Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Bundeskanzler Sebastian Kurz, der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Gesundheitsminster Rudolf Anschober.
APA/Georg Hochmuth
Krisenkommunikation

Regierung mit „überfälliger Korrektur“

Wenn in den vergangenen Monaten vier Männer vor die Kameras getreten sind, dann sind für gewöhnlich Verschärfungen, Verlängerungen oder Lockerungen angekündigt worden. In der Coronavirus-Krise gab es für die Gruppe einen Namen: das „virologische Quartett“. Am Sonntag kam es allerdings zu einer personellen Veränderung, was laut Politikberater Thomas Hofer auf eine „Korrektur“ hindeutet.

Seit Beginn der Krise im März vergangenen Jahres war zuerst Rudolf Anschober als Gesundheitsminister (Grüne) Ansprechpartner bei allen Pressekonferenzen. Das Feld wuchs mit der Zahl der Infektionen und der Zahl der Entscheidungen, die für die nächsten Wochen getroffen und umgesetzt werden mussten. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) kündigten mit Anschober die ersten Maßnahmen an. Wenig später vervollständigte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) das „virologische Quartett“.

Bei bisher drei Lockdowns standen die vier Politiker vor den Kameras, am Sonntag, als die Verlängerung des dritten Lockdowns angekündigt wurde, nur noch zwei. Die Landeshauptleute aus der Steiermark und aus Wien, Hermann Schützenhöfer (ÖVP) und Michael Ludwig (SPÖ), ersetzten Innenminister Nehammer und Vizekanzler Kogler. „Man hat hier wohl etwas korrigiert, was im Grunde längst überfällig war“, so Politikberater Hofer im Gespräch mit ORF.at. „Es sieht danach aus, als wolle man aufeinander zugehen, was aus meiner Ansicht zwar zu spät kommt, aber auch jetzt noch richtig ist.“

„Brückenschlag“ statt „Schulterschluss“

Der renommierte Politikberater spricht die Zerwürfnisse der letzten Monate zwischen Bund und Länder und jene zwischen der Opposition und der Regierung an. In Erinnerungen sind die Schuldzuweisungen Richtung Wien vor der Gemeinderatswahl und die darauffolgenden Reaktionen aus der Bundeshauptstadt Richtung Regierung. Auch die Kritik der Opposition, dass man über Maßnahmen nicht informiert werde, und die Vorwürfe der ÖVP-Grünen-Regierung, SPÖ, FPÖ und NEOS würden in Krisenzeiten auf einen „Schulterschluss“ pfeifen, hallen noch nach.

Vizekanzler Werner Kogler und Innenminister Karl Nehammer.
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Kogler und Nehammer machten einen Schritt zurück

Hofer selbst redet heute ungern von „Schulterschluss“. Dieser sei mit einem mittlerweile auf zwei Meter gewachsenen Babyelefanten auch schwierig umzusetzen. Die neue Quartettvariation mit Vertretern aus den Ländern und einem Politiker der SPÖ sei ein „Brückenschlag“ mit einem strategischen Ziel: Zum einen wolle man „mehr Breite“ zeigen, um Bevölkerungsgruppen anzusprechen, die man ohne Länderchefs und Opposition kaum erreiche. Zum anderen werde versucht, der „Kritik, die sich gegen die Maßnahmen richtet, die Schärfe zu nehmen“, so der Politikberater. Wer präsentiert, kann nicht kritisieren.

Die Virusmutation B.1.1.7, die zuerst in England nachgewiesen wurde, sei als Moment aufgegriffen worden, um auch abgesehen von den Sozialpartnern die „relevanten Kräfte“ ins Boot zu holen. Tatsache ist, dass die Länder für die Organisation der Impfungen gegen Covid-19 zuständig sind. Es sei zwar nicht möglich, 100 Prozent der Bevölkerung anzusprechen – insbesondere jene, die ohnehin schon gegen die CoV-Maßnahmen demonstrieren –, aber es sei zumindest ein Signal. „Wir hatten dieses Signal schon abgeschwächt Richtung Wissenschaft, als Forscher und Forscherinnen vermehrt neben Ministern auftraten.“

Ludwig sagte Einladung zu

Dass Schützenhöfer als Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz an der Pressekonferenz teilnimmt, kommt wenig überraschend. Und Wiens Bürgermeister Ludwig? „Das ist wohl eine Länder-Geschichte. Er vertritt als SPÖ-Politiker mit einem starken Wahlergebnis die von der SPÖ geführten Länder“, sagt Hofer. Als ein Statement gegen SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht der Politikberater Ludwig nicht und erinnert daran, dass sich die Gesprächsbasis zwischen Rendi-Wagner und ÖVP-Chef Kurz zuletzt „deutlich verbessert“ habe.

Laut Berichten von „Kurier“ und „Heute“ hatte Kurz am Samstagabend Ludwig eingeladen, an der Pressekonferenz am Sonntag teilzunehmen. Der „Lieblingsfeind“ des Kanzlers, so der „Kurier“, verlangte eine kurze Bedenkzeit und sagte nach „einer halben Stunde“ zu, laut „Heute“ war es „eine Stunde“. Dass Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) nur wenige Stunden vor der gemeinsamen Pressekonferenz über Bundeskanzler und Gesundheitsminister sagte, dass sie „einen auf hysterisch machen“ würden, werde künftig in dieser Form wohl nicht mehr stattfinden, sagt Politikberater Hofer.

Der Vizerektor der MedUni Wien Oswald Wagner, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Bundeskanzler Sebastian Kurz , der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Gesundheitsminster Rudolf Anschober
APA/Georg Hochmuth
Mit Ludwig und Schützenhöfer holte die Regierung die Länder und – in Form von Ludwig – die SPÖ ins Boot.

Ob jedes Mal zwei Landeshauptleute mit Kurz und Anschober die kommenden Maßnahmen ankündigen werden, ist freilich unklar. Für Hofer sei es zumindest notwendig, diese „Partnerschaft zu leben“, wie er betont. „Eine einmalige Geschichte“ würde nicht reichen, um die Bevölkerung von den Maßnahmen zu überzeugen. Der Schritt auf Oppositionsparteien zu, die die Coronavirus-Vorkehrungen mittragen sollen, müsste zumindest intensiviert werden. Laut „Heute“ hätten übrigens Nehammer und Kogler darum gebeten, nicht mehr Teil des „virologischen Quartetts“ sein zu müssen.

Expertise als „wichtiges Signal“

Der Wechsel bei Regierungskommunikation folgte wenige Tage nach der Angelobung des neuen ÖVP-Arbeitsministers Martin Kocher. Der Ökonom ersetzte Christine Aschbacher (ÖVP), die wegen einer Plagiatsaffäre zurücktrat. Die Entscheidung, Kocher in die Regierung zu holen, habe einer „ganz anderen Logik“ gefolgt als bisher, so Hofer. „Es war freilich auch nicht so, dass die steirische ÖVP dem Bundeskanzler Aschbacher quasi aufs Auge gedrückt hat. Aber sie stammte vom Kurz-Umfeld. Kocher hingegen gilt als unabhängiger Experte.“

Als Experte kam übrigens auch ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann in die Regierung. Der studierte Geograf und frühere Vizerektor an der Universität Wien hatte zuletzt allerdings mit Gegenwind zu kämpfen. Er wollte den Präsenzunterricht, es kam Distance-Learning. Er wollte die „schrittweise Öffnung", die Schulen bleiben – Betreuung für unter 14-Jährige gibt es – zu. „Faßmann kämpft für sein Ressort“, sagt Hofer, aber er schreite „sehenden Auges in eine Niederlage“.

Wie unabhängig man als „unabhängiger Experte“ in einer politischen Regierung Entscheidungen treffen und umsetzen kann, hängt freilich vom Netzwerk ab, das einem den Rücken bei Vorhaben stärkt. Dass Fachleuten zugehört wird, sei ein „wichtiges Signal“, insbesondere in Krisenzeiten, so Politikberater Hofer. Niemand werde Kochers Expertise anzweifeln. „Aber auch der neue Arbeitsminister wird früher oder später in das parteipolitisches Trommelfeld kommen, in dem er sich beweisen muss.“