Ein Labormitarbeiter hantiert mit Proben für einen PCR-Test
APA/Roland Schlager
Tirol abschotten?

CoV-Experten über Vorgangsweise uneins

Die zunehmende Verbreitung von Coronavirus-Mutationen könnte sich in Teilen Österreichs, konkret Tirol, auch auf die an sich am Montag anstehende Lockdown-Lockerung auswirken. Die Regierung will bis Sonntag die weitere Vorgangsweise prüfen. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Rat von Experten – eine einheitliche Linie gab es hier am Donnerstag allerdings noch nicht.

Klar sei, „dass wir ein Problem haben“, sagte der Virologe Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal. „Augenscheinlich“ sei laut Bergthaler dabei auch eine auffallende Häufung der „südafrikanischen Variante“ in Tirol. Vergleichbare Fälle gebe es in Europa nur wenige, so Bergthaler.

Was die weitere Vorgangsweise betrifft, müsse man sich aber noch genau anschauen, ob und wie man regional auf die Situation einwirken könne. Die Frage, ob eine Abschottung des gesamten Bundeslandes notwendig und sinnvoll sei, ließ er mit Verweis auf „noch nicht im ausreichenden Maße“ vorliegende Daten offen.

„Keine gute Idee“

„Wir sind nicht auf einer Insel, wo wir über so etwas reden könnten und wo es Sinn machen würde“, sagte indes der Innsbrucker Infektiologe und Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Günter Weiss. Der Mediziner, der so wie Bergthaler auch dem Beraterstab im Gesundheitsministerium angehört, kann auch mit einer etwaigen Verlängerung des Lockdowns nichts anfangen. „Das ist keine gute Idee“, wie Weiss dazu sagt.

Günter Weiss hält nichts von einer Isolation Tirols

Die Maßnahmen bzw. Lockerungen, die die Bundesregierung diese Woche verkündet hatte, seien „sehr gut und sehr vernünftig“ und sollten auch wie vorgesehen bundesweit gelten. Was die Mutationen und damit eine „natürliche Konsequenz der Pandemie“ betrifft, wird man laut Weiss zur Erkenntnis kommen, dass eine Abschottung oder Quarantäne die Ausbreitung „vielleicht ein bisschen verlangsamen, aber sie nicht aufhalten kann“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Warnung vor „zweitem Ischgl“

Die Virologin Dorothee von Laer von der MedUni Innsbruck vertrat unterdessen bereits am Mittwoch die Ansicht, dass das Bundesland angesichts des Auftretens neuer lokaler Coronavirus-Varianten isoliert werden müsse. Die Beraterin der Bundesregierung übte in diesem Zusammenhang auch Kritik am Land Tirol im Umgang mit den Mutationen und warnte vor einem „zweiten Ischgl“.

Sorge wegen Mutationen in Tirol

Rund ein Jahr nachdem der Skiort Ischgl als Covid-19-Hotspot international für Aufsehen gesorgt hat, gibt nun eine in Tirol gehäuft auftretende Coronavirus-Mutation Anlass zur Sorge.

Platter setzt auf „Testen und Tracen“

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) will indes von einer Quarantäne für ganz Tirol nichts wissen. „Das gibt die Datenlage nicht her“, sagte Platter am Donnerstag bei einer Landtagssitzung in Innsbruck. Man müsse „natürlich immer auf der Hut sein“, dennoch müsse darauf geachtet werden, „dass die Verhältnismäßigkeit gegeben ist“, so Platter, demzufolge man in Tirol auf „Testen und Tracen“ setzt – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Nach Angaben des Tiroler Landeshauptmannes werde „täglich evaluiert“, welche Auffälligkeiten es gebe. Schließlich könne man in Tirol auf eine gute Datenlage zurückgreifen, nachdem seit Jänner – als die ersten Mutationsfälle in Jochberg aufgetaucht waren – alle PCR-Proben sequenziert werden.

So wie Platter sieht hier auch Ralf Herwig von HG Pharma und damit jenem Labor, das den Großteil der Tiroler PCR-Proben auswertet, Tirol sogar in einer Vorreiterrolle. Der Grund warum hier die südafrikanische Mutation so verstärkt auftritt, liege auch an der guten Datenlage. Seiner Meinung nach sei es auch nicht gerechtfertigt, Tirol abzuriegeln, wie Herwig zur APA noch sagte.

Regierung prüft alle Optionen

Nach Angaben von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) habe das Land Tirol ein „sehr straffes Fünfpunkteprogramm aufgestellt, mit dem die Situation genau untersucht werden soll“. Die Regierung prüfe derzeit mit Experten dennoch alle Optionen, wie die APA mit Verweis auf mit der Sache vertraute Kreise berichtete. Demnach sei neben verschärften Maßnahmen für einzelne Gebiete auch eine Abschottung des ganzen Bundeslandes weiter nicht vom Tisch.

Erinnerung an Frühjahr 2020

Tirol war während der ersten Coronavirus-Welle bereits für mehrere Wochen weitgehend abgeschottet: Von Mitte März bis Anfang April 2020 wurden alle 279 Gemeinden des Bundeslandes unter Quarantäne gestellt und die Grenzen geschlossen. Diese Vollquarantäne war jedoch rechtswidrig, erkannte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Mitte Jänner.

Die am 20. März vergangenen Jahres erlassenen Verordnungen, die das Überschreiten des eigenen Gemeindegebiets verboten hatten, wurden rückwirkend aufgehoben. Ab dem 5. April seien die Bestimmungen jedoch durch das Epidemiegesetz gedeckt gewesen, hieß es. Gekippt wurde zudem das Verbot des Verlassens des eigenen Wohnsitzes. Dieses war laut VfGH ebenfalls gesetzwidrig.

SPÖ: „Bis Sonntag zu warten ist keine Option“

Kritik an der von Anschober angekündigten Vorgangsweise kam von der SPÖ. „Bis Sonntag zu warten ist keine Option“, so SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher, der per Aussendung Anschober aufforderte, angesichts der Lage in Tirol „endlich aktiv zu werden“. Der stellvertretende SPÖ Klubchef Jörg Leichtfried wollte am Donnerstag in einer Pressekonferenz zwar nicht beurteilen, ob eine Isolierung Tirols nötig sei – dieser erinnerte aber daran, dass es eigentlich eine Coronavirus-Ampel gebe, um auf solche Dinge reagieren zu können.