Das Familien-Schubhaftzentrum in Wien-Simmering
APA/Georg Hochmuth
Recht und Emotionen

Abschiebungsstreit lässt Wogen hochgehen

Die jüngst durchgeführten Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien und Armenien sorgt nicht nur für Zwist in der Koalition aus ÖVP und Grünen, sondern lässt generell die Wogen hochgehen. Der Fall erinnert an den von Arigona Zogaj im Jahr 2007 – auch damals beherrschte eine emotional geführte Debatte die Innenpolitik.

Die damals 15-jährige Zogaj war aufgrund der drohenden Abschiebung ihrer Familie in den Kosovo für rund zwei Wochen abgetaucht und hatte so eine heftige politische und gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Damals wie heute befeuert die Abschiebung von gut integrierten Kindern bzw. Jugendlichen die Diskussion über die Treffsicherheit der Asylpolitik. Und ebenfalls damals wie heute stehen sich in den Argumentationen rechtliche Fragen und Emotionen gegenüber – auch und vor allem in den Sozialen Netzwerken, wo die Causa heftig debattiert wird, sowie den Medien.

In Letzteren meldete sich am Freitag auch eine der Betroffenen zu Wort. Einen Tag nach ihrer Abschiebung nach Georgien schilderte die zwölfjährige Tina erstmals ihre Eindrücke. Um Haltung bemüht, aber sichtlich emotional berührt, sagte sie im Interview mit der ZIB2, sie habe weiter Hoffnung, und betonte: „Österreich ist meine Heimat.“ ÖVP-Innenminister Karl Nehammer verteidigte seinerseits in der ZIB2 die Abschiebung, kritisierte die Mutter und betonte, dass er keinen Änderungsbedarf bei den Abschiebungen sieht.

„Trauer, Wut und Angst“

In dem Videotelefonat schilderte Tina, dass sie bei der Abschiebung, als sie im Polizeiauto an den für sie und ihre Familie demonstrierenden Schulfreundinnen und -freunden vorbeigefahren sei, eine Mischung aus Trauer, Wut und Angst empfunden habe. Gesundheitlich geht es dem Mädchen, das mit ihrer Familie nun bei ihrer Großmutter wohnt, nach eigenen Angaben gut, „ansonsten aber nicht so gut“. Sie werde ihre Freunde und die Schule vermissen. Sie könne Georgisch nur sprechen, aber weder schreiben noch lesen, betonte sie.

Die Zwölfjährige sagte, sie habe die „Hoffnung, dass meine Freunde mir helfen. Ich bin sehr stolz auf meine Freunde. Ich habe das Gefühl, dass alles gut werden wird, aber vielleicht in etwas längerer Zeit.“ Und sie betonte, dass sie Österreich als ihre Heimat betrachte.

Abgeschobene Schülerin meldet sich aus Georgien

Die Abschiebung von drei Schülerinnen und deren Familien sorgt für eine heftige politische Debatte. Eines der drei Mädchen ist die zwölfjährige Tina – in Österreich geboren und aufgewachsen muss sie sich nach ihrer Abschiebung nun in Georgien zurechtfinden. Am Telefon erzählt sie, wie schwer ihr das fällt.

Nehammer verteidigt Abschiebung

Innenminister Nehammer, live in die ZIB2 zugeschaltet, verteidigte die Abschiebung. Er kritisierte mehrfach einen „Teil der Eltern“ – womit er offenbar die Mutter meinte. Diese habe die Kinder in diese Lage gebracht und das Asylrecht bewusst missbraucht, so der Innenminister unter Verweis auf die wiederholten Asylanträge, die immer aussichtslos gewesen seien. Denn es sei „von Anfang an klar“ gewesen, dass es keine Bleibeberechtigung gebe. Außerdem seien sechs Abschiebeversuche vereitelt worden.

Nehammer betonte mehrmals, das Asylrecht in Österreich sei unabhängig und objektiv. Außerdem widersprach Nehammer Behauptungen, dass die Option humanitäres Bleiberecht nicht geprüft worden sei. Dieses sei in allen Instanzen geschehen. Der Anwalt der Familie, Wilfried Embacher, hatte im Beitrag betont, ein im Frühjahr gestellter Antrag auf humanitäres Bleiberecht sei nie abgeschlossen worden.

