Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)
APA/Herbert Neubauer
„Unmenschlich“

Kogler verurteilt Abschiebungen

Als „unmenschlich“ hat Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler die in der Nacht auf Donnerstag durchgesetzte Abschiebung von drei Schülerinnen nach Georgien bzw. Armenien verurteilt. Kritik übten SPÖ und NEOS. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verwies auf die geltende Rechtslage. Verständnis für die Abschiebungen zeigte die FPÖ.

„Es gibt keine zwingende rechtliche Verpflichtung zur Abschiebung von Schulkindern, die hier in Österreich aufgewachsen sind und gut integriert sind. Aber was es mit Sicherheit gibt, ist eine politische Verpflichtung zur Menschlichkeit. Und die Menschlichkeit hätten sich die Mädchen verdient, die jetzt mit polizeilicher Härte abgeschoben wurden. Diese Menschlichkeit sind wir auch dem Land schuldig“, sagte Kogler am Donnerstag im Ö1-Mittagsjournal.

In Richtung Nehammer, der auf die geltende Rechtslage verwiesen hatte, sagte Kogler: „Die bestehende Rechtslage ist natürlich eine Frage von Mehrheiten im Nationalrat. Diese Gesetze wurden über die Jahre – im Übrigen auch mit SPÖ-Beteiligung gegen die Stimmen der Grünen – beschlossen.“ Seine Partei werde sich darum bemühen, diese Mehrheiten zu ändern, sagte Kogler.

Rechtslage überprüfen

„Wie’s ausgeht, ist eine offene Frage, aber es geht ja darum, dass sich jemand bemüht und um diese Menschlichkeit kämpft. Das sind wir, das werden wir machen.“ Die Rechtslage müsse überprüft werden – und gegebenenfalls sollten wieder Härtefallkommissionen unter Beteiligung von Landeshauptleuten, Bürgermeistern, Schuldirektoren etc. eine Rolle spielen, „so wie es ja bis vor wenigen Jahren noch war“, sagte Kogler.

Die Rechtsvertreter und Rechtsverteterinnen der betroffenen Familien würden nun sicherlich Möglichkeiten suchen, die Kinder zurückzuholen, sagte Kogler: „Ich finde das gut, wenn es sie gibt, sollten sie genutzt werden.“ Die Vorgangsweise der Polizei, die zuvor der grüne Asylsprecher Georg Bürstmayr, der in der Nacht mit drei weiteren grünen Abgeordneten bei der Protestaktion dabei war, als „unverhältnismäßig“ und an einen „Anti-Terror-Einsatz“ erinnernd kritisiert hatte, muss laut Kogler überprüft werden.

Anschober für Härtefallkommission

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte in einem Interview mit Puls24: „Wir sind in der Regierung, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Dinge besser werden. Das gelingt an vielen Tagen, an manchen leider nicht. Gestern war so ein Tag.“ Am Mittwoch hatte sich Anschober für eine humanitäre Lösung ausgesprochen.

„Ich setze mich seit über zehn Jahren dafür ein, dass es keine Abschiebungen gibt, wo Familien bestens integriert sind, wo es Kinder gibt, die das Herkunftsland noch nicht einmal gesehen haben und die Sprache nicht sprechen.“ Er denke an Lösungsmöglichkeiten wie etwa in Deutschland, wo es eine Härtefallkommission für Sondersituationen gibt. „Das brauchen wir aus meiner Sicht auch in Österreich.“

Nehammer: „Für Polizei kein einfacher Dienst“

Nehammer sagte, es mache ihn „persönlich betroffen, wenn man sich mit den Schicksalen auseinandersetzt“. Gleichzeitig habe das Innenministerium „die Aufgabe, höchstgerichtliche Entscheidungen auch tatsächlich umzusetzen. Das ist auch für die eingesetzten Polizisten kein einfacher Dienst, aber dennoch notwendig, um hier dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen.“ Es handle sich um eine „höchstgerichtliche Entscheidung, die mehrfach geprüft worden ist, und die ist dann eben auch von Polizei durchzuführen“.

Ähnlich äußerte sich FPÖ-Obmann Norbert Hofer: „So schwierig solche Maßnahmen auch immer sind, aber in einem Rechtsstaat muss klar sein: Wenn es kein Recht auf einen Aufenthalt in Österreich gibt, dann muss man auch diese Maßnahmen setzen.“ Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte verkürzte Asylverfahren bei „chancenlosen Fällen“.

Schülerinnen trotz Protesten abgeschoben

Trotz Protesten sind Donnerstagfrüh drei Schülerinnen nach Georgien und Armenien abgeschoben worden. Eine Kundgebung mit rund 160 Personen – darunter Nationalratsabgeordnete der Grünen, der SPÖ und von NEOS – wurde kurz vor 5.00 Uhr aufgelöst.

SPÖ und NEOS empört

Eine Protestaktion gegen die Abschiebung wurde zuvor Donnerstagfrüh in Wien-Simmering von der Exekutive aufgelöst, die Abschiebung konnte danach durchgeführt werden. 160 Personen, darunter Nationalratsabgeordnete der Grünen, von SPÖ und NEOS, hatten dagegen an Ort und Stelle mobilgemacht. Wie die Polizei in einer Aussendung mitteilte, hätten die Demonstranten die Ausfahrt des Polizeikonvois beim Abschiebezentrum in der Zinnergasse 29 mit sperrigen Gegenständen wie Mistkübeln und Einkaufswagen verbarrikadiert. Zudem kam es zu Sitzblockaden.

