AstraZeneca-Impfstoff
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AstraZeneca

EU pocht auf Lieferpflicht

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat am Mittwoch im Lieferstreit mit AstraZeneca an den Pharmakonzern appelliert, die vertraglich vereinbarte Menge CoV-Impfstoff fristgerecht an die EU-Staaten zu liefern. „Wir stecken in einer Pandemie, und wir verlieren jeden Tag Menschen“, sagte Kyriakides in Brüssel. Die Hersteller von Impfstoffen hätten eine „moralische, gesellschaftliche und vertragliche Verantwortung“. Eine Lösung ist jedoch auch nach dem Onlinekrisengespräch am Abend nicht in Sicht.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verwies nach dem Ministerrat in Wien auf „ganz klare vertragliche Zusicherungen“: „Da kann man nicht herumdeuteln und Verträge unterschiedlich interpretieren.“ Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) kritisierte gegenüber der APA ebenfalls das Vorgehen von AstraZeneca. Angesprochen auf mögliche rechtliche Schritte, wie sie EU-Ratschef Charles Michel zuletzt in den Raum gestellt hatte, erklärte Edtstadler: „Verträge sind einzuhalten, wenn der Vertrag von einer Vertragspartei nicht eingehalten wird“, könne man „natürlich“ rechtliche Schritte überlegen.

Für Mittwochabend wurde AstraZeneca nun zum Krisentreffen geladen. Zuvor hatte es Verwirrung über das Treffen gegeben. EU-Kreise erklärten zunächst, das Unternehmen habe abgesagt, und verwiesen dabei auf eine E-Mail des Managements von AstraZeneca. Darin sei erklärt worden, ein Treffen habe derzeit wegen der vielen offenen Fragen keinen Sinn. Doch dann teilte das Unternehmen mit, die Gespräche würden stattfinden. EU-Kreise bestätigten das dann auch. Am Abend trafen sich schließlich beide Seiten online zum Krisengespräch – doch auch dieses brachte keine Lösung.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides
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Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides

EU widerspricht AstraZeneca-Darstellung

In Brüssel gibt es den Verdacht, dass der schwedisch-britische Hersteller Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder mit ungekürzten Mengen des Impfstoffs beliefert. Die EU wies am Mittwoch Angaben von AstraZeneca zur Begründung von Lieferengpässen zurück. „Wir bestreiten viele Dinge in diesem Interview“, sagte ein EU-Vertreter am Mittwoch mit Blick auf ein Gespräch von Unternehmenschef Pascal Soriot mit mehreren europäischen Zeitungen. „Zum Beispiel die Idee, dass Produktionsstätten in Großbritannien für Lieferungen in das Vereinigte Königreich reserviert seien.“

Soriot hatte in dem Interview, das unter anderem die deutsche „Welt“ veröffentlichte, gesagt, AstraZeneca habe den Liefervertrag mit Großbritannien drei Monate früher als mit der EU geschlossen. Deshalb habe es dort mehr Zeit gegeben, um „Anfangsprobleme“ zu beheben. In der EU habe es mit einem Werk in Belgien dann „einen Standort mit großer Kapazität gegeben, der Ertragsprobleme hatte“, zitierte etwa die italienische Zeitung „La Repubblica“ den Firmenchef.

AstraZeneca-Chef Pascal Soriot
Reuters/Luke Macgregor
AstraZeneca-Chef Pascal Soriot

„Wir glauben, dass wir diese Probleme in den Griff bekommen haben, aber wir liegen im Grunde zwei Monate hinter dem zurück, wo wir sein wollten“, sagte Soriot weiter. Allerdings habe sich sein Unternehmen in der Vereinbarung mit der EU ohnehin nicht zu festen Liefermengen verpflichtet. AstraZeneca habe lediglich zugesichert, „dass wir unser Bestes geben werden“, verwies Soriot auf eine „Best Effort“-Vereinbarung mit der EU.

EU-Kommission will Liefervertrag offenlegen

„Der Grund war, dass Brüssel mehr oder minder zum selben Zeitpunkt beliefert werden wollte wie die Briten – obwohl die drei Monate früher unterzeichnet hatten. Darum haben wir zugesagt, es zu versuchen, uns aber nicht vertraglich verpflichtet“, wurde Soriot zitiert. Doch das sei „eine Nebelkerze“, hieß es am Mittwoch aus Kreisen der EU-Behörde. Der EU-Vertreter sagte, die „Best Effort“-Klausel sei Standard bei Verträgen mit Herstellern, deren Produkte sich noch in der Entwicklung befänden. Wenn der Impfstoff zugelassen werde, dann seien aber die vereinbarten vorproduzierten Mengen zu liefern.

Der EU-Vertreter sagte auch, die Vereinbarung, die die EU-Kommission im August mit dem schwedisch-britischen Unternehmen getroffen hatte, sehe Flexibilität bei den Produktionsstätten vor. „Wenn es also in einem Werk in Belgien ein Problem gibt, haben wir Kapazitäten auch in anderen Werken in Europa und Großbritannien“, heißt es vonseiten des EU-Vertreters.

Die EU-Kommission hatte Preise, Haftungsbedingungen und weitere Details der Verträge, die sie im Namen der Mitgliedsstaaten bis November mit sechs Herstellern getroffen hatte, unter Verweis auf Vertraulichkeitsklauseln nicht publik gemacht – will das jetzt aber im Fall von AstraZeneca nachholen: „Die Europäische Kommission will den Vertrag mit AstraZeneca publik machen und hat dies dem Unternehmen mitgeteilt“, heißt es in einer Aussendung.

AstraZeneca will Hilfe von japanischem Unternehmen

AstraZeneca arbeitet mit Partnern an der Verbesserung seiner Covid-19-Impfstoffproduktion. Das Unternehmen verstehe die Frustration darüber, dass das anfängliche Liefervolumen seines Impfstoffes an die Europäische Union niedriger als vorhergesagt sein werde, teilte AstraZeneca am Mittwoch mit. Das sei vornehmlich auf eine Produktionsausbeute, die geringer ist als erwartet, zurückzuführen, was sich auf die Anzahl der pro Charge produzierten Dosen auswirke. „Wir arbeiten weiterhin mit unseren Lieferpartnern zusammen, um diesen Prozess zu optimieren und sicherzustellen, dass der Impfstoff in der erforderlichen Menge und Geschwindigkeit hergestellt wird.“

AstraZeneca will indes das japanische Biotechnologieunternehmen JCR Pharmaceutical bitten, rund 90 Millionen Dosen seines CoV-Impfstoffs herzustellen. So sollten weltweit Engpässe bei der Produktion vermieden werden, berichtete die japanische Zeitung „Nikkei“. Japan hatte im Dezember einen Vertrag mit AstraZeneca über den Kauf von 120 Millionen Dosen unterzeichnet.

Drastische Lieferkürzung

AstraZeneca hatte am Freitag bekanntgegeben, der EU zunächst deutlich weniger Impfstoff liefern zu können als vorgesehen. Statt 80 Millionen Impfdosen sollen nach EU-Angaben bis Ende März nur 31 Millionen ankommen. Den angegebenen Grund – Probleme in der Lieferkette – will die EU nicht gelten lassen. Sie fordert Vertragstreue.

Die EU hatte schon im August bis zu 400 Millionen Impfdosen von AstraZeneca bestellt und nach eigenen Angaben 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung vorgestreckt. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte AstraZeneca seit Oktober auf Vorrat produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung in der EU bereitsteht.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) könnte den AstraZeneca-Impfstoff am Freitag genehmigen. Weil es aber nur unzureichende Testdaten für ältere Menschen gibt, könnte die Zulassung womöglich auf jüngere Altersgruppen beschränkt bleiben. Einen Zeitungsbericht über eine geringe Wirksamkeit des Vakzins von nur acht Prozent bei über 65-Jährigen wiesen das Unternehmen und das deutsche Gesundheitsministerium entschieden zurück.

Weitere Impfstoffe vor Zulassung

Die EU-Kommission steht selbst in der Kritik, weil Impfstoff in der EU knapp ist und bisher prozentuell weit weniger Menschen immunisiert wurden als etwa in Großbritannien und Israel. Das liegt zum Teil daran, dass die Mittel in der EU eine Marktzulassung statt nur einer Notfallzulassung bekommen sollen, was länger dauert. So hat die Impfkampagne später begonnen. Inzwischen sind Vakzine von Biontech und Pfizer sowie Moderna zugelassen. AstraZeneca wäre Nummer drei.

Am Dienstag wurde auch bekannt, dass der französische Pharmariese Sanofi seinem US-Konkurrenten Pfizer und dessen deutschem Partner Biontech bei der Produktion ihres Impfstoffs helfen will. So sollen bis Ende 2021 mehr als 100 Millionen Dosen des Biontech-Pfizer-Vakzins von Sanofi für die EU produziert werden, kündigte der Chef von Sanofi, Paul Hudson, in einem Interview mit der Zeitung „Le Figaro“ an. Sanofi arbeitet selbst an zwei Impfstoffen zur Coronavirus-Bekämpfung; diese werden jedoch voraussichtlich nicht vor Ende des Jahres auf den Markt kommen.

Die EMA berichtete zudem, dass ein vierter Impfstoff – das Mittel von Johnson & Johnson – bereits von der EMA begleitend zu Tests geprüft werde („Rolling Review“). Doch gebe es noch keinen Zeitplan für eine Zulassungsentscheidung. Ein Antrag auf Zulassung des russischen Impfstoffs Sputnik V sei ebenfalls noch nicht bei der EMA eingegangen. Man habe aber bereits Kontakte zum Hersteller.