Medizinerin mit einem indischen Impfstoff
AP/Thein Zaw
„Impfdiplomatie“

Vakzine als Pfand im Rennen um Einfluss

Im geopolitischen Wettstreit zwischen Indien und China hat die Impfung gegen das Coronavirus eine zentrale Stellung erlangt. Durch „Impfdiplomatie“ versuchen die beiden Staaten an Einfluss und Image zu gewinnen. Große Kontingente an Impfstoffen werden rasch in ärmere oder Nachbarländer geliefert, teilweise gespendet. Indien, die „Apotheke der Welt“, ist drauf und dran, dem mächtigen Rivalen den Rang abzulaufen.

Die beiden asiatischen Großmächte verfolgen eine Art Antithese zum „Impfnationalismus“, der sich mitunter auch in EU-Staaten breitgemacht hat. Mit der Unterstützung von Nachbarstaaten, bedürftigen Ländern und auch dem unbürokratischen Verkauf ihrer Vakzine wollen die beiden Länder im Ausland ihr Ansehen aufpolieren und Einfluss gewinnen. Das funktioniert freilich dadurch, dass China und Indien bei der Produktion selbst entwickelter Impfstoffe weit vorangekommen sind und nun massenweise Vakzine herstellen.

Die Impfstoffe der chinesischen Firmen Sinopharm und Sinovac sind in der EU nicht zugelassen. Indiens Serum Insitute produziert unter dem Namen Covishield den von AstraZeneca entwickelten Impfstoff im Land selber. Zudem wurde das in Indien vom Konzern Bharat Biotech in Rekordzeit entwickelte Covaxin zugelassen, obwohl die klinischen Phase-drei-Studien noch gar nicht abgeschlossen sind.

Peking hat lange Erfahrung damit, sich in andere Staaten hineinzuinvestieren. Durch große Infrastrukturprojekte, technologische Unterstützung und Darlehen baute es auch in Europa und Afrika seinen Einfluss sukzessive aus. In Sachen Pandemiebekämpfung setzt China auf „Impfdiplomatie“: Großzügigkeit bei der Verteilung von Vakzinen soll den Boden bereiten für spätere Zusammenarbeit. Die Volksrepublik unterzeichnete bereits etliche Abkommen, um andere Länder mit Impfdosen zu beliefern und im Gegenzug Wohlwollen zu erhalten. So belieferte China schon eine Vielzahl an Ländern, darunter die Philippinen, Simbabwe, Marokko und viele mehr.

China will um nichts nachstehen

Nun will China auch Covax zehn Millionen Impfdosen zur Verfügung stellen, während man aber noch auf eine Notfallzulassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wartet. An dem Covax-Programm ist die WHO federführend beteiligt. Es soll weltweit einen gleichmäßigen und gerechten Zugang zu den Impfstoffen gewährleisten. Insgesamt will Covax zwei Milliarden Dosen für ärmere Länder bereitstellen.

Impfstoffproduktion in Indien
APA/AFPPunit Paranjpe
Indiens Serum Institute gilt als größte Impfstofffabrik der Welt. Hier wird das AstraZeneca-Vakzin unter dem Namen Covishield produziert.

Chinas Zusage an Covax wird als Reaktion auf Indien gewertet, das in der Verteilung von Impfstoffen an andere Staaten inzwischen eine Führungsrolle übernommen hat. Zuletzt unterstützte Indien das schwer von der Pandemie getroffene Südafrika mit einer Million Covishield-Dosen, weitere 500.000 sollen bis Ende Februar folgen. Zuvor hatte Indien bereits zugesagt, rund 20 Mio. Dosen an Nepal, Bangladesch, Sri Lanka, Afghanistan, die Seychellen und Mauritius zu verkaufen oder zu spenden. Damit sei Indien, wie Beobachter meinen, in direkte Konkurrenz mit China getreten.

Rivalität wächst

Indien gilt als „Apotheke der Welt“, rund 60 Prozent aller Vakzine weltweit werden dort produziert. Als im Serum Institute, der größten Impfstofffabrik der Welt, im Jänner ein Brand ausbrach, hatte das gleich Konsequenzen für die Versorgung auf der ganzen Welt.

„Indien und insbesondere das Serum Institute waren prädestiniert als Motor für die weltweite Verbreitung von Impfstoffen, speziell für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen“, so Lawrence Gostin, Experte für Gesundheitsrecht an der Georgetown University, gegenüber der „South China Morning Post“ („SCMP“). „Indien wurde schon lange als hilfreicher Partner angesehen, um ärmere Länder mit finanzierbaren Medikamenten und Impfstoffen zu versorgen. Das wird auch so weitergehen.“

Seit Jahren stünden China und Indien in einem geopolitischen Wettstreit, die Rivalität steigere sich nun. China suche durch seine Angebote strategische Vorteile, Indien habe hingegen bisher nicht versucht, besonderen Gewinn aus seiner Unterstützung zu ziehen. Zu befürchten sei mangelnde Transparenz bei dieser Art von Geben und Nehmen, so Gostin. „Trotzdem ist Teilen und weltweite Verteilung dem selbstsüchtigen Impfnationalismus reicher Länder vorzuziehen.“ Die USA, Großbritannien und die EU hätten Vorbestellungen gehortet, ohne sich um den Rest der Welt zu kümmern.

Indiens „Vaccine Maitri“

Indiens Initiative wird in ärmeren Ländern dringend benötigt, ganz uneigennützig ist aber auch seine „Vaccine Maitri“ („Impffreundschaft“) nicht. Vor allem Chinas wachsender Einfluss in südasiatischen Ländern und Afrika wird in Neu-Delhi aufmerksam beobachtet. Um diesen zurückzudrängen, sei „Vaccine Maitri“ ein kraftvolles Instrument, um sanfte Macht auszuüben, so die indische Journalistin Sudha Ramachandran im Magazin „The Diplomat“. Außerdem helfe sie, das eigene Image in den Nachbarländern aufzupolieren, werde Indien doch immer wieder „in Südasien dafür kritisiert, sich wie ein großer Bruder aufzuführen“. Doch die positiven Auswirkungen solcher Gesten des guten Willens seien nicht von Dauer, „Dankbarkeit hält nicht lange in zwischenstaatlichen Beziehungen“.

Transportflugzeug mit chinesichen Impfstoffen
AP/Pakistan Ministry of Health
Lieferung an Pakistan: China springt ein, wo Indien nicht liefern will

Aber auch offensichtlich politische Ziele werden verfolgt, das merken jene, die nicht von Indiens Großzügigkeit profitieren. So etwa lässt das Land im Rahmen seiner „Neighborhood first“-Taktik bevorzugt die unmittelbaren Nachbarländer teilhaben, nicht jedoch das verfeindete Pakistan. Just an dem Tag aber, an dem in Südafrika die Lieferungen aus Indien ankamen, sprang China ein und verkündete, Pakistan Impfstoff zu spenden. Damit, so urteilt die „SCMP“, entwickelten sich die „Vakzine zur neuen Kampfzone um die geopolitische Vorherrschaft“.