Und das liegt keineswegs am neuen Präsidenten Biden. Dieser ist im Gegenteil in vielerlei Hinsicht das Abbild des traditionellen Verständnisses des Politikmachens. Nach vier „disruptiven“ Jahren Donald Trump war diese gewohnte Normalität einer der Gründe für seine Wahl. Ein erster grober Bruch mit dem Drehbuch für die Inauguration (Angelobung) besteht darin, dass der abgewählte Amtsinhaber Trump an der Machtübergabe nicht teilnehmen wird. Die sichtbare Weitergabe der Macht von einem zum nächsten Präsidenten wird es damit nicht geben.
Diese Aufgabe übernimmt Trumps Vize Mike Pence, der sich nach Jahren der vollen Unterstützung zuletzt im Senat gegen Trumps Versuche, das Wahlergebnis per legistischen Trick zu ändern, gestellt hatte. Trump gilt als jemand, der mit Niederlagen schlecht umgehen kann. Insofern kam die Entscheidung nicht unerwartet. Auch Biden betonte zuletzt, es sei besser, wenn Trump nicht teilnehme. Da waren die wochenlangen Versuche Trumps, mit allen Mitteln die Niederlage abzuwenden, in der Aufforderung an seine Anhänger zum fatalen und tödlichen Marsch auf das Kapitol kulminiert.
Militäraufgebot statt feiernder Menge
Die beiden größten Änderungen sind freilich, dass es diesmal keine Menschenmenge auf der National Mall, der riesigen Parkanlage zwischen Kapitol und Lincoln Memorial, gibt, stattdessen mehr Polizei und Militär als jemals zuvor. Ursachen sind einerseits die Coronavirus-Pandemie, die in den USA derzeit wieder besonders stark wütet, und andererseits die drastisch erhöhten Sicherheitsvorkehrungen nach der Erstürmung des Kapitols durch den Trump-Mob.
Der traditionelle Autokonvoi mit dem künftigen Präsidenten- und Vizepräsidentenpaar findet aus Sicherheitsgründen ebenso wenig statt wie die Bälle, die an diesem Abend traditionellerweise in der ganzen Stadt ausgerichtet werden. Sie wurden wegen der CoV-Ansteckungsgefahr bereits vorher abgesagt.
Die gesamte National Mall – dort versammeln sich sonst Zehntausende Menschen, um bei der Angelobung dabei zu sein – wird weitgehend menschenleer sein. Der Verkehr wird ebenfalls stark eingeschränkt. Statt auf Zehn- oder Hunderttaussende Menschen werden Biden und seine Vizepräsidentin Kamala Harris bei ihrer Vereidigung auf fast 200.000 US-Fahnen, die auf der National Mall aufgestellt sind, blicken.
Jennifer Lopez und Lady Gaga werden die Nationalhymne singen. Und Biden wird eine Rede halten, in der er seine „Vision, die Pandemie zu besiegen, Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt wiederaufzubauen und die National zu einigen“, darstellen wird, wie es auf der Inaugurationswebsite heißt. Auch die traditionelle Truppenabnahme – Symbol für den Wechsel an der Armeespitze – wird wie gewohnt stattfinden.
„Grüne Zone“ in Hauptstadt
Bereits am Wochenende waren hohe Sicherheitsvorkehrungen in Kraft getreten. Im Netz war ein „bewaffneter Marsch“ auf die Hauptstadt angekündigt worden. Die Truppen der Nationalgarde waren aufgestellt. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptstadt waren aufgefordert worden, zu Hause zu bleiben. Das Zentrum der Hauptstadt war laut „Washington Post“ „eine Festung aus Zäunen, Betonabsperrungen und Checkpoints“. Aus dem Marsch wurde schließlich nichts – es kam niemand.
Rund um das Kapitol errichtete der Secret Service in den letzten Tagen eine „Green Zone“ (Grüne Zone). Tatsächlich wurde weitläufig rund um das Kapitol der Zutritt weitgehend gesperrt. Ausgenommen sind lediglich Anrainer und Personen mit entsprechender Zutrittsberechtigung. Die „Green Zone“ ist mit einem zweieinhalb Meter hohen Zaun und Stacheldraht gesichert.
Tausende Polizisten und mehr als 20.000 Nationalgardisten werden zu Bidens Vereidigung am Mittwoch zusammengezogen. Das FBI unterzieht auch alle in die Stadt kommenden Einheiten der Nationalgarde einer Sicherheitsüberprüfung. Im Zuge der Aufarbeitung der Kapitol-Ereignisse hatte sich herausgestellt, dass einige der Beteiligten aktuell oder früher Verbindungen zum Militär hatten.
Nüchtern und ernüchternd
Das FBI warnte vor bewaffneten Protesten. Diese könnten in Washington, aber auch in Hauptstädten von Bundesstaaten ausbrechen. Nachdem die Sicherheitsvorkehrungen bei dem tödlichen Aufstand vor und im US-Parlament am 6. Jänner völlig unzureichend waren, will man ähnliches bei der Angelobung um jeden Preis verhindern.
Biden und Harris wollen umgehend an die Arbeit gehen – das wird angesichts der zu erwartenden nüchternen Atmosphäre bei der Angelobung umso leichter fallen. Zahlreiche Erlässe von Biden sind bereits vorbereitet, die einerseits der Pandemiebekämpfung dienen sollen und andererseits Trump-Erlässe aufheben. Trump selbst dürfte das Weiße Haus noch vor der Inauguration verlassen – seine Aussichten sind persönlich, zumindest für die nahe Zukunft, ernüchternd: Er blickt seinem zweiten Impeachment-Verfahren im Senat – und möglicherweise mehreren Gerichtsverfahren – entgegen.
Gedenken an Pandemietote
Einen Tag vor Bidens Amtseinführung erinnern die USA am Dienstag an die bisher rund 400.000 Coronavirus-Toten im Land. Geplant ist unter anderem eine Lichtinstallation am Lincoln Memorial im Herzen der Hauptstadt. Städte im ganzen Land werden ebenfalls an die Toten erinnern. Die USA sind das Land mit der höchsten Zahl von CoV-Opfern weltweit.