Impfstoffproduktion für AstraZeneca
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Ratspräsident

EU muss für Impfdosen „kämpfen“

Nach der Ankündigung von Verzögerungen bei der Lieferung von Coronavirus-Impfstoffen an die Europäische Union hat EU-Ratspräsident Charles Michel Aufklärung über die Gründe verlangt. Um die Einhaltung der Verträge zu gewährleisten, könne die EU auch „juristische Mittel“ nutzen.

„Wir erwarten, dass die von den Pharmaunternehmen bestätigten Verträge eingehalten werden“, sagte Michel am Sonntag dem französischen Sender Europe 1. Darüber hinaus verlange die EU von den Unternehmen einen „transparenten Dialog“.

AstraZeneca hatte am Freitag mitgeteilt, dass es der EU zunächst weniger CoV-Impfdosen liefern könne als vorgesehen. Grund seien Probleme in „einem Werk in unserer europäischen Lieferkette“. Eine Woche zuvor hatte Pfizer über Lieferverzögerungen des Biontech-Impfstoffs wegen Umbaumaßnahmen in einem Werk im belgischen Puurs informiert.

„Auf den Tisch gehaut“

Michel zeigte in dem Interview Verständnis, dass beim Aufbau von Produktionskapazitäten und Lieferketten für die Impfstoffe „Hindernisse“ auftreten. Die EU müsse aber „die Ärmel hochkrempeln und dafür kämpfen“, die genauen Gründe für Lieferverzögerungen zu erfahren und sie einzudämmen. Als die EU wegen der Verzögerungen bei Biontech/Pfizer „auf den Tisch gehaut“ habe, seien schließlich „die angekündigten Verzögerungen von mehreren Wochen verringert“ worden.

EU-Ratspräsident Charles Michel
AP/Olivier Hoslet
Der Ratspräsident glaubt an die Verhandlungsmacht der EU

Nach Angaben aus der EU-Kommission soll es nun an diesem Montag ein weiteres Treffen des Lenkungsausschusses zur EU-Impfstrategie zu den Verzögerungen geben. Die Brüsseler Behörde geht eigentlich davon aus, dass die Mitgliedsstaaten mit den von ihr eingekauften Impfstoffen bis Ende des Sommers mindestens 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung impfen können. Ratspräsident Michel räumte am Sonntag ein, dass dieses Ziel nur schwierig zu realisieren sein werde.

Auch Rom kündigte am Sonntag den Einsatz rechtlicher Instrumente an: „Diese Verlangsamungen der Lieferungen stellen schwere Vertragsverletzungen dar, die in Italien und anderen europäischen Ländern enorme Schäden verursachen“, so Ministerpräsident Guiseppe Conte. Zudem kündigte das Land bereits offiziell Verzögerungen in der Impfkampagne an.

So wird erst in vier Wochen die Impfung von Senioren im Alter von über 80 Jahren beginnen, teilte Vizegesundheitsminister Pier Paolo Sileri am Sonntag im Interview mit RAI 1 mit. Bei der Impfung des Rests der Bevölkerung wird es zu Verzögerungen von bis zu zwei Monaten kommen. Italien will der zweiten Impfung jener Personen Priorität geben, denen bereits eine erste Dosis injiziert wurde. Seit Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember wurden circa 1,35 Millionen Menschen geimpft.

Zulassung mit Fragezeichen

AstraZeneca hat seinen Impfstoff zusammen mit der britischen Universität Oxford entwickelt. Er wird in Großbritannien bereits genutzt. Am 29. Jänner könnte die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) auch grünes Licht für die EU geben. Noch ist aber nicht klar, ob die Zulassung auch alle Altersgruppen umfassen wird. Da in die Studien womöglich zu wenige Menschen über 65 Jahren eingebunden waren, könnte eine Zulassung für diese Altersgruppe wackeln.

Noch keine Detailzahlen zu Ausfällen

Das wäre neben den angekündigten Lieferverzögerung ein weiterer herber Rückschlag für die Impfpläne in vielen europäischen Ländern. Wie groß die Lieferausfälle tatsächlich ausfallen, wollte AstraZenecca bisher nicht beziffern. „Wir werden im Februar und März Dutzende Millionen Dosen an die Europäische Union liefern, und wir erhöhen weiterhin die Produktionsmengen“, versicherte sie.

Klar scheine, dass die von AstraZeneca erwarteten Liefermengen im Februar deutlich kleiner zu werden drohen, teilte das heimische Gesundheitsministerium am Samstag in einer Aussendung mit: „von geplanten 650.000 auf 340.000 Dosen“. Noch größer drohe die Verringerung im März zu werden, geplant gewesen seien für diesen Monat 1,1 Millionen Dosen. Die Detailsumme sei hier allerdings noch nicht fixiert.

Auer: Haben Liefer-, kein Bestellproblem

Zu der Verzögerung bei der Impfstofflieferung äußerte sich am Samstag auch Clemens Auer, Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums beim Österreichischen Impftag, der online abgehalten wurde. „Wir haben kein Bestellproblem, wir haben ein Lieferproblem“, so Auer. Er verteidigte das Vorgehen von EU und Österreich. Etwa im März vergangenen Jahres hätte es – so Auer – noch sehr nach einem Wettlauf der einzelnen Länder um die Covid-Impfstoffe ausgesehen. Das habe die EU aber durch eine rasche Entscheidung verhindern können: „Wir haben innerhalb von kurzer Zeit einen Entschluss gehabt, gemeinsam zu beschaffen.“

Die EU-Mitgliedsländer hätten damit das Portfolio an Vakzinen auch gemeinsam verhandelt und die gleichzeitige Belieferung nach den Bevölkerungsanteilen vereinbart. Mit der gemeinsamen Verhandlungsposition seien auch bessere Vertragskonditionen möglich geworden. „Die Firmen wollten am Anfang einen unendlich hohen Preis“, so Auer. Ein Pharmaunternehmen habe 120 Euro pro Dosis verlangen wollen. „Die Firmen wollten Vertragsklauseln, wo alle Haftungsklauseln ausgehebelt worden wären.“ Hier habe die Marktmacht von 450 Millionen Einwohnern für deutlich bessere Konditionen gesorgt.

Kommission verteidigt Strategie

Der EU-Kommission wird seit Längerem vorgeworfen, sich nicht rechtzeitig genug ausreichend Impfstoff gesichert zu haben. Die Brüsseler Kommission argumentiert hingegen, dass zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen noch gar nicht klar gewesen sei, welche Impfstoffe am Ende überhaupt zugelassen werden können. Deswegen sei es richtig gewesen, auf unterschiedliche Anbieter und Konzepte zu setzen.

Nach eigenen Angaben hat die Kommission bisher sechs Verträge über 2,3 Milliarden Dosen künftiger Impfstoffe genehmigt. So gibt es beispielsweise mit Biontech/Pfizer Abmachungen über 600 Millionen Dosen und mit AstraZeneca über bis zu 400 Millionen Dosen. Bereits in einigen Monaten werde man in Europa mehr Impfstoffe haben, als man brauche, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt.