Ampullen bei Impfstoffproduktion
Reuters/Anton Vaganov
CoV-Impfstoffe

Patente als Zankapfel

Die Stimmung in der EU ist aufgeheizt, seit klargeworden ist, dass viele Länder ihre CoV-Impfpläne aufgrund der Lieferverzögerungen adaptieren müssen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, Details in Verträgen nur zum Teil bekannt. Als eine Lösung regen internationale Organisationen wie die WHO an, Impfstoffpatente zu überdenken. Doch daneben stellt sich auch noch die Frage der Produktionskapazitäten und der Verteilung.

Staaten sollten von Pharmafirmen einfordern, dass sie ihre Technologie öffentlich zugänglich machen, „damit möglichst viele verschiedene Hersteller auf der ganzen Welt mit der Produktion beginnen können“, sagte Suerie Moon, Co-Direktorin des Global Health Centre in Genf, kürzlich gegenüber der ARD. Sie forderte, Impfstoffe während der Pandemie als „globales öffentliches Gut“ anzuerkennen, „sodass alle auf der Welt davon profitieren“.

Auch in der Welthandelsorganisation (WTO) wird über einen Vorschlag Indiens und Südafrikas diskutiert, während der Pandemie bestimmte Patente auszusetzen. Das unterstützen unter anderem Organisationen wie die UNO-Menschenrechtskommission, die UNESCO, Ärzte ohne Grenzen, Amnesty International und Human Rights Watch. Auch sie fordern einen offenen Zugang zu Information und Daten.

Forscherin an der Universität von Oxford
AP/Universität Oxford/John Cairns
Patente schützen wissenschaftliche Erfindungen, können aber auch Zugang zu Forschung beschränken

Bereits im Mai 2020 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu aufgerufen, Patente für CoV-Impfstoffe in einen gemeinsamen Pool einzuspeisen. Staaten sollten Klauseln dazu in Verträge mit Pharmafirmen aufnehmen. Doch Pharmaunternehmen wollten ihre Patente nicht freigeben.

„Der limitierende Faktor ist nicht das Patent“

Patente können einerseits wichtig für geistiges Eigentum sein, andererseits auch limitieren. Doch anders als bei Medikamenten würden Patente bei vielen Impfstoffen eine untergeordnete Rolle spielen, erklärte der Impfstoffexperte Otfried Kistner gegenüber ORF.at. „Das Ausgangsprodukt, die genetische Information von SARS-Corona, ist patentrechtlich nicht geschützt – im Gegenteil“, so der Impfstoffexperte. Diese Information sei „Public Domain“, also öffentlich zugänglich, und könne gar nicht mit einem Patent geschützt werden.

„Die momentanen Engpässe bei Covid-19-Impfstoffen liegen nicht an der Patentsituation, sondern an den Herstellungskapazitäten“, so Kistner weiter. „Der limitierende Faktor bei den meisten Impfstoffen ist nicht die patentrechtliche Situation, sondern das Vorhandensein von genügend Produktionsanlagen, den entsprechenden Abfüllanlagen und den Devices wie zum Beispiel Spritzen, Ampullen und so weiter.“

„Aussetzen von Patentschutz erleichtert Zugang nicht“

Ein Patent könne es lediglich auf die Formulierung geben, also auf das verhältnismäßige Zusammenmischen von Inhaltsstoffen, doch das seien „Feinheiten“, meint der Experte. „Selbst wenn man dieses Patent freigeben würde, würde das nicht bedeuten, dass man auf einmal doppelt so viel Impfstoff herstellen könnte.“ Vielmehr gehe es darum, welche Produktionsanlagen bereits vorhanden und ob diese technisch imstande seien, Vakzine herzustellen sowie um die Verteilung des Impfstoffs.

