Alexei Nawalny
Reuters/
Russland

Nawalny nach Rückkehr zu Haft verurteilt

Ein russisches Gericht hat den Kreml-Gegner Alexej Nawalny nach seiner Rückkehr aus Deutschland in einem Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt. Der 44-Jährige habe gegen Meldeauflagen nach einem früheren Strafprozess verstoßen, hieß es am Montag. Der Oppositionsführer kritisierte das Verfahren als politische Inszenierung mit dem Ziel, ihn zum Schweigen zu bringen.

Juristen kritisierten den Eilprozess als beispiellos – selbst für russische Verhältnisse. In einem Video bei Twitter beklagte Nawalny, dass die Justiz in Russland eine neue Stufe der „Gesetzlosigkeit“ erreicht habe. „Ich habe oft gesehen, wie der Rechtsstaat ins Lächerliche gezogen wird, aber dieser Opi in seinem Bunker fürchtet sich inzwischen so sehr (…), dass nun einfach der Strafprozesskodex zerrissen und auf die Müllhalde geworfen wird“, sagte Nawalny im improvisierten Gerichtszimmer auf einer Polizeistation.

Mit „Opi in seinem Bunker“ meint Nawalny den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Es ist unmöglich, was hier passiert.“ Er rief seine Landsleute zu Protesten gegen die Regierung auf: „Habt keine Angst, geht auf die Straße – nicht für mich, sondern für euch, für eure Zukunft“. Und weiter: „Schweigt nicht! Wehrt euch! Wir sind viele und können etwas erreichen“, sagte der Kreml-Kritiker am Montag noch im Verhandlungssaal. Seine Sprecherin Kira Jarmysch veröffentlichte ein Video mit dem Aufruf.

Alexei Nawalny
AP/Kira_Yarmysh/Kira Yarmysh
Derzeit wird Nawalny in Moskau in einem improvisierten Gerichtszimmer auf einer Polizeistation festgehalten

Nach Ankunft festgenommen

Nawalnys Anwälte hatten offenbar ein Schreiben über den Beginn einer Gerichtsverhandlung im Polizeigebäude erhalten, die dann eröffnet wurde, ohne dass jemand sich hätte vorbereiten können. Zuvor hatten Nawalnys Anwälte und Mitarbeiter erklärt, dass von dem Oppositionellen jede Spur fehle.

Die Anwältin Nawalnys, Olga Michailowa, beklagt seit Sonntagabend, dass sie ihren Mandanten nicht betreuen dürfe. Sie werde nicht zu ihm gelassen, sagte sie dem Radiosender Echo Moskwy am Montag vor der Polizeistation. Die Anwältin hatte am Sonntag auf dem Flughafen Scheremetjewo Nawalny zwar gesehen, Uniformierte verwehrten ihr allerdings, ihn zu begleiten, wie auf einem Video zu sehen war. Auch Menschenrechtler stünden vor dem Polizeigebäude und hätten keinen Zugang, sagte Michailowa. Sie warf den Polizeibehörden Gesetzesverstöße vor, weil Nawalny der rechtlich vorgesehene Schutz verwehrt werde.

Anwälte wollen Urteil anfechten

Nawalny hatte am Sonntag nach fünf Monaten Deutschland, wo er sich von einem Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte, verlassen. Nach seiner Ankunft in Moskau wurde er festgenommen. Die Justiz hatte ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Der Kritiker des russischen Präsidenten Putin soll während seines Aufenthalts in Deutschland gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben. Ihm drohen dreieinhalb Jahre Haft. Nawalny kritisiert das Vorgehen gegen ihn als politisch motiviert. Nawalnys Anwalt Wadim Kobsew kündigte an, das Urteil anzufechten. Nach dem Urteil sagte Nawalnys Sprecherin, der Dissident werde bis zum 15. Februar in Gewahrsam sein.

Polizei in Khimki
AP/Mstyslav Chernov
Polizisten bewachen während Nawalnys Anhörung den Eingang der Polizeistation

„Völlig unhaltbar“

Zuvor hatten sich die internationalen Stimmen, die die umgehende Freilassung Nawalnys fordern, gemehrt. So verlangte auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel seine sofortige Freilassung. „Die russischen Behörden haben das Opfer eines Mordanschlags mit C-Waffen verhaftet und nicht die Täter“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Er erinnerte daran, dass das Urteil gegen Nawalny, dessen Bewährungsauflagen die Grundlage für die Verhaftung sein sollen, vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2017 als willkürlich eingestuft worden sei.

Im Übrigen habe sich Nawalny seit dem Mordanschlag auf ihn in Deutschland zur Rekonvaleszenz aufgehalten. „Es ist völlig unhaltbar, Herrn Nawalny für diesen Zeitraum die Verletzung von Bewährungsauflagen vorzuwerfen.“ Zu missbilligen sei auch, dass die richterliche Anhörung Nawalnys äußerst kurzfristig und auf der Polizeistation am Montagvormittag stattgefunden habe, sagte Seibert.

Internationale Kritik an russischem Vorgehen

Zuvor hatten bereits andere europäische Länder, darunter Österreich, die EU und die USA die Freilassung Nawalnys gefordert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Wir erwarten weiterhin eine ausführliche und unabhängige Untersuchung des Anschlags auf Alexej Nawalny. (…) Wir werden seinen Fall genau verfolgen.“ Die Inhaftierung politischer Gegner stehe im Widerspruch zu Russlands internationalen Verpflichtungen.

Auch die EU-Staaten forderten in einer gemeinsamen Erklärung die sofortige Freilassung Nawalnys und warnten die russische Regierung vor weiteren Repressionen gegen die Opposition und Zivilgesellschaft. „Die Politisierung der Justiz ist inakzeptabel, und die Rechte von Herrn Nawalny müssen respektiert werden“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Text. Bei der Gestaltung ihrer Russland-Politik werde die EU die Entwicklungen miteinbeziehen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte: „Russland muss seine internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit einhalten.“ Es müsse darum gehen, diejenigen vor Gericht zu bringen, die für den Mordanschlag auf Nawalny mit einer verbotenen Chemiewaffe verantwortlich seien.

Russland fordert erneut Beweise für Vergiftung

Der russische Außenminister Sergej Lawrow ließ am Montag die Freilassungsforderungen allerdings ungehört verhallen und forderte einmal mehr trotz der Laborbefunde Beweise von Deutschland für eine Vergiftung Nawalnys. „Erfüllen Sie Ihre internationalen Verpflichtungen“, meinte Lawrow am Montag bei einer Onlinepressekonferenz.

Krisai (ORF) über Alexej Nawalny

ORF-Korrespondent Paul Krisai berichtet aus Moskau über die Verhaftung Alexej Nawalnys und die Gerichtsverhandlung gegen ihn.

Russland habe bei Nawalny keine Vergiftung mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok nachweisen können und leite deshalb keine Ermittlungen ein. Lawrow schlug alternativ vor, dass russische Ärzte und ihre westlichen Kollegen gemeinsam die Proben untersuchen könnten – „damit Vertrauen entsteht“.

Der Minister kritisierte auch die jüngsten Antworten aus Deutschland auf russische Rechtshilfeersuchen im Fall Nawalny als „unwürdig“. Aus seiner Sicht sollten die russischen Ermittler den deutschen Behörden weitere Fragen stellen, damit dort nicht der Eindruck entstehe, die Angelegenheit sei erledigt. Am Freitag hatten die deutschen Behörden mitgeteilt, sie hätten die russischen Gesuche beantwortet. Berlin forderte Moskau zudem erneut auf, das Verbrechen aufzuklären.