Bild zeigt vegane Kürbislasagne und einen grünen Salat.
ORF.at/Dominique Hammer
Michelin-Stern

Fleischlos im Olymp der Kulinarik

„Es ist mehr als ein Restaurant, es ist eine Lebenseinstellung“: So fällt das Urteil des Gastronomieführers Guide Michelin über das ONA in seinem Stammland Frankreich aus. Die „Lebenseinstellung“ bedeutet in diesem Fall den völligen Verzicht auf tierische Produkte und wurde am Montag mit einem Stern belohnt – eine Ehre, die derzeit keinem anderen rein veganen Restaurant in Europa zuteilwird.

Die Auszeichnung kommt zu einem passenden Zeitpunkt, hat doch die Initiative „Veganuary" gerade wieder Saison. Die Bewegung, deren Name sich aus „vegan“ und „January“ (Jänner) ableitet, versucht seit 2014, Menschen zu motivieren, zumindest im ersten Monat des Jahres auf tierische Produkte zu verzichten – aus gesundheitlichen, ethischen oder ökologischen Gründen. Die Zahl der Unterstützenden, darunter auch viele Prominente, wächst stetig.

Das ONA verfolgt eben dieses Ziel. Zusätzlich zum klassischen Michelin-Stern erhielt es auch einen der erst 2020 eingeführten grünen Sterne für Restaurants, die nachhaltige Praktiken wie Recycling, Reduzierung von Lebensmittelabfällen und nachhaltige Beschaffung von Zutaten fördern. Das ONA befindet sich in Ares im Südwesten Frankreichs, der Name steht für Origine Non Animale (nicht tierischen Ursprungs). Das Restaurant wurde 2016 mit Hilfe von Crowdfunding und einem Kredit der ethisch nachhaltigen Bank La Nef gegründet.

Zweifel überwunden

Traditionelle französische Banken hätten ihre Geschäftsidee mit der Begründung abgelehnt, dass die Zukunft der veganen Küche „zu unsicher“ sei, sagte Gründerin und Chefin Claire Vallee. Auch sie selbst habe zunächst Zweifel gehabt, „ob wir gut genug sind, weil pflanzenbasiertes Kochen schwierig und innovativ ist". Als sie am Montag von Michelin über die Sternenvergabe informiert worden sei, habe sie sich gefühlt, „als hätte mich ein Zug überrollt“.

„Wir arbeiten mit saisonalen, biologischen und lokalen Produkten. Auf unserer grünen Terrasse, die im Sommer geöffnet ist, wachsen 140 verschiedene essbare Pflanzen, die wir in unserer Küche verwenden. Unsere Energie ist erneuerbar, und wir haben ein Kompostsystem", wird Vallee auf der Michelin-Website zitiert. Der Gourmetführer würdigte das entsprechend: „Die wunderschön angerichteten Teller zeigen eine prächtige Auswahl an Obst und Gemüse. Das Restaurant verdient die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird.“

Deutsches Sternelokal schmiss hin

Vallee gilt als Pionierin der veganen Küche in Frankreich, gibt aber unumwunden zu, dass andere ihr den Weg bereitet hätten – etwa der verstorbene Jean-Christian Jury, der das Restaurant Mano Verde in Berlin führte. Anderswo in Deutschland fand sich das erste rein vegane Lokal Europas, das von Michelin mit einem Stern ausgezeichnet wurde: das Seven Swans in Frankfurt.

Mit Ende 2020 vollzog es aber die schon lange zuvor angekündigte Schließung. „Sevens Swans muss sterben“ – „Seven Swans must die“ – lautete seitdem das Motto. „Die Gefahr, ein gefälliges, festgefahrenes Produkt als Resultat externer Erwartungen zu werden, ist zu hoch. Ja, wir müssen derselben Liebe, die uns angetrieben hat, die Schwäne ins Leben zu rufen, wieder Raum geben. Deshalb müssen sie sterben“, lautete die Begründung. Mittlerweile heißt es auf der Website nicht mehr „Seven Swans must die“, sondern „Seven Swans is dead“.

