Frau sieht sich Produkt aus Kühlregal an
Getty Images/Moment RF/d3sign
Neue EU-Regeln

Kampf ums Milchregal

Pflanzliche Alternativen zu Milch und Milchprodukten sind mittlerweile fixer Bestandteil der Kühlregale. Eine neue EU-Regelung soll mit Einschränkungen für Haferdrinks und Co. dafür sorgen, dass tierisches und pflanzliches Produkt nur auf keinen Fall verwechselt werden. Das EU-Parlament sagte dazu bereits Ja, Kommission und Rat müssen aber noch zustimmen. Das versuchen vegane Produzenten nun in letzter Minute zu verhindern.

Wer mehr über eine Gesellschaft wissen will, sollte einen Blick ins Milchregal werfen. An kaum einem Ort ist die Verbindung zwischen Lebensgewohnheiten, Konsumverhalten und Marketing stärker sichtbar als in den Kühlvitrinen der Supermärkte. Vor ein paar Jahrzehnten ließen sich die Milchprodukte hierzulande noch an wenigen Händen abzählen. Inzwischen liefern die Molkereien ein kaum noch zu überblickendes Angebot.

Milch von fettlos über halbfett bis vollfett, konventionell oder bio; Joghurt in dutzenden Geschmacksrichtungen; Milchmischgetränke, Molke- und Joghurtdrinks. Aus jeder Produktkategorie gibt es zumindest noch eine laktosefreie Variante. Und in den vergangenen Jahren bekamen die Molkereiprodukte überdies noch Konkurrenz „von außen“. Produkte aus Pflanzen brachten sich als Alternative zu Milch und Co. in Stellung.

Vegane Produkte knabbern am Marktkuchen

Noch ist der Marktanteil der pflanzenbasierten Lebensmittel im Molkereisektor überschaubar. Laut einer aktuellen Studie des Finanzdienstleisters ING lag er im Jahr 2019 innerhalb der EU bei 2,5 Prozent. Doch das Segment verzeichnete in den vergangenen Jahren ein konstantes Wachstum von jährlich zehn Prozent. Gehe das so weiter, könnte der Anteil der pflanzlichen Alternativen bereits in fünf Jahren auf vier Prozent steigen, rechnet das Papier vor.

VEGAN-Siegel
ORF.at/Dominique Hammer
Der Marktanteil veganer Produkte wächst beständig

Zwar steigen auch zunehmend Molkereien in das Geschäft mit pflanzlichen Produkten ein. Wirklich Freude mit der neu gewachsenen Konkurrenz hat die Milchindustrie aber augenscheinlich nicht. 2017 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Milchersatzprodukte auf Pflanzenbasis nicht mehr „Milch“, „Käse“ oder „Joghurt“ im Namen tragen dürfen. Molkerei- und Bauernverbände begrüßten das Urteil damals ausdrücklich.

Der EuGH berief sich auf eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2013. In dem Gesetzestext ist unter anderem festgeschrieben, dass die Namen von Milchprodukten nur für Erzeugnisse aus Milch verwendet werden dürfen. Deshalb heißt Hafermilch hierzulande nun meist „Haferdrink“; und bei pflanzlichen Joghurts oder Käse nennen die Hersteller beim Produktnamen schlicht nur den pflanzlichen Hauptrohstoff. Joghurt auf Hafer-Basis heißt dann eben „Hafer fermentiert“.

Verbot für Anspielung und Vergleich

Doch nicht allen ging die Regelung in ihrer bisherigen Form weit genug. Auch auf Bestreben der Molkereiindustrie stimmte das EU-Parlament im Oktober über „Abänderungsantrag 171“ ab. Die entsprechende EU-Verordnung soll so geändert werden, dass pflanzliche Produkte auf ihren Verpackungen und im Marketing nicht einmal mehr auf „echte“ Milchprodukte verweisen dürfen. Bezeichnungen wie „cremig wie Joghurt“ oder selbst „Milchersatz“ wären dann verboten. Auch der Vergleich des pflanzlichen mit einem Produkt auf Milchbasis – etwa bezüglich des CO2-Fußabdrucks – auf der Packung könnte den Änderungen zum Opfer fallen.

