Menschen auf dem Ipanema Strand in Rio de Janeiro
Reuters/Ricardo Moraes
Volle Strände, Mutation

Brasilien kämpft mit steigenden CoV-Zahlen

Während in Manaus im brasilianischen Bundesstaat Amazonas der Sauerstoff fehlt und die Spitäler überlastet sind, drängen sich an den Stränden der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro die Badegäste – viele auch ohne Maske. Sorgen bereitet Experten die in Manaus erstmals entdeckte CoV-Mutation P.1.

Neben den USA zählt Brasilien derzeit zu den am stärksten betroffenen Ländern. Der rechtsextreme brasilianische Präsident Jair Bolsonaro galt schon bisher zu den CoV-Verharmlosern. Auch bei Teilen der Bevölkerung lässt die Akzeptanz der CoV-bedingten Einschränkungen offenbar nach. Die Menschen hätten die Pandemie inzwischen „völlig banalisiert“, kommentierte die Wissenschaftlerin Chrystina Barros die Bilder von überfüllten Stränden von Copacabana und Ipanema.

„Wir sehen keine Möglichkeit zu glauben, dass wir das Gewissen der Menschen gewinnen können“, so Barros von der Bundesuniversität Rio de Janeiro. Der Jänner gilt in Brasilien als Ferienzeit. Allerdings gab es Ende vergangener Woche auch Proteste gegen Bolsonaro. In Millionenstädten wie Rio de Janeiro, Sao Paulo und Brasilia gingen zahlreiche Menschen auf ihre Balkone, schlugen mit Löffeln auf Töpfe und riefen „Bolsonaro, tritt zurück“.

Zu wenig Sauerstoff verfügbar

In dem 210-Millionen-Einwohner-Land haben sich bisher nachweislich rund 8,5 Millionen Menschen infiziert. Über 209.000 Menschen sind in Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Zuletzt waren die Neuinfektionen und die Belegung der Krankenhäuser wieder gestiegen. Besonders betroffen sind die Bundesstaaten Rio de Janeiro und Amazonas. In der Amazonas-Metropole Manaus brach das Gesundheitssystem aufgrund der rasanten Zunahme der Spitalsaufenthalte wie schon bereits vergangenen April und Mai zusammen.

Menschen mit Sauerstoffflaschen
Reuters/Bruno Kelly
Angehörige von Patienten in Manaus versuchen, Sauerstoff zu ergattern

Nun ist die Lage erneut dramatisch. Die Intensivstationen sind voll, und es fehlt Sauerstoff zur Beatmung schwer an Covid-19-Erkrankter. Angehörige versuchen, selbst Sauerstoffflaschen zu bekommen und in die Krankenhäuser zu bringen. Brasiliens Gesundheitsminister Eduardo Pazuello bestätigte: Es gibt einen Kollaps in der Gesundheitsversorgung in Manaus." Hunderte Patienten und Patientinnen warten auf ein Krankenhausbett. Die Luftwaffe lieferte Sauerstoff nach Manaus.

Mutation in Manaus entdeckt

Der Anstieg der vergangenen Wochen in Manaus gab der Wissenschaft Rätsel auf. Denn eigentlich waren hier bis November bereits drei Viertel der Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert – mehr dazu in science.ORF.at. Eine Erklärung für den Anstieg könnte die im Dezember in Manaus entdeckte Mutation P.1. sein. Forschungen dazu laufen auf Hochtouren. Diese CoV-Variante gibt den Wissenschaftlern Anlass zur Sorge. Denn sie besitzt, wie auch die südafrikanische Mutante das Spike-Protein E484K.

Spike-Protein

Der Virus nützt dieses Protein als Schlüssel, um in die menschlichen Zellen anzudocken. Die Immunantwort des Körpers richtet sich ebenfalls gegen dieses Protein. Verändert es sich zu stark und damit auch die Oberfläche des Virus, könnte dieses vom Immunsystem weniger gut erkannt werden.

Dieses reduziere nachweislich die Erkennung durch Antikörper, das helfe dem Virus, den Immunschutz durch eine frühere Infektion oder Impfung zu umgehen, berichtete das Wissenschaftsmagazin „BBC Science Focus“. CoV-Varianten, die die menschliche Immunreaktion umgehen könnten, könnten zu einer größeren Zahl an erneuten Infektionen führen.

