Proteste für Abtreibungsrecht in Polen
Reuters/Kacper Pempel
Spontane Proteste

Polen verschärft Abtreibungsgesetz

In Polen sind Schwangerschaftsabbrüche künftig in fast allen Fällen verboten. Die polnische Regierung setzte dazu ein umstrittenes Urteil des obersten Gerichts vom Oktober um, mit dem die bisherige Erlaubnis zur Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten gekippt wurde. Im Oktober und November hatte es Massenproteste gegen die Pläne gegeben. Noch am Mittwochabend kam es in ganz Polen zu Demonstrationen.

Die Neuregelung werde noch am Mittwoch im Gesetzesblatt veröffentlicht, teilte die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte nationalkonservative Regierung am Nachmittag auf Twitter mit. Um 23.15 Uhr erfolgte dann die Veröffentlichung, womit die Regelung in Kraft trat. Das oberste Gericht hatte die Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten als „unvereinbar“ mit der polnischen Verfassung bezeichnet. Damit hatten die großteils von der PiS eingesetzten Richter grünes Licht für die von der Regierung geforderten Verschärfungen gegeben.

Zunächst veröffentlichte das Verfassungsgericht am Mittwoch die ausführliche Begründung des diesbezüglichen umstrittenen Gerichtsurteils vom 22. Oktober. Das bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung einer verbindlichen rechtlichen Umsetzung des Urteils. Der finale Schritt erfolgte dann kurz vor Mitternacht.

De facto ein Verbot

Polen hat bereits eine der restriktivsten Abtreibungsgesetzgebungen in Europa. Frauen dürfen schon bisher Schwangerschaften nur abbrechen, wenn diese Folge von Inzest oder Vergewaltigung sind, ihr Leben in Gefahr ist oder der Fötus schwere Fehlbildungen aufweist. Ein Verbot von Abtreibungen in letzterem Fall kommt nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen einem vollständigen Abtreibungsverbot gleich.

Im Jahr 2019 wurden in polnischen Krankenhäusern nur rund 1.100 Schwangerschaftsabbrüche ausgeführt – in 97 Prozent der Fälle aufgrund des nun für rechtswidrig erklärten Paragrafen. Frauenorganisation gehen davon aus, dass jedes Jahr 120.000 bis 150.000 polnische Frauen in Nachbarländer ausweichen, in denen es liberalere Gesetzgebungen gibt. Es gebe auch Zehntausende illegale Abtreibungen im Land selbst.

Wochenlange Massenproteste

Das Urteil am 22. Oktober hatte wochenlange Massenproteste ausgelöst. Hunderttausende Polinnen und Polen gingen fast täglich auf die Straße. Immer wieder kam es zu Konfrontationen mit der Polizei, der vorgeworfen wurde, Tränengas gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten einzusetzen.

Auch international waren die Pläne auf viel Kritik gestoßen. So sprach sich das Europaparlament klar gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes aus. Sie gefährde Frauen, da ein Verbot Abtreibungen nicht verhindere, sondern lediglich in den Untergrund verdränge. Das führe zu mehr unrechtmäßigen, heimlichen und lebensgefährdenden Schwangerschaftsabbrüchen.

„Ganz Polen mobilisiert sich“

Frauenrechtsaktivistinnen zeigten sich nun empört und riefen für Mittwochabend zu einer Kundgebung vor dem obersten Gericht auf. „Macht eurem Ärger heute Luft, wie ihr es könnt“, sagte Marta Lempart von der Organisation Frauenstreik auf einer Pressekonferenz. „Wir rufen alle dazu auf, auf die Straße zu gehen.“

Proteste für Abtreibungsrecht in Polen
Reuters/Kacper Pempel
„Ich denke, ich fühle, ich entscheide“ wurde bei den Protesten skandiert

„Ganz Polen mobilisiert sich, nicht nur in Warschau“, sagte Klementyna Suchanow, eine weitere Organisatorin der Proteste. „Wenn wir von der Hölle der Frauen sprechen, können wir auch von der Hölle der Regierung sprechen“, sagte sie.

In Warschau versammelten sich am Mittwochabend mehrere hundert Menschen vor dem Gerichtsgebäude, die Menge erhielt laufend Zuwachs und zog anschließend durchs Zentrum. Demonstranten trugen Plakate mit Slogans wie „Ich denke, ich fühle, ich entscheide“ und „Hölle der Frauen“. Auch in anderen Großstädten wie Lodz und Szczecin gab es Proteste. Auch für die nächsten Tage wurden Demonstrationen angekündigt.

PiS und Kirche im Umfragetief

Im Dezember war es um die Debatte ein wenig ruhiger geworden, Kundgebungen fanden nur noch vereinzelt statt. Staatspräsident Andrzej Duda deutete Gesprächsbereitschaft an. Von Beobachtern wurde das als Reaktion darauf gewertet, dass die polnische Regierung in Umfragen absackte. So kam die PiS laut Umfragen mit zwei kleineren ihr angeschlossenen Gruppierungen nur noch auf 28 Prozent der Stimmen. Im September waren es noch knapp 39 Prozent gewesen.

Einen ähnlichen Vertrauenverlus erlitt laut Umfragen auch die traditionell mächtige Kirche, die als eine der Triebfedern für die Verschärfung gilt. Vor allem junge Menschen würden sich von der Kirche, die zudem durch einen neuen Missbrauchsskandal erschüttert wird, abwenden, hieß es. Zum ersten Mal seien Proteste gegen PiS und Kirche nicht auf die großen Städte beschränkt, meinten Politikbeoachter im Herbst: Auch in den ländlichen Gebieten wachse die Kritik.

Überraschender Zeitpunkt

Die Entscheidung, das Urteil umzusetzen, kam nun am Mittwoch sehr überraschend. Offiziell heißt es, eine letzte Stellungnahme beim Verfassungsgericht sei nun eingegangen. Manche halten das Datum für keinen Zufall – und kritisieren, dass das Abtreibungsverbot ausgerechnet am Tag der Gedenkfeiern zum 76. Jahrestag der Befreiung des früheren deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz in Kraft tritt. Im Mittelpunkt des Gedenkens standen dieses Mal nämlich die in Auschwitz inhaftierten und ermordeten Kinder. Mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche überlebten das Lager nicht.

Kritik aus Österreich

Auch aus Österreich gab es Proteste gegen das Urteil des Verfassungsgerichts. „Die polnische Regierung zieht ohne Rücksicht auf Frauenleben ihre Linie durch und verbietet Abtreibungen de facto völlig“, zeigt sich die grüne Vizeklubchefin Meri Disoski in einer Aussendung empört. Monika Vana, Delegationsleiterin der Grünen im Europaparlament, forderte ihrerseits: „Die EU-Kommission muss endlich das Vertragsverletzungsverfahren wegen der politischen Justizreform vorantreiben. Wir können nicht dulden, dass ein derartig politisch vereinnahmtes ‚Verfassungsgericht‘ das frauenfeindliche politische Programm der Regierung umsetzt.“

Auch die Vorsitzende der SPÖ-Frauen, Gabriele Heinisch-Hosek, meldete sich zu Wort: „Diesen schlimmen Angriff auf Frauenrechte dürfen wir in Europa nicht hinnehmen! Ich erwarte mir daher einen öffentlichen Protest der österreichischen Bundesregierung, insbesondere der Frauenministerin“, so Heinisch-Hoseks Appell an Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung.