Gamestop-Filiale
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Hobbytrader vs. Hedgefonds

Kulturkrieg an der Wall Street

Der Kampf um Aktien einer Videospielkette sorgt an den US-Börsen für Furore: Kleinanleger, die in Horden per Broker-Apps in den Aktienhandel eingestiegen sind, liefern sich eine Schlacht mit Hedgefonds und zwingen diese in die Knie: Der Wert der Aktie explodiert. Börsenaufsicht und sogar das Weiße Haus melden sich zu Wort. Doch so ganz stimmt die Geschichte von David gegen Goliath nicht. Und am Donnerstag wurde dem Treiben vorerst ein Riegel vorgeschoben, was wiederum Proteste auslöste.

GameStop ist eine Einzelhandelskette für Computerspiele. In den vergangenen Jahren geriet das Geschäftsmodell des Unternehmens angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch den Onlinehandel unter Druck. Mehrere hundert Filialen sollen geschlossen werden. Die GameStop-Aktie wurde zum Ziel von Short-Sellern, oftmals sind das Hedgefonds. Diese leihen sich Anteilsscheine, stoßen sie auf dem Markt ab und kaufen sie später zurück. Damit wetten sie auf fallende Kurse – die für sie einen Gewinn bedeuten.

Im Jänner wurde bekannt, dass GameStop mehrere altgediente Experten für Onlinehandel in die Geschäftsführung aufnahm. Unter ihnen ist Ryan Cohen, Investor und Gründer einer Kette für Haustierbedarf, er sicherte sich Anteile in der Höhe von 13 Prozent und warb für ein Onlinehandelkonzept, das GameStop sogar zum Amazon-Konkurrenten machen sollte.

Spätestens hier begann ein Kulturkampf. Angesichts der Geschäftsidee trieben Kleinanleger die Aktie in die Höhe. Zum wiederholten Mal wurde die Marktmacht der „Generation Smart Broker“ deutlich. In den vergangenen Monaten boomten Trading-Apps, die Millionen junge Smartphone-Besitzer auf den Aktienmarkt lockten, wo sie ohne große Gebühren oder Provisionen mitmischen können.

Kurs in die Höhe getrieben

Gleichzeitig schätzte ein Teil der professionellen Trader GameStops Geschäftsidee als nicht tragfähig ein. Der Shortseller Citron prophezeite in einem Tweet einen raschen Rückfall des Kurses. Doch das rief die Hobbytrader erst recht auf den Plan. Sie organisierten sich auf der Onlineplattform Reddit.

Eine Filiale der Einzelhandelskette für Computerspiele und Unterhaltungssoftware „Gamestop“.
AP/Nam Y. Huh
Eine Videospielkette als Schauplatz eines Börsenkampfs

In dem Unterforum „WallStreetBets“ tauschten sich rund 3,6 Millionen Mitglieder über Strategien im Kampf gegen die etablierten Börsenhändler aus – und trieben den Kurs in die Höhe. Die Aktie, die im Frühjahr gerade noch um knapp vier Dollar gehandelt wurde, lag am Mittwoch bei 150 Dollar. Das „Wall Street Journal“ schrieb gar von einem „Krieg“, der zwischen Hedgefonds und Amateurhändlern ausgebrochen sei.

Hedgefonds geriet ins Taumeln

Der Hedgefonds Melvin, der stark auf das Fallen des Kurses gewettet hatte, musste sich mit hohen Verlusten von seinen Wetten verabschieden und geriet ins taumeln. Das wurde erst durch Stützungskäufe anderer Hedgefonds beendet. Auch Citron musste schwere Verluste hinnehmen. Der Analysefirma S3 Partners zufolge summieren sich die seit Jahresbeginn aufgelaufenen Verluste allein aus Wetten auf einen Verfall der GameStop-Papiere auf fünf Milliarden Dollar.

Viele kleine Robinhoods

Für „WallStreetBets“-Gründer Jaime Rogozinski steht die Aktion im Geist der kapitalismuskritischen Bewegung Occupy Wall Street. Was den Aktivisten damals nicht gelungen sei, könnten er und seine Mitstreiter nun mit anderen Mitteln erreichen, sagte Rogozinski. Occupy Wall Street habe das System verurteilt als „ein Spiel, das wir nicht mitspielen können“. Die Gruppe „WallStreetBets“ habe nun einen anderen Weg gefunden, um die Finanzakteure herauszufordern.

Das entspricht wohl auch dem Selbstverständnis vieler Kleinanleger, nicht umsonst heißt die meistverwendete Trading-App Robinhood. Gleichzeitig kursierten im Internet Memes, in denen sich Kleinanleger mit Fotomontagen über die Verluste institutioneller Investoren lustig machen. Auch der Gründer des US-Elektroautoherstellers Tesla, Elon Musk, heizte die Lage weiter an. Er postete auf Twitter einen Link zu dem „WallStreetBets“-Forum.

Nickel statt Videospielen

Bei vielen der Hobbyzocker steht wohl weniger der politisch-symbolische Gedanke als viel mehr der Traum vom schnellen Geld im Vordergrund. Und das kann auch schnell die Sicht einschränken. Wir wirr die Lage ist, zeigt ein Beispiel: Die Aktien des praktisch unbekannten Nickelproduzenten GME Resources gingen durch die Decke, da das Unternehmen eine weitgehend gleiche Buchstabenkombination wie GameStop hat. Beide haben das Börsenkürzel „GME“. Die Australier sind aber an der Börse Sydney notiert, GameStop dagegen an der Wall Street. Etlichen Kleinanlegern dürfte dieses Detail entgangen sein – sie sind nun stolze Aktienbesitzer des Nickelproduzenten.

Weißes Haus und Börsenaufsicht äußern sich

Die Kursrallye von GameStop rief sogar die US-Regierung auf den Plan. Die Situation werde von Wirtschaftsexperten im Weißen Haus und von Finanzministerin Janet Yellen beobachtet, sagte die Sprecherin von US-Präsident Biden, Jen Psaki. Auch die US-Börsenaufsicht (SEC) erklärte, sie habe das Treiben um die GameStop-Aktie im Blick. Der frühere SEC-Ermittler Jacob Frenkel forderte ein Einschreiten der Behörde. Eine Option sei, den Handel mit der Aktie für zehn Tage auszusetzen.

App setzt Käufe aus – Proteste auch aus der Politik

Am Donnerstag stieg der GameStop-Kurs auf 350 Dollar, ehe Robinwood – freiwillig oder nicht – die Notbremse zog. Mit der App konnten keine GameStop-Aktien gekauft werden. Der Kurs gab deutlich nach. Auch der Handel mit anderen Aktien wie Blackberry, Nokia und AMC wurde verunmöglicht. Auch hier hatten die Smartphone-Anleger die Kurse zuletzt in die Höhe getrieben.

Zwei Robinhood-Nutzer in Illinois und New York reichten umgehend Klagen gegen den Schritt ein. Und auch aus der Politik kamen empörte Stimmen: Der zukünftige Vorsitzende des Bankenausschusses im Senat, Sherrod Brown, kündigte am Donnerstag auf Twitter Anhörungen „zum Zustand des Aktienmarktes“ an. Der Schritt sei inakzeptabel, schrieb die linke Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez auf Twitter. Sie wies darauf hin, dass Hedgefonds weiter frei handeln durften. Ihr stimmte auch der erzkonservative republikanische Senator Ted Cruz zu. Ab Freitag sollten Käufe mit der App limitiert wieder möglich.

Finanzdienstleister in Doppelrolle

Zuvor waren erste Zweifel laut geworden, ob das tatsächlich nur eine Schlacht David gegen Goliath sei. So wurde bekannt, dass der Milliardär David Foss, Gründer sowie ehemaliger Vorsitzende und CEO des Subprime-Autofinanzierungsunternehmens Credit Acceptance, ebenfalls im großen Stil eingestiegen war – ebenso wie die Investmentgesellschaft BlackRock.

Und dann ist da noch das Finanzdienstleistungsunternehmen Citadel, das auch einige Hedgefonds betreibt. Citadel eilte dem angeschlagenen Konkurrenten Melvin mit Stützungskäufen zur Hilfe, hieß es. Ob das tatsächliche eine uneigennützige Hilfe war, wird von einigen bezweifelt. Denn Citadel spielt noch in anderer Funktion eine Rolle. Ein Unternehmen der Gruppe wickelt, vereinfacht gesagt, technisch die Transaktionen der App Robinhood ab – und verdient dabei mit.

In einem viel beachteten Twitter-Thread wurde spekuliert, ob das Unternehmen nicht vielleicht auch selbst mitmische: Immerhin habe es einen Informationsvorsprung von einigen Millisekunden, wenn Order gesetzt werden – und den könnten sie nutzen. Insgesamt sind viele Expertinnen und Experten sicher, dass die Hobbytrader nicht ganz alleine die Schlacht schlagen, sondern durchaus größere Marktplayer diskret ihre Finger im Spiel haben.

Wer gewinnt am Ende?

Die endgültigen Gewinner dieses Kräftemessens stehen noch nicht fest: Klar ist, dass die GameStop-Aktie drastisch überbewertet ist. Insofern sollten sich bald neue Shortseller anstellen, um auf den recht logischen Kursverfall zu wetten. Die Kleinanleger, die kurzeitig enorme Summen auf ihren Handydisplays sahen, könnten auch bald wieder mit leeren Händen dastehen, während ein paar Profis am Ende doch gewinnen. Art Hogan, Chef-Anlagestratege des Vermögensverwalters National Securities, sagte. „Man weiß, dass es nicht gut ausgehen wird. Aber während es passiert, sitzen die Leute da und schauen fasziniert zu.“

Zudem droht eine strengere Regulierung von Internetplattformen, auf denen sich Kleinanleger zuletzt koordiniert hatten. „Wenn Kleinanleger scheinbar koordiniert in großem Stil Aktien kaufen, wirft das die Frage möglicher Marktmanipulationen auf“, gibt Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets zu bedenken. Für institutionelle Anleger seien solche Absprachen ausdrücklich verboten.