„Jedes Mal, wenn dieselben Mutationen auftauchen und sich mehrfach ausbreiten, und zwar in verschiedenen Virusstämmen auf der ganzen Welt, ist das ein wirklich starker Beweis dafür, dass diese Mutationen einen evolutionären Vorteil haben“, wird der Evolutionsbiologe Jesse Bloom am Fred Hutchinson Cancer Research Center im „Science Magazine“ zitiert.

„Bisher nicht resistent gegen Impfstoffe“

„Bisher scheint das Virus nicht gegen CoV-Impfstoffe resistent geworden zu sein“, meint der Impfstoffexperte Philip Krause, der eine WHO-Arbeitsgruppe zu Covid-19-Impfstoffen leitet. Die nicht so gute Nachricht sei, dass die schnelle Entwicklung dieser Varianten darauf hindeute, „dass dies schneller passieren könne, als uns lieb ist“. Dann müssten die Impfstoffe nachjustiert werden.

Oliver Pybus, Epidemiologe in Oxford, hat für den rasanten Anstieg in Manaus noch eine andere Erklärung als P.1. Es könne auch sein, dass die Infektionen in der Bevölkerung bereits so lange zurück liegen, dass ihre Immunität nachgelassen habe. Es könnte aber auch eine Kombination mehrerer Faktoren sein wie etwa die leichtere Übertragung der Mutation. Die Molekularbiologin Ester Sabino, die derzeit nach den Ursachen in Manaus forscht, geht auch davon aus, dass sich hier bereits 100 Prozent der Bevölkerung infiziert haben.

Die Verbreitung der CoV-Mutation in Brasilien sorgte bereits international für Reaktionen. Einige Länder verschärften ihre Einreisebestimmungen. Deutschland etwa verlangt ein negatives Testergebnis für Reisende aus Brasilien. Großbritannien verhängte ein Einreiseverbot für Ankommende aus Südamerika und Portugal aufgrund seiner engen Beziehungen zu Brasilien.

Erste Impfung in Sao Paulo

Brasilien versucht nun auch, mit Impfungen der Pandemie Herr zu werden. Im größten Land Lateinamerikas wurde am Wochenende nach der Notfallzulassung des chinesischen CoV-Impfstoffes Sinovac und des britisch-schwedischen Vakzins AstraZeneca, die erste Brasilianerin geimpft. Die Krankenschwester erhielt die Injektion im Beisein des Gouverneurs des Bundesstaats, Joao Doria. Damit musste Bolsonaro eine politische Niederlage einstecken. Denn das Foto der ersten Impfung in Brasilien ging an seinen Rivalen Doria.

Menschen auf dem Ipanema Strand in Rio de Janeiro
Reuters/Amanda Perobelli
Dem Bolsonaro-Rivalen Doria, Gouverneur von Sao Paulo, war das Foto der ersten Impfung Brasiliens vorbehalten

Brasiliens Gesundheitsminister Pazuello sprach von einem „Marketingtrick“. Zwischen beiden Politikern war zuletzt ein Streit über die Verwendung des Sinovac-Impfstoffs entbrannt. Doria hat sich für seinen Bundesstaat bereits sechs Millionen Dosen des Serums gesichert. Bolsonaro hatte zuletzt immer wieder Zweifel an Impfungen geäußert und sich abfällig über den chinesischen Impfstoff geäußert. Das politische Match um das erste Foto einer Impfung hat er aber verloren.

Landesweite Impfkampagne angelaufen

Am Montag verkündete die Zentralregierung nun allerdings, dass die landesweite Impfkampagne angelaufen sei. Nach Beratungen mit den Gouverneuren sei entschieden worden, den eigentlich für Mittwoch geplanten Start der Kampagne zwei Tage nach vorne zu verschieben, sagte Gesundheitsminister Pazuello. Alle 27 Bundesstaaten würden nun mit Impfstoff versorgt und könnten dann sofort mit der Verabreichung des Mittels beginnen. Als Erste sollen unter anderen Menschen über 75 Jahre, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Bewohner von Altersheimen geimpft werden.

Noch am Freitag war ein Versuch der brasilianischen Regierung, zwei Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca aus Indien zu holen, zunächst gescheitert. Statt des erhofften Impfstoffes wurde der Platz im Flugzeug genutzt, um Sauerstoff nach Manaus zu liefern. Bolsonaro-Rivale Doria kündigte dann am Sonntag an, der Regierung mit dem Sinovac-Vakzin auszuhelfen.