Empört zeigte sich auch SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner: „Als Mutter macht es mich fassungslos, dass gut integrierte Kinder aus ihrem Leben gerissen und in ein fremdes Land abgeschoben werden“, schrieb sie am Donnerstag auf Twitter. SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried sprach von einem „zutiefst zynischen und unmenschlichen Akt“, mit dem „vom größten Regierungsversagen im Corona-Management und vom Versagen in der Terrorbekämpfung“ abgelenkt werden solle. Man hätte diesen Familien „im Sinne des Kindswohls“ humanitäres Bleiberecht geben müssen. „Fassungslos“ zeigte sich der SPÖ-Gemeinderat und Bundesvorsitzender der Österreichischen Kinderfreunde, Christian Oxonitsch.

NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper forderte am Donnerstag, dass künftig lokale Behörden bei Abschiebungen verpflichtend eingebunden werden müssen. Insbesondere die Voraussetzung für humanitäres Bleiberecht müsse in Abstimmung mit den Gemeinden passieren. NEOS Wien kündigte eine entsprechende SPÖ-NEOS-Resolution im Wiener Gemeinderat an.

„Besonderer Fall“ einer Zwölfjährigen

Im Vorfeld besonders debattiert wurde der Fall einer betroffenen zwölfjährigen Schülerin, die Montagabend mit ihrer Mutter und laut deren Anwalt fünfjährigen Schwester von der Fremdenpolizei in ein Abschiebezentrum gebracht worden war. Die Gymnasiastin, die im ersten Wiener Gemeindebezirk die Schule besuchte, fand die Unterstützung von Lehrern und Mitschülern, die mit ihrer guten Integration und der Hochphase der Pandemie gegen die Abschiebung argumentierten und (wie im Fall einer weiteren – armenischstämmigen – 20-jährigen Schülerin im zehnten Wiener Gemeindebezirk) eine Petition starteten.

Die Familie der Zwölfjährigen hat einen ersten Asylantrag 2015 gestellt, weitere folgten. Endgültig abgelehnt wurden alle Anträge im Dezember 2019. Der Vater verfügt laut dem Anwalt Wilfried Embacher allerdings über eine Aufenthaltsberechtigung in der Slowakei und kann sich so legal auch in Österreich aufhalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem Asylverfahren festgehalten, dass die lange Aufenthaltsdauer nicht zuletzt wegen beharrlicher Nichteinhaltung der behördlichen Vorgaben gegeben sei.

Auch eine Frage der Kinderrechte

Rechtsexperte Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck sprach von einem „wirklich besonderen Fall“, der aufgrund des langen Aufenthalts der Zwölfjährigen „sehr tragisch“ sei. „Aber auf der anderen Seite ist die Rechtslage schon eindeutig“, sagte Bußjäger. Man müsse weiter daran arbeiten, die Verfahren zu beschleunigen.

In dem Fall müsse man aber auch die Frage der Kinderrechte genauer untersuchen: Die Abschiebung eines Kindes, das die Sprache des Staates, in den es abgeschoben wird, nicht kennt, „sollte nach Möglichkeit verhindert“ werden, so Bußjäger. Eine gesetzliche Klarstellung könnte hier helfen. Man könne zum Beispiel überlegen, dass Kinder, die in Österreich geboren wurden und eine längere Zeit hier gelebt haben, nicht abgeschoben werden dürfen.

Kritik an Bleiberecht von NGO asylkoordination

Der Sprecher der asylkoordination, Lukas Gahleitner-Gertz, sagte: „Man muss sich genau anschauen, warum die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, um hier den Aufenthalt von diesen Personen zu legalisieren, damit sie auch dort leben können, wo sie zeit ihres Lebens gelebt haben.“ Das Bleiberecht sei in den letzten Jahren systematisch kaputtgemacht worden. „Die Hürden sind derart hoch, dass sie einfach realistisch nicht erfüllbar sind.“

„Es gibt Menschen, die schon lange in Österreich leben, aber kein Asyl haben“, sagte Gahleitner-Gertz. Für diese wäre ein Bleiberecht die Lösung, derzeit gebe es aber nur das humanitäre Bleiberecht. „Da entscheidet das Innenministerium, ob es gewährt wird.“ Die Menschen müssten Voraussetzungen erfüllen wie die volle Selbsterhaltungsfähigkeit – „und das ist für Personen, die während des Verfahrens auch kein Aufenthaltsrecht haben und somit auch nicht arbeiten dürfen, das ist nicht lebensnah und es ist quasi eine Alibiaktion“.

Laut Gahleitner-Gertz sollte die Entscheidung auch nicht mehr beim Innenministerium liegen. „Es muss auch zu einer Behörde kommen, die die Integration besser beurteilen kann. Und das ist eben in den Ländern und nicht im Ministerium“, sagte der Sprecher der asylkoordination.