündigung dem 68-jährigen Kreml-Chef den Fehdehandschuh direkt vor die Füße geschmissen. Da klingt es schon fast wie Absicht, dass er mit einer russischen Billigfluggesellschaft zurückkehren will, die übersetzt „Sieg“ heißt.

Verstoß gegen Bewährungsauflagen?

Nawalny erholte sich in Deutschland von einem Anschlag mit dem als Chemiewaffe verbotenen Nervengift Nowitschok. Das Attentat war am 20. August in der sibirischen Stadt Tomsk auf ihn verübt worden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel besuchte ihn am Krankenbett in der Berliner Charite. Die deutsche Regierung und andere westliche Staaten sprachen von einem Mordversuch.

Alexei Nawalny im Krankenhaus in Berlin
APA/AFP/Handout
Nawalny wurde in der Berliner Charite behandelt

Ungeachtet der Gefahr, getötet oder festgenommen zu werden, sagte Nawalny mehrfach, dass sein Platz in Russland sei und er dort seinen Kampf gegen das „System Putin“ fortsetzen wolle. Nawalny drohen in Russland mehrere Strafverfahren, die als politisch motiviert in der Kritik stehen. Möglich ist eine Festnahme, weil er Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren nicht erfüllt haben soll, während er sich in Deutschland aufhielt.

Nawalny hatte immer den Inlandsgeheimdienst FSB für den Mordanschlag verantwortlich gemacht. Als Auftraggeber sieht er seinen Intimfeind Putin persönlich. Die russische Regierung bestreitet dagegen jede Beteiligung an dem Anschlag. Putin betonte zudem, selbst Nawalnys Rettungsflug nach Deutschland genehmigt zu haben. Bisher wurden aber nicht einmal Strafermittlungen aufgenommen.

„Eine starke Geste“

Laut Stanowaja könnten die Behörden als dritten Ausweg versuchen, Nawalny politisch auszubremsen, indem sie ihn wegen finanzieller Unterstützung aus dem Ausland auf die Liste der „ausländischen Agenten“ setzen. Das sei jedoch angesichts der im September anstehenden Parlamentswahl und Putins sinkender Popularität ein riskantes Spiel. Sie habe zudem das Gefühl, „dass der Kreml dieser Spielchen überdrüssig ist“: „Die Konfrontation mit Nawalny dauert schon zu lange.“

Zwar sind Nawalnys Videos, in denen er die Korruption und das Luxusleben der russischen Eliten bloßstellt, ausgesprochen populär. Doch wie viele Russen den 44-Jährigen nach jahrelanger Schmähkritik durch die Staatsmedien tatsächlich unterstützen, ist unklar. In einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums befürworteten nur 20 Prozent Nawalnys Aktionen. 50 Prozent missbilligten sie, und der Rest hatte keine Meinung oder noch nie von ihm gehört.

Nawalnys Rückkehr „ist eine starke Geste, egal was danach geschieht“, sagte der politische Kommentator Sergej Medwedew. Mit ihr höre die russische Politik auf, „nicht existent“ zu sein. Gleichzeitig gebe sie Nawalny die Gelegenheit zu zeigen, ob er tatsächlich das Zeug zu einem historischen Reformer habe. „Der Countdown hat begonnen.“

Mitstreiter in Haft

Kurz vor der geplanten Rückkehr Nawalnys wurde einer seiner Mitstreiter verhaftet. Pawel Selenski bleibt bis zum 28. Februar in Haft, wie ein Moskauer Gericht am Samstag mitteilte. Dem Kameramann von Nawalnys Antikorruptionsstiftung wird vorgeworfen, im Internet zu Extremismus angestachelt zu haben. Hintergrund ist ein Tweet vom Oktober, der ein Foto einer Journalistin zeigt, die sich vor einem Büro des Innenministeriums selbst angezündet hatte. Zuvor hatte die Polizei ihre Wohnung durchsucht. Irina Slawina starb an ihren Verletzungen.