Somit verbleibt als das einzige vegane Restaurant weltweit, das neben dem ONA einen Michelin-Stern trägt, das Kajitsu in New York. Über das der japanischen Küche verschriebene Lokal heißt es bei Michelin: „Das Können der Küche ist so groß, dass Sie das Fehlen von Fisch oder Fleisch im Handumdrehen vergessen werden. Es geht um Ausgewogenheit, Harmonie und Einfachheit – und darum, die natürlichen Aromen der Zutaten zur Geltung kommen zu lassen.“

Zeichen stehen auf Umdenken

Dass einer der weltweit angesehensten Restaurantführer einem veganen Restaurant den begehrten Stern verliehen hat deutet jedenfalls darauf hin, dass pflanzliches Essen nicht mehr als Minderheitenprogramm betrachtet wird. Und es zeigt, dass die kulinarische Zukunft eine andere sein wird – mehr und mehr Konsumentinnen und Konsumenten beginnen, ihre Lebensmittelauswahl mit ihrer Sorge um eine sich verschlechternde Umwelt zu verbinden. Mit gutem Grund: Weltweit entfällt auf die Tierhaltung ein Sechstel bis ein Fünftel der jährlichen Treibhausgasemissionen, das ist mehr, als durch den gesamten Verkehr erzeugt wird.

Wiener Schnitzel mit Zitrone.
ORF.at/Christian Öser
In Österreich ist der Fleischkonsum anhaltend hoch

Darauf wird auch in dem am Dienstag publizierten „Fleischatlas“ von Global 2000 und Vier Pfoten verwiesen – „Klimaschutz wird ohne reduzierten Fleischkonsum nicht möglich sein“, heißt es darin. „Der weltweite Fleischkonsum hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt und erreichte 2018 320 Millionen Tonnen. Die Bevölkerung ist gewachsen, die Einkommen sind gestiegen – beide Faktoren haben die Zunahme zu ungefähr gleichen Teilen verursacht. Die Prognosen für die Fleischindustrie waren ohnehin schon gut – bis 2028 wird der Fleischkonsum möglicherweise noch einmal um 13 Prozent wachsen.“

Grafik zeigt Markttrends für Fleisch und Fleischersatz
Grafik: Fleischatlas/ORF.at; Quelle: Fleischatlas 2021/Kearney

Österreich ist diesbezüglich kein Vorbild, nur in wenigen Ländern weltweit wird mehr Fleisch konsumiert. „Vegetarisch ernähren sich Umfragen zufolge etwa vier Prozent der österreichischen Bevölkerung, vegan circa ein bis zwei Prozent“, wird im „Fleischatlas“ berichtet. Das schlägt sich auch in der Umweltbilanz nieder: Mehr als die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen in Österreich entfielen auf das Konto der Nutztierhaltung, in Summe erzeuge die Ernährung der Bevölkerung rund 12,5 Millionen Tonnen CO2 und damit 500.000 Tonnen mehr als der Personenverkehr.

Warten auf Ersatz

Die Hoffnungen ruhen allerorts auf Fleischersatzprodukten, deren Erzeugung in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben wurde. „Fachleute sehen in den kommenden Jahren bei den pflanzenbasierten Alternativen weltweit eine jährliche Wachstumsrate von 20 bis 30 Prozent. 2017 betrug der weltweite Absatzmarkt bereits 4,6 Milliarden US-Dollar. Das ist im Vergleich zu den rund eine Billion Dollar des globalen Fleischmarktes noch immer gering, auch wenn dieser weitaus weniger wächst und in einigen Ländern stagniert“, heißt es im „Fleischatlas“.

Demnächst wird zudem Laborfleisch, also künstlich erzeugtes Fleisch aus tierischen Stammzellen, auf den Markt drängen – Dutzende Start-ups widmen sich mittlerweile diesem Projekt. In Singapur wurde im Dezember vorigen Jahres dem kalifornischen Unternehmen Eat Just erstmals die Genehmigung erteilt, synthetisches Fleisch auf den Markt zu bringen, wenig später wurde es auch in einem gehobenen Restaurant serviert.