Demonstration in Moskau
AP/Dmitri Lovetsky
Demos in Russland

Nawalnys Ehefrau bei Protesten verhaftet

Bei den Protesten in Russland zur Freilassung des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und gegen Präsident Wladimir Putin ist Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja bei der Demonstration in Moskau am Samstag festgenommen worden. Auch Nawalnys engste Mitarbeiterin, die Juristin Ljubow Sobol, wurde verhaftet. Nach Angaben der Beobachtergruppe OVD-Info wurden landesweit Hunderte Menschen festgenommen.

„Bitte entschuldigt die schlechte Bildqualität“, schrieb Nawalnaja am Samstag zu einem von ihr veröffentlichten Foto im Onlinedienst Instagram. Es zeigt sie in einem Gefangenentransporter der Polizei in der russischen Hauptstadt. Wenige Stunden später wurde sie nach Medienberichten wieder freigelassen. In den vergangenen Tagen waren bereits zahlreiche Mitstreiter des Oppositionspolitikers festgenommen worden, darunter seine Pressesprecherin Kira Jarmysch.

Unter den Tausenden Protestierenden in Moskau waren viele junge Leute und Angehörige der Mittelschicht. Anders als bei nicht genehmigten Kundgebungen in der Vergangenheit war der zentrale Puschkin-Platz nicht weiträumig abgesperrt. Mobilfunk und Internet waren von Ausfällen betroffen, wie auf der Beobachtungsseite Downdetector.ru ersichtlich war. Um die Kommunikation der Protestorganisation und Protestteilnehmer zu behindern, griffen die russischen Behörden schon in der Vergangenheit öfter in die Telekommunikationsinfrastruktur ein.

Alexei Nawalny und Ehefrau Yulia Nawalny
AP/Mstyslav Chernov
Nawalny und seine Ehefrau Julia Nawalnaja

Tausende in Moskau auf der Straße

Reuters-Augenzeugen schätzten die Zahl der Demonstranten im Zentrum der russischen Hauptstadt auf mindestens 40.000. Das Innenministerium bezifferte die Zahl der Versammlungsteilnehmer auf rund 4.000, wie die amtliche Nachrichtenagentur TASS berichtete. Landesweit zählte die Bürgerrechtsorganisation OWD bis zum Abend mehr als 1.600 Festnahmen. Die Proteste galten schon kurz nach deren Beginn als die größten der letzten Jahre.

Demonstration in Moskau
Reuters/Anton Vaganov
Tausende bei der Demonstration in Moskau

Laut der russischen Staatsagentur TASS wurden bei den Protesten mehr als 40 Sicherheitskräfte verletzt. Dabei habe es sich aber hauptsächlich um leichtere Verletzungen gehandelt. Niemand sei ins Krankenhaus gebracht worden. Demonstranten bewarfen etwa die Einsatzkräfte mit Schneebällen. Die Staatsagentur Ria Nowosti meldete, dass drei Polizisten mit weißer Farbe übergossen worden seien.

Die überwiegende Mehrheit der Menschen demonstrierte allerdings friedlich gegen das Vorgehen der russischen Behörden gegen Nawalny. Immer wieder kam es jedoch zu brutalen Festnahmen von Demonstranten, wie etwa Reporter der dpa berichteten. Fernsehbilder zeigten, wie vermummte Sicherheitskräfte auf wehrlose Demonstranten einschlugen. Das russische Ermittlungskomitee untersuche nun Fälle von Gewalt gegen Polizisten, sagte eine Sprecherin.

Schläge bei Verhaftung mitgefilmt

Auch in den Städten Wladiwostok, Irkutsk und Tomsk, wo Nawalny im August Opfer eines Anschlags mit dem Nervengift Nowitschok wurde, versammelten sich trotz eisiger Temperaturen Hunderte Demonstranten. Sie skandierten „Wir sind die Macht“ und „Putin ist ein Lügner“. In der Großstadt Chabarowsk, die Moskau aufgrund der Zeitverschiebung sieben Stunden voraus ist, veröffentlichten Aktivisten am Samstag Videos von Polizisten, die Demonstranten schlagen und in Gefangenentransporter stecken.

Videoaufnahmen aus Wladiwostok an Russlands Pazifikküste zeigten Polizisten, die eine Gruppe von Demonstranten durch die Straßen jagten. Es gab aber auch Berichte von Sicherheitskräften, die nicht eingriffen, sondern die Menschen marschieren ließen. Die russischen Behörden drohen mit hohen Strafen für die Teilnahme an den nicht genehmigten Kundgebungen am Samstag.

„Enthüllungsvideo“ veröffentlicht

Nawalnys Anhänger hatten für Samstag in mehr als 90 russischen Städten zu Protesten aufgerufen. Sie fordern die Freilassung des Oppositionellen, der am Montag in einem umstrittenen Eilverfahren mit 30 Tagen Haft belegt worden war. Nawalny soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte. Der 44-Jährige und sein Team sehen das Vorgehen der Justiz als politisch motiviert an.