Eine ähnliche Sichtweise vertritt der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (PHARMIG). „Das Aussetzen des Patentschutzes würde weder den Zugang erleichtern noch dabei helfen, die globalen Produktionskapazitäten zu erhöhen oder die Impfdosen möglichst rasch in alle Teile der Welt zu transportieren“, heißt es in einem Statement an ORF.at. Dieser Meinung ist auch die EU-Kommission. Sie schließt eine obligatorische Freigabe von Impfpatenten aus. EU-Ratspräsident Charles Michel brachte zuletzt jedoch Notmaßnahmen bei Versorgungsengpässen ins Spiel, die bis zu Zwangslizenzen für Impfstoffe gehen könnten, sodass Konkurrenten diese gegen Gebühr produzieren könnten.

Pharmafirmen machen gemeinsame Sache

Einige Pharmaunternehmen haben unterdessen bei der Entwicklung und Herstellung eines CoV-Impfstoffs bereits gemeinsame Sache gemacht. Ein bekanntes Beispiel ist Biontech/Pfizer, die in der Produktion noch Unterstützung vom Pharmariesen Sanofi bekamen. So sollen bis Ende 2021 mehr als 100 Millionen Dosen des in der EU zugelassenen Biontech/Pfizer-Vakzins von Sanofi für die EU produziert werden. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will dann ab Frühling ebenfalls mit Biontech/Pfizer für die Produktion zusammenarbeiten.

Auch das deutsche Pharmaunternehmen Bayer steht nach eigenen Angaben für CoV-Impfstoffproduktion zur Verfügung. „Wir stehen bereit, wenn es darum geht, die Herstellung eines möglichen Impfstoffs gegen das Coronavirus zu unterstützen, nachdem er erfolgreich getestet und zugelassen wurde“, ließ Bayer Anfang des Jahres auf seine Website wissen. Ein Deal mit einem bekannten Hersteller, wie etwa Biontech/Pfizer, Moderna oder AstraZeneca, ist bisher allerdings noch nicht bekannt.

Verträge mit Risiko?

Obwohl Steuergeld in Grundlagenforschung, Förderung und Einkauf der Impfstoffe fließt, sind Verträge – einerseits zwischen Firmen, andererseits auch mit Staaten bzw. Staatenverbünden und Firmen – wenn überhaupt, nur bedingt einsehbar. Als „großes Politikversagen“ bezeichnete es kürzlich der Wirtschaftswissenschaftler James Love von der US-amerikanischen Organisation Knowledge Ecology International, wenn Regierungen riesige Summen zahlen würden, das aber nur an vage Vereinbarungen geknüpft sei.

Große Unterschiede bei Impfgeschwindigkeit

In der Welt wird derzeit in völlig unterschiedlichen Geschwindigkeiten geimpft. Während Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bei den Geimpften gemessen an der Bevölkerung die Nase vorn haben, hinkt die EU hinterher. Auch Großbritannien liegt in der Impfstatistik von Our World in Data weit vor der EU. Die Daten beziehen sich auf die Zahl der ausgelieferten Impfdosen – mehr dazu in orf.at/corona.

Selbst innerhalb der EU gibt es große Unterschiede. Bis zum 25. Jänner haben es Dänemark und Malta geschafft, mehr als 100 Prozent der von der EU zur Verfügung gestellten Vakzine zu verimpfen, weil sie mehr als die offiziell vorgesehene Anzahl von Impfdosen aus jeder Ampulle entnahmen. Den Daten von Our World in Data zufolge liegt Malta mit 4,6 Prozent an geimpften Personen in der EU an erster Stelle, vor Dänemark (3,6 Prozent). Österreich liegt demnach mit rund zwei Prozent in der EU an 14. Stelle.

Der NGO Oxfam zufolge haben sich die reichsten Länder der Erde, in denen rund 14 Prozent der Weltbevölkerung leben, bereits 53 Prozent der Impfstoffe, etwa von Pfizer und Biontech, Moderna und AstraZeneca, gesichert. Österreich zählt zu diesen Ländern. Laut einer Studie der Economist Intelligence Unit (EIU) werden die meisten armen Nationen der Welt bis 2024 brauchen, um die kritische Masse ihrer Bevölkerung gegen Covid-19 geimpft zu haben.