Gebäude von AstraZeneca
APA/AFP/Paul Ellis
Streit über Lieferung

AstraZeneca wehrt sich gegen Vorwürfe

Die EU und der Impfstoffhersteller AstraZeneca sind in eine Pattsituation geraten. Der Ärger in Brüssel nach Verringerung der Liefermengen ist groß, man hält die Begründungen der Pharmafirma für unzureichend. AstraZeneca argumentiert, die EU habe zu spät bestellt. Andere Unternehmen machen Fortschritte in der Entwicklung von Vakzinen, bis sie verimpft werden können, wird es aber noch dauern.

Dass der britisch-schwedische Hersteller AstraZeneca weniger liefern will als geplant, ist ein Rückschlag für Europas Impfkampagne. Kürzlich hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass bis Ende März nur 31 Millionen Dosen eingeplant sind statt der vereinbarten 80 Millionen. Die EU-Kommission hatte bei AstraZeneca insgesamt bis zu 400 Millionen Dosen bestellt. Am Freitag könnte die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) die Zulassung für den europäischen Markt empfehlen. Dabei schließt die EMA nicht aus, dass das Vakzin in Europa nur für eine bestimmte Altersgruppe zugelassen wird. Das werde genau geprüft.

Am Dienstag wurde auch bekannt, dass der französische Pharmariese Sanofi seinem US-Konkurrenten Pfizer und dessen deutschem Partner Biontech bei der Produktion ihres Impfstoffs helfen will. So sollen bis Ende 2021 mehr als 100 Millionen Dosen des Biontech/Pfizer-Vakzins von Sanofi für die EU produziert werden, kündigte der Chef von Sanofi, Paul Hudson, in einem Interview mit der Zeitung „Le Figaro“ an. Sanofi arbeitet selbst an zwei Impfstoffen zur Coronavirus-Bekämpfung; diese werden jedoch voraussichtlich nicht vor Ende des Jahres auf den Markt kommen.

Die EMA berichtete zudem, dass ein vierter Impfstoff – das Mittel von Johnson & Johnson – bereits von der EMA begleitend zu Tests geprüft werde („Rolling Review“). Doch gebe es noch keinen Zeitplan für eine Zulassungsentscheidung. Ein Antrag auf Zulassung des russischen Impfstoffs „Sputnik V“ sei ebenfalls noch nicht bei der EMA eingegangen. Man habe aber bereits Kontakte zum Hersteller.

LH Kaiser: „Brauchen gesamtheitliche Beurteilung der Maßnahmen“

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) zum Streit um Impfstofflieferungen, zur aktuellen Coronavirus-Situation und zur Wirksamkeit der Maßnahmen.

Vorwürfe gegen AstraZeneca

In Brüssel ist der Unmut über AstraZenecas Lieferschwierigkeiten groß. Es gibt den Verdacht, dass das Unternehmen andere Länder wie Großbritannien außerhalb der EU mit ungekürzten Mengen beliefert. „Wir sehen, dass Dosen anderswohin geliefert werden“, sagte ein Kommissionssprecher. Da die EU Vorauszahlungen für die Produktion geleistet habe, „sollten diese Dosen eigentlich für die Lieferung verfügbar sein“, sobald die EMA grünes Licht gebe. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte AstraZeneca seit Oktober auf Vorrat produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung in der EU bereitsteht.

AstraZeneca nannte am Dienstag den langsamen Vertragsabschluss als Grund für Lieferengpässe. „Wir sind in Europa jetzt zwei Monate hinter unserem ursprünglichen Plan. Wir hatten auch Anfangsprobleme in Großbritannien. Aber der Vertrag mit den Briten wurde drei Monate vor dem mit Brüssel geschlossen. Wir hatten dort drei Monate mehr Zeit, um Pannen zu beheben“, sagte AstraZeneca-Chef Pascal Soriot der „Welt“.

„Wir behandeln Europa wirklich fair“

Sein Unternehmen sei vertraglich nicht zur Lieferung bestimmter Mengen Impfstoff verpflichtet. AstraZeneca habe eine „Best effort“-Vereinbarung mit der Europäischen Union abgeschlossen. „Der Grund war, dass Brüssel mehr oder minder zum selben Zeitpunkt beliefert werden wollte wie die Briten – obwohl die drei Monate früher unterzeichnet hatten. Darum haben wir zugesagt, es zu versuchen, uns aber nicht vertraglich verpflichtet“, so Soriot, und er fügte hinzu: „Vergessen Sie nicht: Wir entwickeln den Impfstoff gemeinnützig, wir verdienen damit kein Geld. Ich denke, wir behandeln Europa wirklich fair.“

In Hinblick auf Berichte deutscher Medien, die Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca sei bei älteren Menschen nur gering, sagte Soriot: „Ich habe keine Ahnung, woher diese Zahl kommt. Sie stimmt nicht. Wie kann man annehmen, dass Prüfbehörden rund um den Globus ein Mittel zulassen, das nur acht Prozent Wirksamkeit hat? Wie gesagt, die Nerven liegen blank. Es wird über alles Mögliche dummes Zeug geredet.“

Neues Treffen angesetzt

Am Montag hatte es Treffen von Kommission und Mitgliedsstaaten gegeben, bei denen AstraZeneca sich erklären sollte. Die Antworten, wie es zu den Lieferengpässen gekommen ist, hätten nicht ausgereicht, hieß es anschließend in Brüssel. Den Hinweis von AstraZeneca auf Produktionsprobleme bei einem Zulieferer in Belgien hält die Kommission für nicht stichhaltig. Laut Kommission ist für Mittwoch nun ein weiteres Treffen mit dem Unternehmen angesetzt, die Krisensitzung mit Experten der EU-Staaten ist für 18.30 Uhr geplant.