Polizisten nehmen Demonstranten in Moskau fest
AP/Dmitri Lovetsky
Ein Demonstrant in Moskau wird von den Sicherheitskräften entfernt

Nawalnys Team hatte Anfang der Woche unter dem Titel „Ein Palast für Putin“ ein „Enthüllungsvideo“ veröffentlicht, das beweisen soll, dass der Präsident sich aus Schmiergeldern ein „Zarenreich“ am Schwarzen Meer bauen ließ. Der Kreml bezeichnet die Vorwürfe in dem mehr als 67 Millionen Mal angeklickten Film als „Unsinn“ und „Lüge“. Nawalny macht Langzeitstaatschef Wladimir Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im August verantwortlich. Putin und der FSB weisen das zurück.

Moskau kritisiert US-Botschaft

Nawalny war am Montag in Moskau in einem umstrittenen Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Er soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Attentat erholte. Ihm drohen weitere Prozesse und viele Jahre Gefängnis. Hinter dem Anschlag gegen ihn mit dem Nervengift Nowitschok vom 20. August sieht er ein „Killerkommando“ des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Wladimir Putins Befehl. Putin und der FSB weisen die Anschuldigungen zurück.

Moskau verbat sich am Samstag auch erneut rund um die Straßenproteste eine Einmischung aus dem Ausland. Das russische Außenministerium kritisierte in einer Mitteilung die US-Botschaft in Moskau, die mehrere der geplanten Demonstrationen mit genauen Treffpunkten und Uhrzeiten aufgelistet hatte. Unter dem Deckmantel der Sorge um die Sicherheit von US-Bürgern im Ausland wolle Washington die Proteste in Russland anheizen, kritisierte Moskau. Die Verhaftung Nawalnys am vergangenen Sonntag hatte international Empörung in westlichen, demokratischen Ländern ausgelöst und Forderungen nach einer sofortigen Freilassung nach sich gezogen.

Nawalny-Vertrauter befürchtet zweites Giftattentat

Leonid Wolkow, ein enger Verbündeter Nawalnys, appellierte unterdessen an die russische Zivilgesellschaft, die Freilassung des prominenten Regierungskritikers zu erwirken. „Straßenproteste sind in Russland das einzige Mittel, jemanden aus dem Gefängnis herauszubekommen“, sagte Wolkow der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ laut Vorausmeldung. Wolkow sagte, es sei in Russland schon vorgekommen, dass Oppositionelle zweimal hintereinander vergiftet worden seien. Deshalb sei „der einzige Schutz“ für Nawalny „maximale Sichtbarkeit und Unterstützung in der Bevölkerung“.

Prominente russische Kulturschaffende, darunter Musiker, Autoren und Schauspieler, solidarisierten sich in einem Video mit Nawalny und riefen zu Protesten auf. Der Schriftsteller Dmitri Gluchowski sagte, dass es Momente im Leben gebe, in denen Schweigen fehl am Platz sei. Auch die Musiker von Noize MC, Anacondaz und der international bekannte Regisseur Witali Manski riefen im Clip „Freiheit für Alexej Nawalny!“ dazu auf, nicht gleichgültig zuzuschauen, wenn Menschen politisch verfolgt und grundlos eingesperrt würden.

Nawalny-Anwalt will Anschlag vor UNO bringen

Der zum Anwaltsteam von Nawalny gehörende Nikolaos Gazeas sagte im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“ (Samstag-Ausgabe), die Festnahme seines Mandanten bei seiner Rückkehr nach Moskau auf dem Flughafen und dessen Inhaftierung stellten eine „neue Qualität der Willkür“ dar. „Die Festnahme ist rechtswidrig.“ Die Maßnahmen gingen auf ein Urteil zurück, bei welchem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) „Verstöße gegen die fundamentalsten Rechtsstaatsprinzipien festgestellt“ habe. Dass die russischen Behörden Nawalny vorwerfen, er habe gegen Bewährungsauflagen verstoßen, als er nach dem Giftanschlag im Koma lag und sich nicht bei den zuständigen Ämtern meldete bzw. nicht auf amtliche Briefe reagierte, sei „geradezu grotesk“, so Gazeas weiter.

Der in Köln in Deutschland tätige Strafverteidiger will den Giftanschlag vor die UNO bringen. „Der Fall Nawalny ist keineswegs nur ein Fall einer inneren Angelegenheit Russlands. Mein Mandant ist Opfer eines Mordversuchs, der unter Einsatz einer international geächteten und verbotenen Substanz, einer chemischen Waffe, unternommen worden ist. (…) Man könnte die Nowitschok-Vergiftung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Sprache bringen und eine Aussprache hierüber verlangen. Denn es geht um einen sehr schweren Verstoß gegen die UNO-Chemiewaffenkonvention. Der Sicherheitsrat wäre ein Format, bei dem sich Russland der Erörterung nicht verweigern könnte.“