Kremlkritiker Alexej Nawalny
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Bei Ankunft in Moskau

Kreml-Kritiker Nawalny festgenommen

Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist nach seiner Landung in Moskau noch auf dem Flughafen festgenommen worden. Der 44-Jährige sei an der Passkontrolle abgeführt worden, meldete der Telegram-Kanal des Oppositionellen am Sonntag. Die Verhaftung wird die internationalen Beziehungen Moskaus erneut belasten: Deutschland, die EU und die USA forderten umgehend die sofortige Freilassung.

Russlands Strafvollzug hatte Nawalny, der sich nach einem Giftanschlag in Lebensgefahr befand und zur Behandlung nach Deutschland ausgeflogen wurde, zur Fahndung ausgeschrieben. Er habe mit der Ausreise nach Deutschland gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen, so die Begründung. Der föderale Strafvollzugsdienst Russlands (FSIN) sagte, dass Nawalny aufgrund „systematischer und wiederholter Verstöße gegen die Bedingungen seiner Bewährung“ festgenommen wurde.

Er stehe seit 29. Dezember auf der Fahndungsliste und solle bis zur Entscheidung des Gerichts in Haft bleiben. Nawalnys Team sprach von einer politischen Inszenierung, um den prominenten Gegner von Präsident Wladimir Putin mundtot zu machen. Der Gerichtsprozess ist am 29. Jänner geplant. Am Montag betonten Nawalnys Mitarbeiter, dass der Verbleib des nationalistischen Politikers und größten Gegners Putins derzeit unbekannt sei.

Flug überraschend umgeleitet

Vor seiner Festnahme hatte Nawalny gesagt, er fürchte sich nicht. Er sei unschuldig. Die Rückkehr nach Russland sei für ihn der schönste Moment seit fünf Monaten. Die russischen Behörden hatten den Flug zuvor überraschend umgeleitet und ließen die Maschine aus Berlin auf dem Hauptstadt-Airport Scheremetjewo landen. Das Flugzeug hätte laut Plan auf dem Flughafen Wnukowo ankommen sollen, wo sich Hunderte Unterstützer des Oppositionspolitikers versammelt hatten. Viele wurden festgenommen, wie eine Reporterin der dpa berichtete. Der Oppositionelle Ilja Jaschin kritisierte die Flugumleitung und die Festnahmen als „hysterische Reaktion“ des Machtapparats.

Kremlkritiker Alexej Nawalny
AP/Mstyslav Chernov
Auf seinem Flug von Berlin nach Moskau wurde Nawalny von Journalisten begleitet

Aufforderung Berlins an Moskau

Deutschland – in Berlin wurde Nawalny behandelt – forderte am Montag die umgehende Freilassung Nawalnys. Russland sei durch seine eigene Verfassung und durch internationale Verpflichtungen an das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und an den Schutz der Bürgerrechte gebunden, erklärte der deutsche Außenminister Heiko Maas. „Diese Prinzipien müssen selbstverständlich auch gegenüber Alexej Nawalny zur Anwendung kommen. Er sollte unverzüglich freigelassen werden.“

Ruf nach „sofortiger Freilassung“

Zuvor hatten bereits die EU, die USA und auch das österreichische Außenministerium die Freilassung Nawalnys gefordert. „Eine lebendige Zivilgesellschaft und politische Opposition sind Eckpfeiler aller demokratischen Gesellschaften. Österreich fordert seine sofortige Freilassung und eine umfassende und unabhängige Untersuchung des Angriffs auf sein Leben“, schrieb das Außenministerium am Sonntagabend in einer Twitter-Meldung. Auch Russlands Nachbar Finnland forderte die sofortige Freilassung.

Es sei „inakzeptabel“, dass Nawalny direkt nach seiner Rückkehr nach Russland in Gewahrsam genommen wurde, schrieb auch EU-Ratspräsident Charles Michel am Sonntag auf Twitter. Er forderte die „sofortige Freilassung“ des Oppositionspolitikers. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schloss sich der Forderung an. Er rief die russischen Behörden auf, Nawalnys „Rechte zu respektieren“. Eine „Politisierung“ der Justiz sei nicht hinnehmbar, schrieb Borrell auf Twitter.

