Inneministerium
ORF.at/Carina Kainz
Debatte über Abschiebungen

Ministerium verweist auf gesetzliche Pflicht

Angesichts der Debatte über die Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien und Armenien hat das Innenministerium am Sonntag in einer Aussendung auf die rechtliche Lage bei Abschiebungen hingewiesen. Dabei wurde bekräftigt, dass ein Verzögern oder Absehen von Abschiebungen die höchstgerichtliche Entscheidung unterlaufen würde und reine Willkür wäre.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und das Innenministerium seien nach dem Legalitätsprinzip zur strengen Einhaltung der Gesetze verpflichtet. Jegliches Handeln könne nur auf Basis der Gesetze erfolgen, hieß es in einer Aussendung.

In dieser beschrieb das Innenministerium mehrere Aspekte der Gesetzeslage. Dieser zufolge kommt grundsätzlich jedem Asylwerber mit Stellung des Asylantrages ein Abschiebeschutz zu. Bei Folgeanträgen – also weiteren Anträgen nach einem bereits rechtskräftig erledigten Verfahren – könne der bei Antragsstellung bestehende faktische Abschiebeschutz unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden. Sei das der Fall, sei eine Abschiebung auch ohne rechtskräftige Entscheidung über den Asylantrag rechtlich zulässig.

Keine aufschiebende Wirkung bei Antrag auf Bleiberecht

Anträge auf humanitäres Bleiberecht hätten grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, führt das Innenministerium aus. Die Betroffenen seien trotz eines solchen Antrages zu einer fristgerechten Ausreise verpflichtet. Das sei auch „sachlich geboten, da ja bereits im Asylverfahren rechtskräftig festgestellt worden ist, dass im Herkunftsstaat keine Verfolgung und keine sonstige Bedrohung besteht“. Hinzu komme, dass ein humanitärer Aufenthalt nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gewährt werden könne.

Das Ministerium betonte, dass Betroffene gerichtlich zur Ausreise verpflichtet seien, wenn es eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung gebe und diese im Beschwerdefall durch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) bestätigt worden sei. Dabei werde auch festgestellt, bis wann die Person Österreich zu verlassen habe. Mache die Person nicht von der Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise Gebrauch, müsse das BFA Schritte zur Außerlandesbringung – ergo zur Abschiebung – setzen. Die Pflicht darin sei in seinen gesetzlichen Aufgaben verankert.

Verweis auf EU-Richtline

Abschiebungen seien laut Ministerium nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise ehestmöglich durchzuführen, wenn im Einzelfall klar sei, dass die zur Ausreise verpflichtete Person keinesfalls bereit sei, ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Auch Artikel 8 Absatz 1 der EU-Rückführungsrichtlinie lege fest, dass die Mitgliedsstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung zu ergreifen hätten, wenn der Ausreisepflicht nicht nachgekommen werde.

Abschiebungsstreit lässt Wogen hochgehen

Die jüngst durchgeführte Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien und Armenien sorgt nicht nur für Zwist in der Koalition aus ÖVP und Grünen, sondern lässt generell die Wogen hochgehen.

Betont wird, dass die Behörde darüber hinaus vor jeder Abschiebung auch die Verpflichtung im Vorfeld zu prüfen hat, ob sich durch eventuell geänderte Umstände, die nach der Rechtskraft der Entscheidung eingetreten sind, weiterhin keine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 (Recht auf Leben), Artikel 3 (Verbot der Folter sowie unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe) sowie Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) EMRK ergeben hat.

In Fällen, in denen Abschiebungen „rechtlich geboten und tatsächlich möglich“ seien und die Ausreisepflicht von den Betroffenen missachtet worden sei, wäre ein Verzögern oder ein Unterlassen der Abschiebung „Willkür und würde (höchst)gerichtliche Entscheidungen unterlaufen. Ebenso würde dies dem Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung von Fremden untereinander widersprechen“, betonte das Ministerium.

Kritische Verweise auf Vorrang des Kindeswohls

Anlass der Debatte ist die jüngst durchgeführte Abschiebung von drei in Wien bzw. Niederösterreich lebenden Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Familien nach Georgien und Armenien. In den Fällen gab es zuletzt heftige Kritik am Handeln des Ministeriums.

Diese kam unter anderem von der ehemaligen SPÖ-Justizministerin und Richterin am Europäischen Gerichtshof, Maria Berger: Sie betonte, dass das Innenministerium nach Prüfung der Situation von Abschiebungen Abstand nehmen könne – etwa aufgrund von Verhältnismäßigkeit und Fragen des Kindeswohls. Das Höchstgericht genehmige nur Abschiebungsanträge des Innenministeriums, ordne diese aber nicht an. Zudem sei vor der Abschiebung eine erneute Prüfung der aktuellen Situation bezüglich des Kindeswohls geboten gewesen.

Auch der Anwalt einer der Betroffenen, Wilfried Embacher, kritisierte die Argumentation von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und des Ministeriums scharf. „Das Kinderwohl steht über allem“ und hätte unmittelbar vor der Abschiebung neuerlich geprüft werden müssen, so Embacher. Nehammer hätte sehr wohl die gerichtlichen Entscheidungen ändern und der Familie und Bleiberecht gewähren können. Das Verhalten der Eltern sei den Kindern nicht zuzurechnen.

Lage der Kinder befeuert Diskussion

Besonders debattiert wurde der Fall der zwölfjährigen Tina, die ein Gymnasium im ersten Wiener Gemeindebezirk besucht hatte. Sowohl sie als auch ihre fünfjährige Schwester wurden in Österreich geboren, allerdings wurden insgesamt sechs seit 2006 gestellte Asylanträge der Familie negativ beschieden, zudem seien bereits sechs Versuche der Abschiebung „vereitelt“ worden, wie das Bundesamt für Fremdenwesen am Freitag mitgeteilt hatte. Die Debatte entzündete sich am Geburtsort und der Integration der Kinder. Die Zwölfjährige selbst hatte am Freitag gegenüber der ZIB2 in einer Videobotschaft aus Georgien betont, dass Österreich ihre Heimat sei und sie auf eine Rückkehr hoffe.

Auch das nach Armenien abgeschobene Geschwisterpaar galt als gut integriert. Wie der „Standard“ berichtete, handelt es sich um eine 20-Jährige und einen 16-Jährigen, die sich beide in laufenden Ausbildungen befänden. Die 20-Jährige sei 2016 nach Österreich gekommen und stehe kurz vor der Matura, sie wolle Jus studieren. Ihr Bruder sei mit zehn Jahren nach Österreich gekommen, er habe die Fachschule einer BHS besucht. Beide hätten keinen Bezug mehr zu Armenien. Laut der in dem Artikel zitieren Anwältin sollen in dem Fall auch noch nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft worden sein.

Heftig geführte Debatte

Die in der Nacht auf Donnerstag durchgeführte Abschiebung der Zwölfjährigen und ihrer Familie war von einer Kundgebung begleitet worden, die von der Polizei aufgelöst wurde. Im Anschluss entwickelte sich eine heftig geführte Debatte, die sich zunehmend um die Treffsicherheit der Asylpolitik beziehungsweise der geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen dreht.

Debattiert wurde unter anderem über die mögliche Wiedereinrichtung einer Härtefallkommission der Länder, für die sich mehrere Länderchefs ausgesprochen hatten. Zudem wurde am Sonntag über eine ab 1998 geltende Bestimmung diskutiert, in der es hieß: „Fremde, die von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sind, dürfen nicht ausgewiesen werden.“ Nach vielen Novellen wurde die Bestimmung, die nicht mehr ganz jener von 1998 entsprach, 2018 endgültig gestrichen.

Ungemach in Regierung

Zwischen den Regierungsparteien sorgte die Abschiebung für Ungemach. Mehrere Grüne übten Kritik an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Dieser verwies auf die oben dargelegte Gesetzeslage. Nehammer betonte mehrmals, das Asylrecht in Österreich sei unabhängig und objektiv. Er kritisierte mehrfach einen „Teil der Eltern“ – womit er offenbar die Mutter meinte. Diese habe die Kinder in diese Lage gebracht und das Asylrecht bewusst missbraucht, so der Innenminister unter Verweis auf die wiederholten Asylanträge, die immer aussichtslos gewesen seien. Auch ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer betonte die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Eine solche erfolge nur nach umfassender Prüfung und bei negativem Verfahrensabschluss.

Zahlreiche politische Akteure und Akteurinnen äußerten indes in den vergangenen Tagen in dem Fall Kritik. Bundespräsident Alexander Van der Bellen rief dazu auf, einen „Weg des menschlichen, respektvollen Umganges miteinander“ zu finden, und verwies auf die Kinderrechte. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper hatten die Abschiebungen am Freitag kritisiert und Nehammer angelastet, dass dieser humanitäres Bleiberecht veranlassen hätte können. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz stellte sich hinter die ÖVP und verwies auf die geltende Rechtslage. Die Behörden hätten alle Verfahren korrekt abgewickelt.