Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in Wien
ORF.at/Carina Kainz
Wirecard, Casinos

Enthüllungen setzen BVT unter Druck

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) steht erneut im Scheinwerferlicht: Konkret sollen frühere Mitarbeiter des Staatsschutzes dem Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek zur Flucht verholfen haben und für das Unternehmen nebenberuflich tätig gewesen sein. Und – womöglich – unabhängig davon: Ein BVT-Beamter soll einer Spionin Informationen aus der Glücksspielbranche geliefert haben.

Wie der „Standard“ am Montag berichtete, bestätigte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) laufende Ermittlungen gegen den ehemaligen Verfassungsschützer H. B. wegen seiner Tätigkeit für die Spionin Nina W. Unter Berufung auf einen Bericht des Bundesamtes zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) schrieb der „Standard“, dass W. 2015 im Auftrag des Glücksspielkonzerns Novomatic in der Branche spioniert habe. Konkret soll sie mit Hilfe des BVT-Beamten ein Dossier über Probleme bei der Sazka-Gruppe erstellt haben. Das Dossier soll anschließend auch im Finanzministerium unter Hans Jörg Schelling (ÖVP) aufgetaucht sein.

2015 hatte die Novomatic begonnen, bei der Casinos Austria AG (CASAG) mitzumischen. Sazka-Eigentümer Karel Komarek stieg ebenfalls ein und kündigte an, weiter aufstocken zu wollen. Es folgte ein Streit, der vorübergehend „geschlichtet“ wurde, aber nie richtig gelöst. Heute ist die Sazka-Gruppe die Mehrheitseigentümerin der CASAG, die Novomatic trat ihre Anteile ab.

Gegenüber dem „Standard“ sagte der Anwalt des Konzerns, dass W. „einmalig“ von der Novomatic beauftragt worden sei. Da die Sazka-Gruppe und die Novomatic damals ihre Anteile erhöhen wollten, sei es aus „Compliance-Gründen“ notwendig gewesen, „ausreichende Informationen über diesen anderen Mitgesellschafter einzuholen, um eine entsprechende Risikoprüfung vornehmen zu können“.

Zentrale der Casinos Austria und Österreichischen Lotterien
ORF.at/Christian Öser
Um die Anteile der Casinos Austria entbrannte 2015 ein Streit, der erst 2019 endete

FPÖ will Schelling laden

Damit sei eben W. beauftragt worden, die laut Angaben des Novomatic-Anwalts keine Informationen lieferte, die „über allgemein zugängliche Internet- und Medienartikel“ hinausgingen. Medienarbeit wurde seitens der Novomatic dazu keine betrieben, mit W. wurde nicht weiter zusammengearbeitet. In einer Pressekonferenz am Montag thematisierte auch die FPÖ die Angelegenheit. Laut den Freiheitlichen hätten die Ergebnisse der Spionin und des BVT-Beamten der Sazka dazu geführt, „die Politik gegenüber der Sazka-Gruppe positiv zu stimmen“. Die Spionin habe eine „Doppelrolle“ gespielt.

In der Causa Casinos, in der gegen ehemalige Politiker und CASAG-Aufsichtsräte Ermittlungen laufen, geht es unter anderem um die Postenbestellung des Ex-FPÖ-Bezirkspolitikers Peter Sidlo. Er war Kandidat der Novomatic, der, so die Ermittler und Ermittlerinnen, im Gegenzug Glücksspiellizenzen versprochen worden seien. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Die FPÖ will jedenfalls nun den früheren Finanzminister Schelling in den U-Ausschuss laden. Außerdem plant FPÖ-Fraktionschef Christian Hafenecker auch, stärker die Verbindungen zwischen Wirecard und der ÖVP zu beleuchten.

Fahndungsfoto des Ex-Vertriebsvorstand von Wirecard, Jan Marsalek
APA/Bundeskriminalamt/BKA
Jan Marsalek

Denn die FPÖ sieht in der Festnahme der ehemaligen BVT-Beamten in der Causa Wirecard weniger ihr Problem als jenes der ÖVP. Vergangene Woche wurden Martin W. und ein weiterer Ex-BVT-Beamter im Zuge der Ermittlungen zu Marsalek festgenommen. W. ist wieder auf freiem Fuß. „Die Karrieren sind unter tiefschwarzer Führung entstanden“, verwies er auf die Amtszeit von Wolfgang Sobotka und Johanna Mikl-Leitner. Auch der ehemalige FPÖ-Abgeordnete Thomas S. wurde vergangene Woche festgenommen. Gegen ihn laufen Ermittlungen in der Causa Wirecard, im Gefängnis sitzt er wegen einer bereits im Vorjahr eingebrachten Betrugsanklage.

Die ÖVP reagierte umgehend auf die Vorwürfe der FPÖ und warf dem damaligen Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vor, „das BVT als Scherbenhaufen“ hinterlassen zu haben. „Der Realitätsverlust der FPÖ treibt täglich neue Blüten, die klar aufzeigen, dass der Kickl-Flügel regierungsunfähig ist“, sagte ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer in einer Aussendung.

W.s Rolle in der BVT-Affäre

Der ehemalige BVT-Abteilungsleiter W., früher für „Informationsbeschaffung und Ermittlung“ zuständig und Zeuge im Untersuchungsausschuss, soll gemeinsam mit Ex-FPÖ-Mandatar S. die Flucht von Marsalek vergangenen Sommer mit einem Privatjet von Bad Vöslau ins weißrussische Minsk orchestriert haben. W. wurde nach seiner Einvernahme wieder auf freien Fuß gesetzt. S. befindet sich in U-Haft, weil gegen ihn in einer anderen Causa eine Anklage anhängig ist und daher Tatbegehungsgefahr vermutet wird.