Unmut über Lieferverzögerungen

Am Freitag soll der britische Impfstoff von AstraZeneca für Europa zugelassen werden. Doch wie viel davon tatsächlich bald geliefert werden kann, ist noch immer unklar. Der Unmut in Brüssel und in Österreich wird täglich größer.

Die Verträge zwischen EU und den Herstellern sind unter Verschluss. Die Unternehmen möchten verhindern, dass so Betriebsgeheimnisse bekannt werden, die EU wiederum könnte Nachteile in Verhandlungen mit anderen Firmen haben, sollten etwa Kaufpreise publik werden.

Großbritannien voran

In Großbritannien kommen die Impfungen weit schneller voran als in der EU. Bis Mitte Februar will Großbritannien fast 15 Millionen Menschen geimpft haben, derzeit sind es 6,5 Millionen. Die Briten hatten sich insgesamt 367 Millionen Dosen von sieben Impfstoffkandidaten gesichert bei rund 67 Mio. Einwohnern. Die EU schloss mit sechs Herstellern Rahmenverträge über die Lieferung von insgesamt 2,3 Milliarden Impfstoffdosen für 450 Millionen Europäer.

Die EU hatte den Liefervertrag mit AstraZeneca im August geschlossen. Der Vereinbarung waren Vorverhandlungen einer Impfstoffallianz mit Italien, Frankreich und den Niederlanden vorausgegangen. Großbritannien hatte mit dem in Cambridge ansässigen Unternehmen, das den Impfstoff zusammen mit Uni Oxford entwickelte, schon beim Entstehungsprozess gefördert. Die klinischen Tests des Mittels am Menschen hatten schon Ende April in Großbritannien begonnen. Die Uni Oxford und AstraZeneca unterzeichneten damals auch eine Vereinbarung für die Herstellung und den weltweiten Vertrieb des Impfstoffs, als noch gar nicht klar war, ob das Vakzin wirksam ist. Großbritannien ließ den Impfstoff von AstraZeneca als weltweit erstes Land bereits Ende Dezember zu und erhielt in der Folge auch als erstes Land Zugang dazu.

EU fordert Vertragstreue von AstraZeneca

Kritik und Appelle, die Verträge einzuhalten, kamen am Dienstag von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Europa habe „Milliarden investiert, um die Entwicklung der weltweit ersten Covid-19-Impfstoffe zu unterstützen“, sagte von der Leyen in ihrer per Video übertragenen Rede für das Weltwirtschaftsforum. „Und jetzt müssen die Firmen liefern, sie müssen ihre Verpflichtungen einhalten.“

Auch der österreichische EU-Budgetkommissar Johannes Hahn (ÖVP) meldete sich zu Wort. Derzeit gebe es „keine zufriedenstellenden Antworten“, sagte Hahn am Dienstag vor Journalisten. Man erwarte eine Lösung bis Ende der Woche, dann werde man die Situation erneut beurteilen. Es werde alles getan, um die Situation zu verbessern – unter Umständen durch die Erhöhung der Lieferung des Impfstoffs anderer Anbieter. Wenn es allerdings zu keiner befriedigenden Antwort von AstraZeneca komme, so Hahn, dann seien natürlich rechtliche Schritte – wie sie schon EU-Ratschef Charles Michel in den Raum stellte – eine mögliche Konsequenz. Genug Geld habe man den Impfstoffanbietern bereitgestellt, sagte Hahn. Die Mittel müssten auch dazu dienen, um Produktionskapazitäten in Europa aufzubauen – „also nicht irgendwo, sondern in Europa“, so der EU-Kommissar.

„Transparenzmechanismus“ geplant

Die EU-Behörde plant nun einen „Transparenzmechanismus für den Export von Impfstoff“ in Länder außerhalb der EU. Dazu bekräftigte die Kommission aber, dass es sich dabei nicht um ein Verbot für den Export von in der Europäischen Union hergestellten Impfstoffen in Drittstaaten handelt. „Es geht hier nicht um das Blockieren, sondern darum zu wissen, was die Unternehmen auf Märkte außerhalb der EU exportieren“, sagte ein Sprecher.

Zuvor hatte ein führender britischer Gesundheitsexperte vor Einschränkungen von Impfstoffexporten aus der Europäischen Union gewarnt. „Sollte das passieren, dann wäre das natürlich besorgniserregend“, sagte der Chef des britischen Nationalen Gesundheitsdienstes (NHS), Simon Stevens, am Dienstag vor Abgeordneten. Das Ziel, die am meisten gefährdeten Menschen bis Mitte Februar zu impfen, wäre dann gefährdet. Allerdings halte er es nicht für wahrscheinlich, dass es zu Problemen kommen werde.

Auch in Österreich war der Unmut groß über AstraZeneca. „Es geht nicht, dass man Verträge abschließt, Vorfinanzierungen genießt und dann Verträge nicht einhält“, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im ORF-Ö1-„Morgenjournal“. Man wolle „konkrete Liefertermine und Liefermengen“, das brauche man, um den Impfplan durchziehen zu können. Die Frage sei, ob sich die Lieferungen nur verzögern oder ausfallen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner plädierte angesichts der Lieferengpässe für eine „Krisenproduktion“ in Europa. Der Impfstoff sollte nicht nur von den Entwicklern hergestellt werden, es sollten auch andere Unternehmen mithelfen. Die Regierung müsse sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, forderte die SPÖ-Chefin Dienstag in einer Pressekonferenz. Vom Gesundheitsminister verlangte sie eine „öffentliche Empfehlung“ für die Nutzung einer siebenten Dosis pro Ampulle.