Eine junge Frau mit gelbem Pullover tippt auf ihrem Smartphone
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Ehrgeizige Pläne

WhatsApp soll „die eine für alles“ werden

In den letzten Wochen ist WhatsApp in Bedrängnis geraten: Sorgen über Datenmissbrauch durch die neuen Nutzungsbedingungen haben dem Messenger einen ordentlichen Dämpfer verpasst. Tatsächlich zielen die Regeln laut dem Datenschutzjuristen Alan Dahi von der NGO noyb aber eher darauf ab, WhatsApp als Kommunikationsmittel zwischen Privatpersonen und Unternehmen aufzubauen. Langfristig soll Facebook dabei auf ein Modell a la WeChat schielen – jenes Service, ohne das in China gar nichts mehr geht.

Viele dürften in den vergangenen Wochen in der eigenen Kontaktliste gemerkt haben, dass WhatsApp Opfer einer temporären Abwanderungsbewegung wurde. De facto ist der Chat aber nach wie vor Platzhirsch auf dem Markt – zwei Milliarden Menschen verwenden den Messenger. Aber: Nur 175 Millionen davon kommunizieren über WhatsApp mit Unternehmen.

Für WhatsApp wäre der Ausbau von Kunden-Unternehmen-Kommunikation via Chat also eine Goldgrube. Damit könnte das Unternehmen nicht nur seine Nutzerzahlen (mit zahlenden Business-Usern) enorm in die Höhe treiben, sondern auch noch mehr Nutzungszeit aus seinen Usern pressen und sie enger an ihre Chats binden.

Kundenservice, Tickets, Buchungen, Einkauf

Hier kommen die neuen Nutzungsbedingungen ins Spiel, die Kommunikation zwischen Nutzern und Unternehmen erleichtern und verbessern soll. Kundenberatung und Einkäufe per Chat, Zahlungen, die Zusendung von Bestell- und Versandbestätigung, Kundenservice, Infos über Flug-, Hotel- und Ticketbuchungen und natürlich auch (personalisierte) Werbung: All das soll künftig einfacher über WhatsApp abgewickelt werden können.

Grafik zu Downloads von Messenger-Apps
Grafik: ORF.at; Quelle: Apptopia

Für viele Unternehmen ist das durchaus attraktiv: Zum einen wird vor allem unter Jüngeren immer weniger telefoniert und mehr geschrieben. Zum anderen lassen sich durch Kundenservice-Bots auch gewisse Prozesse vereinfachen. „Man will, dass diese Apps Vielfalt entwickeln“, erklärt der Datenschutzjurist Dahi gegenüber ORF.at. Die Vision sei, aus WhatsApp eine Art „One-Stop-Shop“ zu machen.

Grob, ungenau und pauschal formuliert

Dabei geht es dem Onlineriesen in einem ersten Schritt darum, WhatsApp, Facebook (und den integrierten Messenger) sowie Instagram enger zu verzahnen. Facebook plant dafür unter anderem eigene Business-Services, mit denen Firmen ihre Kunden verwalten, Fragen beantworten und Informationen wie Kaufbelege verschicken können – auch an WhatsApp-Nutzer. Zudem sollen auch Werbungen auf Facebook und Instagram eine Kontaktaufnahme via WhatsApp möglich machen.

Ein Kunde scannt einen QR-Code auf seinem Handy zur Bezahlung auf einem Markt in Peking (China)
Reuters/Thomas Peter
Das App-Prinzip „eine für alles“ gilt besonders in China. Dort haben Apps wie WeChat und AliPay zahlreiche Funktionen.

Die dabei gesammelten Daten können dabei freilich wieder auch für Marketingzwecke verwendet werden – so wurde etwa der Passus „Wir möchten nicht, dass du das Gefühl hast, Spam zu erhalten“ aus den neuen Nutzungsbedingungen entfernt. Dahi merkt zudem kritisch an, dass sich Facebook auch bei den neuen Nutzungsbedingungen wie üblich zahlreiche offene Spielräume gelassen habe. Viele Hinweise bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen bei der Kommunikation zwischen Nutzern und Unternehmen seien relativ ungenau, grob und pauschal formuliert – „ein generelles Problem“ bei Facebook-Unternehmen.