Milchprodukte im Kühlregal
ORF.at/Lukas Krummholz
Obers soll Obers und Rahm Rahm bleiben

Weit ausgelegt, könnte das sogar bedeuten, dass auch die Bilder der Produkte selbst von den Verpackungen verschwinden müssten. Rein äußerlich sieht ein Joghurt auf Pflanzenbasis einem Milchjoghurt zum Verwechseln ähnlich. Überdies sollen Bezeichnungen wie Milch oder Käse vor allen „sonstigen Hinweisen oder Handelspraktiken“ geschützt werden, „die geeignet sind, den Verbraucher in Bezug auf den tatsächlichen Charakter oder die Zusammensetzung des Erzeugnisses irrezuführen“. In der strengsten Auslegung könnte das dazu führen, sogar Verpackungen für pflanzliche Lebensmittel zu verbieten, die optisch denen von Milchprodukten ähneln, befürchten kritische Stimmen.

Petition soll Kommission und Rat umstimmen

Im EU-Parlament stellte sich jedenfalls eine knappe Mehrheit der Abgeordneten hinter die Änderungswünsche. Der Änderungsantrag wurde mit 386 Ja-Stimmen bzw. 54 Prozent angenommen. Um tatsächlich Teil der entsprechenden EU-Verordnung 1308/2013 zu werden, müssen aber auch EU-Kommission und Ministerrat zustimmen. Am Mittwoch begannen die Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Kommission und Rat, in denen auch „Abänderungsantrag 171“ verhandelt werden soll.

Hersteller von pflanzlichen Produkten und die vegane Lobbying-NGO Proveg International versuchen die neuen Regeln noch zu verhindern. In einer Petition fordern sie Kommission und Mitgliedsstaaten dazu auf, den Änderungsantrag doch noch abzulehnen. Ihr Argument: Die neuen Regeln würden für pflanzliche Produkte unverhältnismäßig hohe Hürden errichten. Das würde wiederum den Versuchen der EU selbst zuwiderlaufen, eine nachhaltige Lebensmittelproduktion zu fördern.

Sorge um verwirrte Kunden

Die Milchindustrie führt hingegen ins Feld, das Verbot sei notwendig, um Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. Kundinnen und Kunden sollten nicht in die Irre geführt werden. Die Hersteller veganer Produkte versuchten „die Grenzen zwischen Milchprodukten und sogenannten pflanzenbasierten Alternativen zu verwischen“, zitierte vor Kurzem das Branchenportal Food Navigator den Generalsekretär des Europäischen Milchindustrieverbands (EDA), Alexander Anton. Der Versuch untergrabe die Verbraucherinformation und damit „die Möglichkeit der Bürger, bei ihren täglichen Einkäufen die Produkte auszuwählen, die sie wirklich wollen“.

Diese Gefahr sah die europäische Verbraucherschutzorganisation BEUC allerdings nicht. Nach der Parlamentsabstimmung im Oktober sprach BEUC von einer „traurigen“ Entscheidung der Abgeordneten. Solche Begriffe hätten nichts mit Verbraucherschutz zu tun, so die Organisation. In dieselbe Kerbe schlägt nun der schwedische Haferdrinkproduzent Oatly. „Are you stupid“ heißt es in einer vor wenigen Tagen gestarteten internationalen Kampagne des Unternehmens. Konsumentinnen und Konsumenten seien auch so in der Lage, den Unterschied zwischen Milch und pflanzlichen Ersatzprodukten zu erkennen, lautet die Botschaft.

Veganes Schnitzel weiter erlaubt

Ob sich Kommission und EU-Staaten in dem Fall tatsächlich über das Votum des EU-Parlaments hinwegsetzen, darf bezweifelt werden. Die veganen Produzenten wollen die Hoffnung aber noch nicht aufgeben – und verweisen dazu auf eine weitere Entscheidung im EU-Parlament.

Änderungsantrag 171 war nur einer von vielen Punkten, über die das EU-Parlament im Zuge der Agrarreform abstimmte. Ein anderer Änderungsvorschlag zu EU-Verordnung 1308/2013 sah vor, für pflanzliche Fleischersatzprodukte Bezeichnungen wie „Steak“, „Wurst“, „Schnitzel“, „Burger“ oder „Hamburger“ zu verbieten. Diesen Antrag lehnte die Mehrheit der Abgeordneten ab. Eine Schwächung der eigenen Position will die Milchindustrie darin aber nicht sehen. Milch bezeichne wesentlich die nahrhafte Flüssigkeit aus den Drüsen von Säugetieren. Der Begriff Fleisch hingegen müsse sich nicht nur auf Tiere beziehen.