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Neue Eskalationsstufe

Pyjama löst die Jogginghose ab

Immer wieder haben Designerinnen und Designer versucht, den Pyjama in den Modeolymp emporzuheben und abseits des Schlafzimmers salonfähig zu machen. Geklappt hat das nur begrenzt. Doch mit andauernden Lockdowns bekommt die kuschelige Schlafuniform eine neue Chance: Getragen wird der Zweiteiler nicht mehr nur im Bett, sondern auch im Homeoffice und auf der Straße.

Dass die Pandemie komfortable Kleidung boomen lässt, zeigte sich bereits im ersten Lockdown. Damals standen elegante Jogginganzüge hoch im Kurs. Doch ein Blick auf die Straße und diverse Modemagazine lässt erahnen – die Sehnsucht nach Abwechslung ist groß, und so setzt neben dem Siegeszug der Sweatpants nun auch jener des Pyjamas ein.

„Im Gegensatz zur ausgebeulten Lieblingsjogginghose umgibt den PJ etwas Edles und Geheimnisvolles“, heißt es beim Modemagazin „Vogue“ etwa. „Pyjamas sind die neuen Sweatpants“, titelt auch die US-Zeitung „Wall Street Journal“. Geht es nach der deutschen „Zeit“, dann ist der Schlafanzug zum Wachanzug avanciert. Gemeint sind vor allem edle Zweiteiler aus Satin oder Seide in satten Farben und mit verspielten Mustern.

Vom Auslaufmodell zum Verkaufsschlager

Fakt ist: Der Pyjama, der noch vor wenigen Jahren ob veränderter Schlafgewohnheiten als Auslaufmodell galt, ist zum Verkaufsschlager geworden. Das zeigt unter anderem der „How we Shop, Live and Look“-Bericht der britischen Department-Store-Kette John Lewis. Diesem zufolge nahmen die Verkäufe von Loungewear und Leggings 2020 im Vergleich zum Mai 2019 um 1.303 Prozent zu. Das Unternehmen rechnet damit, dass der Pyjama-Hype 2021 ungebrochen bleibt.

Dass mit dem kuscheligen Schlafanzug gutes Geld gemacht werden kann, witterten wenig überraschend auch die ganz Großen der Modewelt. Das französische Designerlabel Dior rief Ende 2020 erstmals eine eigene Loungewear-Kollektion namens Dior Chez Moi ins Leben. Geboten werden schicke – und sündhafte teure – Schlafanzüge aus Seide und Baumwolle. Das italienische Label Fendi lancierte im Zuge seiner Herbst/Winter 2021/2022 Männerkollektion pyjamaartige Hosen in neutralen Farbtönen und an Schlafmäntel erinnernde Winterjacken.

Pyjama als Luxusgut?

Dior und Fendi sind freilich nicht die Einzigen, die zurzeit auf Kuschelmode bauen. Das Angebot an Farben, Mustern, Stoffen und Schnitten ist riesig, erhältlich sind die Modelle zudem in den unterschiedlichsten Preisklassen – wenngleich die pandemiebedingt kriselnde Modewelt natürlich suggerieren möchte, dass es gerade heutzutage gerechtfertigt ist, in hochwertige und meist hochpreisige Ware zu investieren. Der Pyjama wird zum Luxusgut.

„Unsere Wahrnehmung dieser Kleidungsstücke hat sich verändert“, sagte Modefachfrau Lorna Hall vom Londoner Trendforschungsagentur WGSN gegenüber dem „Wall Street Journal“. „Wir wissen sie nun mehr zu schätzen, und viele von uns sind bereit, mehr Geld dafür auszugeben, weil wir so viel Zeit darin verbringen.“ In traditionelle Alltagskleidung zu investieren sei für viele aktuell „Geldverschwendung“, so Hall. Pyjamas würden hingegen als gerechtfertigbarer Luxus erscheinen.

Auf Coco Chanels Spuren

„Der Pyjama gewinnt seit etwa drei Jahren wieder mehr Präsenz, weil ein Bewusstsein darüber entstanden ist, dass es nicht egal ist, in welchem Material wir schlafen. Da geht es auch um Selfcare“, sagte die Gründerin des Münchner Sleepwear-Labels Nele Köstler gegenüber „Zeit“. Die Modeindustrie versuchte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, dem Schlafanzug ein neues, frisches Image zu verschaffen: Mitte der 90er zelebrierten etwa Calvin Klein sowie Dolce & Gabbana den Pyjama. Seit den 2000ern waren es unter anderen auch Marc Jacobs und Louis Vuitton.

Wichtigste Wegbereiterin des Schlafanzugs ist dabei aber keine geringere als die französische Modeikone Coco Chanel, die das erste Damenmodell Anfang des 20. Jahrhunderts entwarf. Der Schlafanzug orientierte sich an der typischen Männersilhouette, die britische Kolonialherren Ende des 19. Jahrhunderts aus Indien mitbrachten. Mit Chanel galten in den 1930ern auch „Strand-Pyjamas“ als en vogue.

Chic und bequem durch 2021

Doch wie soll man den Schlafanzug heutzutage tragen – vor allem außerhalb der eigenen vier Wände? Geht es nach der New Yorker Modeexpertin Roopal Patel, dann ist die Kombination mit Blazer, Kitten Heels oder Loafers besonders elegant. „Vogue“ empfiehlt wiederum den Schlafanzug mit Trenchcoat, weißen Sneakers und Schmuck zu tragen. Kombinieren lässt sich der Pyjama natürlich auch mit einem weiteren großen Trend, der uns 2021 – zumindest wenn man sich auf die hohen Suchanfragen auf der Fotoplattform Pinterest stützt – begleiten dürfte: Athflow.

Athflow beschreibt eine Mischung aus Athleisure und Eleganz, also gemütliche, aber zugleich schicke Kleidung. Charakteristisch dafür sind weite Hosen, Hemden in Übergröße und generell locker sitzende Zweiteiler aus Wolle oder Baumwolle. Auch heimische Fair-Fashion-Unternehmen wie We Bandits, Dariadeh und The Slow Label setzen bereits darauf.

Eine goldene Regel gelte es in Sachen Schlafanzug aber zu beachten, meint Mariela Rovito, Mitgründerin des Loungewear-Labels Eberjey. Das Haus sollte man in Pyjamas nur gut gepflegt verlassen: „Man kann nicht Pyjama tragen und unfrisiert sein. Das ist keine gute Kombination.“