AstraZeneca-Dosen in einer Verpackung
AP/Gareth Fuller
AstraZeneca – EU

Keine Lösung bei Impfstoffstreit in Sicht

Im Impfsstoffstreit zwischen AstraZeneca und der Europäischen Union zeichnet sich weiterhin keine Lösung ab. Auch ein Onlinekrisengespräch am Mittwochabend blieb ohne Einigung. Große Mengen Impfstoff für EU-Länder werden somit wohl mit deutlicher Verzögerung geliefert werden.

Man habe keinen Durchbruch erzielt, teilte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Mittwoch nach dem Krisentreffen mit AstraZeneca mit. „Wir bedauern, dass es immer noch keine Klarheit über den Lieferplan gibt, und erbitten uns von AstraZeneca einen klaren Plan zur schnellen Lieferung der Impfstoffe, die wir für das erste Quartal reserviert haben“, schrieb Kyriakides auf Twitter.

„Wir werden mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden und die Impfstoffe rasch für die EU-Bürger zu liefern.“ Sie lobte aber den konstruktiven Ton des Gesprächs mit Unternehmenschef Pascal Soriot, der sich persönlich zugeschaltet habe.

Drastische Lieferkürzung

Der Streit hatte am Freitag mit der Ankündigung des britisch-schwedischen Herstellers begonnen, nach der für diese Woche erwarteten Zulassung des Impfstoffs weit weniger an die EU zu liefern als zugesagt. Statt 80 Millionen Impfdosen sollen nach EU-Angaben bis Ende März nur 31 Millionen ankommen. Am Mittwoch deutete eine EU-Vertreterin an, dass die Dimension noch größer ist. Erwartet worden sei eine „dreistellige Zahl“, und geliefert werde davon nur ein Viertel.

Den angegebenen Grund – Probleme in der Lieferkette – will die EU nicht gelten lassen. Sie fordert Vertragstreue. Die EU hatte schon im August bis zu 400 Millionen Impfdosen von AstraZeneca bestellt und nach eigenen Angaben 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung vorgestreckt. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte AstraZeneca seit Oktober auf Vorrat produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung in der EU bereitsteht. Bei dem Treffen am Mittwochabend sei die Frage, wo der Impfstoff denn nun bleibe, auch nicht schlüssig beantwortet worden, hieß es aus Kommissionskreisen.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides
AP/Pool Photo/John Thys
Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bedauert „dass es immer noch keine Klarheit über den Lieferplan gibt“ und will von AstraZeneca „einen klaren Plan“

EU widerspricht AstraZeneca-Darstellung

In Brüssel gibt es den Verdacht, dass der schwedisch-britische Hersteller Großbritannien und andere Nicht-EU-Länder mit ungekürzten Mengen des Impfstoffs beliefert. Die EU wies am Mittwoch Angaben von AstraZeneca zur Begründung von Lieferengpässen zurück. „Wir bestreiten viele Dinge in diesem Interview“, sagte ein EU-Vertreter am Mittwoch mit Blick auf ein Gespräch von Unternehmenschef Pascal Soriot mit mehreren europäischen Zeitungen. „Zum Beispiel die Idee, dass Produktionsstätten in Großbritannien für Lieferungen in das Vereinigte Königreich reserviert seien.“

Der britische Premierminister Boris Johnson will sich auf diese Debatte nicht einlassen. Es handle sich um eine Angelegenheit zwischen der EU und AstraZeneca, sagte Johnson am Mittwochabend in London und fügte hinzu: „Wir sind sehr zuversichtlich, was unseren Nachschub und unsere Verträge betrifft.“

AstraZeneca-Chef Pascal Soriot
Reuters/Luke Macgregor
AstraZeneca-Chef Pascal Soriot weist die Vorwürfe der EU zurück

„Nicht zu festen Liefermengen verpflichtet“

Soriot hatte in dem Interview, das unter anderem die deutsche „Welt“ veröffentlichte, gesagt, AstraZeneca habe den Liefervertrag mit Großbritannien drei Monate früher als mit der EU geschlossen. Deshalb habe es dort mehr Zeit gegeben, um „Anfangsprobleme“ zu beheben. In der EU habe es mit einem Werk in Belgien dann „einen Standort mit großer Kapazität gegeben, der Ertragsprobleme hatte“, zitierte etwa die italienische Zeitung „La Repubblica“ den Firmenchef.