„In der Praxis verwischt sich das“

Aus Sicht des Datenschutzes könnte es Dahi zufolge bedenklich werden, wenn Unternehmen ihre Kommunikation zu sehr auf WhatsApp verlagern. Es sei „immer bedenklich, wenn Unternehmen nur einen bestimmten Dienst nutzen“. Die Kundschaft sei dann gezwungen, die negativen Aspekte dieser Kontaktart in Kauf zu nehmen. Hat sie aber die Wahl zwischen Post, Telefon, Mail, einem persönlichen Gespräch oder eben Messenger und entscheidet sich dann trotzdem für Letzteres, willigt sie bei Nutzung mit allen Konsequenzen ein.

Den datenschutzrechtlichen Aspekt sollte man sich vor allem vor Augen halten, wenn heikle Informationen, Verträge oder Dokumente via WhatsApp verschickt werden. Für Unternehmen heißt das, dass sie gemäß der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) mit WhatsApp einen Vertrag über die Auftragsdatenverarbeitung abschließen sollten. Die Verantwortung für sämtliche im Rahmen der Kommunikation erhobenen Daten liegt bei den Unternehmen. WhatsApp darf die Daten rechtlich gesehen nur so verwenden, wie es der Vertrag vorsieht. Das Problem: „In der Praxis verwischt sich das“, so Dahi.

Profil per Assoziation

Dahi weist erneut darauf hin, dass im Gegensatz zu medial kolportierten Informationen in der EU keine neuen Informationen von WhatsApp an Facebook weitergegeben würden. Das bedeute aber nicht, dass der Onlinekonzern keine Daten über seine Nutzer und Nutzerinnen sammle: „Nur weil meine WhatsApp-Nachrichten Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind, heißt das nicht, dass keine Informationen über mich erhoben werden. WhatsApp hat Zugriff auf mein Adressbuch und weiß, wann ich mit wem kommuniziere. Es kann ein Profil via Assoziation erstellt werden, ohne dass ein Unternehmen dezidiert weiß, was ich schreibe.“

So ließen sich beispielsweise Informationen über Gewohnheiten, Sexualität, Bekanntenkreis oder die sozioökonomische Lage von Nutzerinnen und Nutzern sammeln. Auch bei Facebook könne man „stillem Datensammeln“ angesichts von Trackern und anderen Facebook-Einbettungen im Web kaum entkommen. Bei einer Fusion zwischen Facebook, WhatsApp und Instagram könnten hier noch ausführlichere Personenprofile erstellt werden. Das hätte hinsichtlich des Datenschutzes große Sprengkraft, sei aber technologisch schwierig durchzuführen und dürfte sehr wahrscheinlich die Regulatoren auf den Plan rufen.

China im Blick

In einem ersten Schritt scheint Facebook zu versuchen, WhatsApp für den Alltag noch unentbehrlicher zu machen. Es wird gemutmaßt, dass sich das Unternehmen bei dieser Strategie an den digitalen Ökosystemen Chinas orientiert, die rund um wenige Apps entstanden sind. Dienste wie WeChat dienen dort längst nicht mehr nur zum Chatten, sie sind gleichzeitig Bezahldienst, Soziales Netzwerk und ermöglichen mit integrierten Mini-Apps Behördengänge, Spiele, Essens- und Fahrdienstbestellungen, Flug- und Hotelbuchungen und Ähnliches. Seit diesem Jahr kann auch der CoV-Gesundheitsstatus einer Person in WeChat integriert werden. Diese Apps sind untrennbar mit den persönlichen Daten verknüpft und unterliegen der Kontrolle der chinesischen Regierung.

Facebook ist übrigens nicht der einzige Messenger-Dienst, der zunehmend auf die Kommunikation zwischen Unternehmen und Privatpersonen setzen will. Auch Telegram kündete zuletzt an, dass die App für „Premiumnutzer“ wie Unternehmen kostenpflichtig werde. Telegram will außerdem eine eigene Werbeplattform starten, um dort Anzeigen zu schalten. Fachleute empfehlen für sichere und private Kommunikation nach wie vor die App Signal, hinter der eine gemeinnützige Stiftung steht.