Schwere Vorwürfe aus den USA

Der künftige US-Sicherheitsberater Jake Sullivan forderte ebenfalls die sofortige Freilassung Nawalnys. „Herr Nawalny sollte umgehend freigelassen werden“, schrieb Sullivan am Sonntag auf Twitter. Zudem müssten die Verantwortlichen für Nawalnys Vergiftung in Sibirien vor fünf Monaten zur Rechenschaft gezogen werden. „Die Angriffe des Kreml auf Herrn Nawalny sind nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern ein Affront gegen das russische Volk, das sich Gehör verschaffen will.“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International prangerte die Festnahme Nawalnys als unrechtmäßig an. Die Inhaftierung sei ein weiterer Beleg dafür, dass die russischen Behörden ihn zum Schweigen bringen wollten, hieß es am Sonntagabend in einer Amnesty-Erklärung. Weiterhin sei es unumgänglich, Nawalnys Vorwurf zu untersuchen, wonach er von staatlichen Agenten auf Anordnung höchster Stellen vergiftet wurde.

Giftanschlag überlebt

Nawalny war in Deutschland nach einem beinahe tödlichen Anschlag mit dem als Chemiewaffe verbotenen Nervengift der Nowitschok-Gruppe behandelt worden. Das Attentat war am 20. August in der sibirischen Stadt Tomsk verübt worden. Nawalny hatte immer wieder den russischen Präsidenten und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Mordanschlag verantwortlich gemacht. Der Kreml-Chef hatte das stets zurückgewiesen. Ungeachtet der Gefahr für sein Leben sagte Nawalny mehrmals, dass sein Platz in Russland sei und er dort seinen Kampf gegen das „System Putin“ fortsetzen wolle.

Unter den Festgenommenen auf dem Flughafen Wnukowo waren auch Nawalnys engste Mitarbeiterin, die Juristin Ljubow Sobol, sowie weitere Aktivisten. Uniformierte drängten Menschen zurück, die den 44-jährigen Oppositionspolitiker empfangen wollten. Die auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierte Sonderpolizei OMON hatte mit mehreren Gefangenentransportern Stellung bezogen.

Nawalny auf Flughafen festgenommen

ORF-Korrespondent Paul Krisai berichtet über die Festnahme Nawalnys in Moskau.

Oppositionelle beklagen Polizeiwillkür

Viele Unterstützer und auch Journalisten beklagten starke Behinderungen durch die russische Polizei, die einen großen Empfang für Nawalny verhindern wollte. In St. Petersburg teilte die Leiterin von Nawalnys dortigem Stab, Irina Fatjanowa, mit, dass sie und zwei weitere Aktivisten aus einem Zug nach Moskau abgeführt und ohne Angabe von Gründen drei Stunden bei der Polizei in Gewahrsam gewesen seien. Andere Aktivisten sagten, sie seien auf dem Flughafen Pulkowo in St. Petersburg oder in Fahrzeugen auf der Straße gestoppt worden.

Im internationalen Teil des Flughafens gab es breite Absperrungen. Viele Journalisten beklagten, dass die Flughafenleitung in Wnukowo den Zugang zum Airport wegen der Coronavirus-Pandemie untersagt und keine Arbeitserlaubnis erteilt habe. Zahlreiche Aktivisten, Blogger und Journalisten begleiteten Nawalny aber auf dem Flug und berichteten immer wieder live.

Viele Kommentatoren bezeichneten Nawalnys Entscheidung, nach Russland zurückzukehren, als mutig – und als politischen Sieg. „Dass Nawalny auch vor dem schlimmstmöglichen Szenario keine Angst hat, zerstört das ganze Spiel des Kreml“, schrieb die Politologin Tatjana Stanowaja. Im Herbst ist in Russland eine Parlamentswahl, bei der der Oppositionspolitiker das Machtmonopol der Kreml-Partei Geeintes Russland brechen will.

Russland bestreitet Anschlag auf Nawalny

Russland bestreitet, dass es ein Verbrechen gegeben habe, und lehnt deshalb Ermittlungen ab, solange es dafür keine Beweise gebe. Zwar hatte Deutschland zuletzt mehrere Rechtshilfegesuche in dem Fall beantwortet. Russland kritisierte das am Sonntag aber als unzureichend. Allerdings wiesen Labore der deutschen Bundeswehr sowie in Frankreich, Schweden und bei der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) den illegalen Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe nach. Die EU hat wegen des international kritisierten Verbrechens Sanktionen gegen Vertreter des russischen Machtapparats verhängt.