In der Causa Wirecard soll S. im Juni 2020 die Ausreise von Marsalek aus der EU organisiert haben. Der Börsengigant Wirecard war da gerade im Begriff einzustürzen: Marsalek wird Bilanzfälschung in Höhe von 1,9 Milliarden Euro vorgeworfen. Der Ex-FPÖ-Mandatar koordinierte mit zwei Piloten jenen Flug, der Marsalek von Bad Vöslau ins weißrussische Minsk brachte. Der Anwalt von S. bestätigte auf APA-Anfrage zwar, dass er einen Flug für den flüchtigen Marsalek organisiert hatte. Strafbar habe er sich damit aber nicht gemacht, weil damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek bestand.

Angeheuert wurde der Freiheitliche offenbar von W. Dem Ex-BVT-Mann eilt im Bundesamt nicht nur der Ruf als Intrigant voraus, er wird auch verdächtigt, Urheber eines Konvoluts zu sein, das schwerwiegende, aber teils falsche Vorwürfe gegen eine Vielzahl von Beamten erhob und das als Grundlage für Hausdurchsuchung im BVT unter Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) diente. Wie der spätere U-Ausschuss zeigte, hatte das Kabinett Kickls die WKStA zum Handeln gedrängt und der Staatsanwaltschaft eine Reihe von Belastungszeugen gegen BVT-Beamte besorgt, darunter auch W.

Festgenommener suspendiert

Mit den jüngsten Ereignissen rückt auch die Razzia im Februar 2018 in neues Licht. Schon im Sommer war bekanntgeworden, dass Marsalek, der acht Reisepässe besitzt, regelmäßig Insiderinformationen aus dem Verfassungsschutz erhalten hatte. Er gab diese über den damaligen Generalsekretär der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG) an den FPÖ-Politiker Johann Gudenus weiter. Sowohl Gudenus als auch Marsalek waren, genau wie zahlreiche weitere hochrangige Politiker und Unternehmer, in der ORFG engagiert.

Der zweite involvierte BVT-Mann war medial bisher wenig bekannt. Es handelt sich um einen Villacher, der Polizeiattache in Rom und Vertrauter von W. gewesen sein soll. Gegen ihn gab es laut „Standard“ mehrfach Verdachtsmomente wegen Russland-Spionage, außerdem ein Disziplinarverfahren in Zusammenhang mit angeblichem Fehlverhalten als Verbindungsbeamter in der Türkei. Laut „Presse“ gilt er auch als Vertrauter von W., mit dem er gemeinsam Vorwürfe gegen BVT-Kollegen erhob. Außerdem soll er bei Wirecard eine Nebenbeschäftigung eingegangen sein.

Eine genehmigte Nebenbeschäftigung lag laut Innenministerium nicht vor. Der zweite Festgenommene – er ist aktuell der Sicherheitsakademie zugeteilt – wurde nach Angaben einer Sprecherin am Montag vom Dienst suspendiert. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte in einer Aussendung eine „schonungslose Aufklärung“ an: „Wir greifen konsequent durch und schaffen Schritt für Schritt durch die Aufklärung dieses Kriminalfalls einen sauberen Neustart für den Verfassungsschutz.“ Der ehemalige BVT-Mitarbeiter wurde am Montag in die Justizanstalt überwiesen, teilte die Staatsanwaltschaft auf APA-Anfrage mit. Ob U-Haft verhängt wird, wird sich in den nächsten Tagen entscheiden.

Für SPÖ „türkise Affäre“, Grüne fordern Fakten

Ex-FPÖ-Mandatar S. soll für einen Geldregen bei einigen FPÖ-Politikern gesorgt haben. Der niederösterreichische Unternehmer hatte beste Kontakte zu ukrainischen Oligarchen, die mit ihm gemeinsam das Hotel Panhans auf dem Semmering revitalisieren wollten. Diese Oligarchen boten der FPÖ-Spitze zehn Millionen Euro, wenn er auf einem blauen Ticket in den Nationalrat einziehen könne. Nach der Nationalratswahl 2013 verzichteten mehrere FPÖ-Politiker auf ihr Mandat, S. konnte Abgeordneter werden. Die Ermittlungen in dieser Causa wurden 2018 eingestellt.

Weiterer BVT-Beamter in Wirecard-Skandal verhaftet

In Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ist ein weiterer BVT-Beamter verhaftet worden. Es soll sich bei dem am Freitag in Kärnten verhafteten Mann um einen Vertrauten des ehemaligen BVT-Abteilungsleiters handeln, der bereits vorige Woche ebenso wie ein ehemaliger FPÖ-Nationalratsabgeordneter verhaftet wurde.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch bezeichnete die „skandalösen Enthüllungen rund um den österreichischen Verfassungsschutz" als eine „zutiefst türkise Affäre“. Innenminister Nehammer sei nun gefordert, „endlich alle Karten auf den Tisch zu legen“, hieß es in einer Aussendung. Die ÖVP hingegen bezeichnete W. als „Hauptbelastungszeugen“ von Kickl. „Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass aus der Amtszeit eines Innenministers Kickl und seines FPÖ-Netzwerkes nicht mehr übrig bleibt als der Versuch, das BVT zu schwächen“, so ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker am Wochenende.

Der Grüne David Stögmüller verwies am Montag darauf, dass auch die Frage, ob Marsalek inoffiziell oder offiziell als V-Mann für das BVT gearbeitet habe, noch nicht restlos aufgeklärt sei. „Hier braucht es klare Fakten und auch eine Klärung, welche Daten vom BVT wann genau an Marsalek bzw. Wirecard geflossen sind“, so Stögmüller in einer Aussendung.