Innenminister Nehammer zur Asyldebatte

Zu den Abschiebungen von drei Schülerinnen und deren Familien und der daraus resultierenden politischen Debatte nimmt ÖVP-Innenminister Karl Nehammer in der ZIB2 Stellung.

Sieht für sich keinen Spielraum

Den mehrmaligen Hinweis, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ja keine Anweisung sei, sondern lediglich die Erlaubnis, abzuschieben, und man somit Spielraum gehabt habe, ließ Nehammer so nicht gelten. Wenn er eine Abschiebung aktiv verhindere, wäre das Amtsmissbrauch, sagte Nehammer.

Und der ÖVP-Minister verwies zudem darauf, dass der konkrete Fall nicht geeignet sei, das Asylrecht infrage zu stellen. Aus Nehammers Sicht handelt es sich dabei um einen Missbrauch des Asylsystems vonseiten der Familie. Es würde das Asylrecht ad absurdum führen, wenn er als Minister die Entscheidungen der Höchstgerichte nicht anerkennen würde. Und gleichzeitig wäre es allen Betroffenen, die sich den Urteilen beugen müssen, gegenüber ungerecht.

Auch den Ablauf des Polizeieinsatzes verteidigte Nehammer und betonte, ein solcher Einsatz sei für die Beamtinnen und Beamten ebenfalls schwer. Bei Abschiebungen insbesondere mit Kindern gebe es genaue Regeln, es gebe etwa humanitäre Beobachter, ein Arzt sei dabei, und die Polizei sei unbewaffnet. In diesem Fall habe man wegen Aufrufen in Sozialen Netzwerken die Einsatzkräfte bewaffnet und maskiert benötigt.

Gegen Härtefallkommissionen

Politische Konsequenzen erwartet Nehammer aus dem Fall nicht. Härtefallkommissionen auf Landesebene erteilte Nehammer eine klare Absage. Änderungen seien hier nicht notwendig, so Nehammer. Er verwies darauf, dass es diese ja in der Idealform gebe – nämlich als „weisungsfreie und unabhängige“ Gerichte. Im Vorjahr sei rund 2.500-mal das humanitäre Bleiberecht vom Bundesamt für Fremdenrecht und Asylwesen oder in zweiter Instanz vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt worden. Damit hätten im aktuellen Fall die Gerichte das Kindeswohl berücksichtigt, so Nehammer.

Der grüne Koalitionspartner, Kritiker und auch Stimmen aus der ÖVP – darunter der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner – plädieren dagegen für die Wiedereinsetzung der 2014 abgeschafften Härtefallkommissionen auf Landesebene. Dort gebe es einen genaueren Einblick in die Situation, so das Argument.

Abschiebungen: Mehr Mitsprache für Länder und Gemeinden gefordert

Nach der Abschiebung von drei Schülerinnen und ihren Familien Donnerstagfrüh in Wien fordern die Länder und Gemeinden jetzt mehr Mitspracherecht in solchen Fällen.

Nehammer sieht keine Gefahr für Koalition

Dass dieser Fall und der Grundsatzzwist in Sachen Asyl und Umgang mit Flüchtlingen die Koalition ernsthaft beschädigen könnte, glaubt Nehammer nicht. „Das sehe ich überhaupt nicht so“, sagte er. Beide Seiten hätten schon bei den Koalitionsverhandlungen gewusst, „dass das Thema schwierig für die Grünen sein wird“. Aber im Wissen darum hätten beide Parteien ein umfangreiches Regierungsprogramm verhandelt, „und das gilt es jetzt umzusetzen“, so Nehammer.