„Wir glauben, dass wir diese Probleme in den Griff bekommen haben, aber wir liegen im Grunde zwei Monate hinter dem zurück, wo wir sein wollten“, sagte Soriot weiter. Allerdings habe sich sein Unternehmen in der Vereinbarung mit der EU ohnehin nicht zu festen Liefermengen verpflichtet. AstraZeneca habe lediglich zugesichert, „dass wir unser Bestes geben werden“, verwies Soriot auf eine „Best Effort“-Vereinbarung mit der EU.

Schaidreiter (ORF) zum Streit über Impfdosenlieferungen

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet aus Brüssel über die Auseinandersetzung zwischen der EU und dem Impfstoffhersteller AstraZeneca.

AstraZeneca-Chef: EU zu langsam

„Der Grund war, dass Brüssel mehr oder minder zum selben Zeitpunkt beliefert werden wollte wie die Briten – obwohl die drei Monate früher unterzeichnet hatten. Darum haben wir zugesagt, es zu versuchen, uns aber nicht vertraglich verpflichtet“, wurde Soriot zitiert. Doch das sei „eine Nebelkerze“, hieß es am Mittwoch aus Kreisen der EU-Behörde. Der EU-Vertreter sagte, die „Best Effort“-Klausel sei Standard bei Verträgen mit Herstellern, deren Produkte sich noch in der Entwicklung befänden. Wenn der Impfstoff zugelassen werde, dann seien aber die vereinbarten vorproduzierten Mengen zu liefern.

Der EU-Vertreter sagte auch, die Vereinbarung, die die EU-Kommission im August mit dem schwedisch-britischen Unternehmen getroffen habe, sehe Flexibilität bei den Produktionsstätten vor. „Wenn es also in einem Werk in Belgien ein Problem gibt, haben wir Kapazitäten auch in anderen Werken in Europa und Großbritannien“, hieß es vonseiten des EU-Vertreters.

Impfstoff aus Großbritannien verlangt

Im Vertrag sind nach EU-Angaben konkret vier Fabriken genannt, zwei davon in Großbritannien. Auch diese müssten für den EU-Auftrag eingesetzt werden, ergo solle Impfstoff von Großbritannien auf den Kontinent geliefert werden, so Kyriakides. Dass die EU ihren Vertrag später abgeschlossen habe, spiele ebenfalls keine Rolle. „Wir weisen die Logik des ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘ zurück“, sagte Kyriakides. „Das gilt vielleicht beim Metzer um die Ecke, aber nicht bei Verträgen.“

EU mit AstraZeneca im Clinch

Der Streit um die Coronavirus-Impfstofflieferungen von AstraZeneca an die EU hat neue Dimensionen erreicht. Die Auseinandersetzung belastet nun auch die Beziehung zwischen Brüssel und Großbritannien.

Die EU-Kommission hatte Preise, Haftungsbedingungen und weitere Details der Verträge, die sie im Namen der Mitgliedsstaaten bis November mit sechs Herstellern getroffen hatte, unter Verweis auf Vertraulichkeitsklauseln nicht publik gemacht – will das jetzt aber im Fall von AstraZeneca nachholen: „Die Europäische Kommission will den Vertrag mit AstraZeneca publik machen und hat dies dem Unternehmen mitgeteilt“, hieß es in einer Aussendung.

Kritik aus Österreich

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verwies nach dem Ministerrat in Wien auf „ganz klare vertragliche Zusicherungen“: „Da kann man nicht herumdeuteln und Verträge unterschiedlich interpretieren.“

Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) kritisierte gegenüber der APA das Vorgehen von AstraZeneca. Angesprochen auf mögliche rechtliche Schritte, wie sie EU-Ratschef Charles Michel zuletzt in den Raum gestellt hatte, erklärte Edtstadler: „Verträge sind einzuhalten, wenn der Vertrag von einer Vertragspartei nicht eingehalten wird“, könne man „natürlich“ rechtliche Schritte überlegen.