SPÖ und NEOS über Innenminister empört

Nehammer hätte durchaus humanitäres Bleiberecht aussprechen können. Aber „er versteckt sich jetzt hinter Paragrafen“ und demonstriere bei der Abschiebung der Schülerinnen „Härte“ – die er bei der Bekämpfung des Terrorismus nicht gezeigt habe, übte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner Samstag in einer Pressekonferenz Kritik. Diese „große Härte“ und Kompetenz habe der Innenminister vor wenigen Monaten vermissen lassen, als er „ungehindert einen mutmaßlichen Terroristen Munition im Ausland“ hätte einkaufen lassen.

Auch die Art und Weise, wie die Abschiebung durchgeführt wurde, zeige „die Kaltherzigkeit und Unmenschlichkeit dieser Bundesregierung“. Der mittlerweile laut gewordenen Forderung nach wieder stärkerer Mitsprache der Länder beim humanitären Bleiberecht schloss sich Rendi-Wagner „inhaltlich voll“ an.

Dieser Forderung schloss sich auch NEOS an. Die NEOS-Sprecherin für Inneres, Stephanie Kripser, plädierte zudem dafür, die Abschiebungen rückgängig zu machen. Sie kritisierte Nehammer ebenfalls scharf: Er versuche jetzt, sich mit Unwahrheiten und Falschinformationen aus der Verantwortung zu stehlen. Aber nicht die Justiz habe die Abschiebung angeordnet, „diese verfassungswidrige Unmenschlichkeit hat allein das Innenministerium zu verantworten“ – denn es hätte aus Gründen des Kindeswohls sehr wohl humanitäres Bleiberecht gewähren können.

Anwalt: Versuch, uns für dumm zu verkaufen

Der Anwalt der abgeschobenen Familie, Embacher, hatte – sich auf frühere Aussagen Nehammers beziehend – im ZIB2-Beitrag betont, es sei „fast schmerzhaft, wie hier versucht wird, uns und die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen“. In dem Beitrag betonte auch die ehemalige SPÖ-Justizministerin und ehemalige EuGH-Richterin Maria Berger, dass Nehammer anders hätte handeln können.

Am Samstag erneuerte er seine Kritik gegenüber der APA und nannte Nehammer sogar einen „Rechtsbrecher“. Dass Nehammer der Mutter der 12-jährigen Tina die Schuld an der Situation gibt, empörte Embacher besonders. Die Mutter habe keine Gesetze gebrochen, und selbst wenn sie Fehler gemacht hätte, spiele das beim Abwägen des Kinderwohls keine Rolle. „Das Verhalten der Eltern ist rechtlich komplett irrelevant. Die Eltern spielen keine Rolle. Das Kinderwohl steht über allem“ und hätte unmittelbar vor der Abschiebung neuerlich geprüft werden müssen, so Embacher. Der Anwalt wirft den Behörden zudem vor, Anträge der Schwestern auf humanitäres Bleiberecht im Mai 2020 absichtlich liegen gelassen zu haben – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Dann stimmt etwas mit den Gesetzen nicht“

Bereits vor und während der Abschiebung der Zwölfjährigen hatten sich insbesondere ihre Schulkameraden aus dem Wiener Gymnasium Stubenbastei solidarisch gezeigt. Der 17-jährige Schulsprecher der Schule, Theo Haas, kündigte an, den Fall nicht ruhen lassen zu wollen. Man sei „extrem betroffen“. Die laut Haas „unmenschliche“ Abschiebung sei eiskalt durchgezogen worden. Es handle sich um eine perfekt integrierte Familie, deren Kinder in Österreich geboren worden seien.

Stubenbastei-Schulsprecher Haas über die Abschiebungen

Der Schulsprecher vom Stubenbastei-Gymnasium in Wien, Theo Haas, nimmt in der ZIB Nacht Stellung zur Abschiebung seiner ehemaligen Mitschülerinnen.

„Wenn das gesetzeskonform ist, dann stimmt etwas mit den Gesetzen nicht“, so Haas. Die Politik sei gefordert, nachzubessern und dafür zu sorgen, dass solche Geschehnisse sich nicht wiederholen. Es gebe aber Kraft und Motivation, dass aus dem Protest ein gesellschaftspolitischer Diskurs entstanden sei. Die Rückkehr von Tina und ihre Schwester hätten nun oberste Priorität.