Designierte WTO-Chefin Okonjo-Iweala
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Neue WTO-Chefin

Weg frei für Ökonomin Okonjo-Iweala

Die nigerianische Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala hat sich im Rennen um den Chefposten der Welthandelsorganisation (WTO) durchgesetzt. Die letzte noch verbliebene Kandidatin, die südkoreanische Handelsministerin Yoo Myung Hee, zog ihre Bewerbung zurück. Mit der Bestellung von Okonjo-Iweala würde die WTO auch Geschichte schreiben.

Mit der Nigerianerin sitzt dann nicht nur die erste Frau an der Spitze der Welthandelsorganisation, sondern auch die erste aus Afrika stammende Person. Ihre sechs Vorgänger waren allesamt männlich und kamen aus Irland, Italien, Frankreich, Neuseeland, Brasilien und Thailand. Zwar hätte auch mit Yoo Myung Hee eine Frau die Geschäfte der WTO geleitet. Die Südkoreanerin zog allerdings am Freitag ihre Bewerbung zurück.

Die US-Regierung von Präsident Joe Biden stellte sich hinter Okonjo-Iweala. Die Personalie scheint damit so gut wie besiegelt, denn zuletzt hatte nur die frühere US-Regierung unter Präsident Donald Trump den Sieg der Nigerianerin verhindert. Schon im vergangenen Oktober hatte sich die EU geschlossen für die Ökonomin und Ex-Finanzministerin Nigerias ausgesprochen. Anfang März wird der Generalrat der WTO-Mitglieder tagen, der die Ernennung beschließen müsste. Möglich wäre aber auch eine frühere Einberufung des Rates.

WHO-Chef gratulierte Okonjo-Iweala

Der bisherige WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo war im August 2020 ein Jahr vor dem regulären Ende seiner zweiten Amtszeit zurückgetreten, aus familiären Gründen, wie es hieß. Okonjo-Iweala (66) setzte sich unter mehreren Kandidaten bei 163 der 164 WTO-Mitgliedsländer als Nachfolgerin durch.

Südkoreanische Handelsministerin Yoo Myung Hee
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Die südkoreanische Handelsministerin Yoo Myung Hee zog ihre Bewerbung zurück

Die US-Regierung freue sich, Okonjo-Iweala zu unterstützen, erklärte das Büro des Handelsbeauftragten. Die Kandidatin bringe dank ihrer 25 Jahre bei der Weltbank und ihrer zwei Amtszeiten als nigerianische Finanzministerin großen wirtschaftlichen Sachverstand und Erfahrung in internationalen Belangen mit, hieß es. Die USA wollen mit der neuen WTO-Führung zusammenarbeiten, um „notwendige substanzielle“ Reformen der Organisation zu erreichen, hieß es.

Okonjo-Iweala bedankte sich auf Twitter umgehend für die Unterstützung der US-Regierung. Der Chef der ebenfalls in Genf ansässigen Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, gratulierte der Nigerianerin über Twitter. Sie werde die WTO als Generaldirektorin ausgezeichnet führen, schrieb er. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) erwartet sich von der neuen WTO-Generaldirektorin rasch einen umfassenden Reformprozess in Zusammenarbeit mit den WTO-Mitgliedern. „Die WTO reagierte in der Vergangenheit eher passiv und mit Vergangenheitsrezepten“, kritisierte Schramböck.

Spitzen Richtung USA

Die Organisation, die die Regeln für den freien Welthandel überwacht, steckt derzeit in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung 1995. Sowohl die Differenzen zwischen den großen Handelsblöcken USA, China und EU als auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wachsen. Die USA haben unter Trump zudem das zentrale Organ der Streitschlichtung bei Handelsdisputen blockiert.

Okonjo-Iweala ist eine an US-Eliteuniversitäten ausgebildete Ökonomin. Neben Kabinettsposten in Nigeria war Okonjo-Iweala lange bei der Weltbank, wo sie als geschäftsführende Direktorin unter anderem die Nummer zwei der Organisation war. Sie war zeitweise auch Vorsitzende des Aufsichtsrats der globalen Impfallianz GAVI.

Welthandelsorganisation:

Die WTO gehört neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu den wichtigsten Wirtschaftsorganisationen. Ihre Hauptaufgabe ist es, Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen, um so den freien Handel und damit den Wohlstand zu fördern.

„Die WTO müsste erfunden werden, wenn es sie noch nicht gäbe“, sagte Okonjo-Iweala bei ihrer Vorstellung im Juli 2020. Das multilaterale Handelssystem habe Millionen Menschen aus der Armut geholfen. „Die WTO hat allen Ländern etwas gebracht, auch den USA“, meinte sie. „Lasst uns reparieren, was nicht funktioniert. Wir brauchen ein Handelssystem mit klaren Regeln.“ Sie hoffe aber, dass der Generaldirektor der WTO vor allem wegen seines Verdienstes gewählt werde. „Wenn es sich dabei dann um eine Frau oder einen Afrikaner handelt, ist das auch gut“, sagte Okonjo-Iweala.

„Leidenschaftlich patriotisch“

Obwohl Okonjo-Iweala vor Kurzem die US-Staatsbürgerschaft angenommen hat, ist sie als Nigerianerin laut BBC „leidenschaftlich patriotisch“. Sie gilt als bodenständige, harte Arbeiterin. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr lebte Okonjo-Iweala bei ihrer Großmutter, da ihre Eltern im Ausland ihre Ausbildungen machten.

„Sie waren fast ein Jahrzehnt lang weg, bevor ich sie wirklich sah und kannte. Ich tat alles, was ein Dorfmädchen tut, Wasser holen, mit meiner Großmutter auf den Bauernhof gehen, all die Hausarbeiten. Ich sah, was es bedeutet, arm zu sein, aus erster Hand“, sagte sie 2012 der BBC. „Ich kann Entbehrungen ertragen. Ich kann jederzeit auf dem kalten Boden schlafen“, sagte sie und ergänzte: „Ich kann auch auf einem Federbett schlafen.“

Stolz auf Erfolge in Nigeria

Während ihrer 25 Jahre bei der Weltbank leitete sie mehrere Initiativen zur Unterstützung einkommensschwacher Länder. Vor Jahren hatte die Ökonomin ihren gut bezahlten Job bei der Weltbank aufgegeben und ihre Familie in Washington verlassen, um in Nigeria zu arbeiten.

Eine ihrer größten Errungenschaften war die Leitung eines Teams, das 2005 einen Schuldenerlass in der Höhe von 18 Mrd. Dollar (15 Mrd. Euro) für das Land aushandelte und Nigeria dabei half, sein erstes Staatsschuldenrating überhaupt zu erhalten. Die Schulden des Landes stammten aus den frühen 1980er Jahren und hatten sich aufgrund von Strafen und Säumniszuschlägen in den 1990er Jahren auf mehr als 35 Mrd. Dollar aufgebläht.

2011 wurde sie ein zweites Mal Finanzministerin ihres Heimatlandes. Ein Jahr später bewarb sie sich für den Chefposten bei der Weltbank. Sie unterlag damals aber dem US-Gesundheitsexperten Jim Yong Kim. Vor der offiziellen Ernennung Kims sagte sie: „Wissen Sie, diese Entscheidung beruht nicht wirklich auf Verdiensten. Es ist eine Wahl mit politischen Gewichten, und daher werden die USA gewinnen.“

Mutter entführt

Sie blieb in Nigeria und arbeitete an ihrer Reformagenda weiter. Doch neben vielen Unterstützerinnen und Unterstützer hatte die Korruptionsgegnerin auch Feinde. Ihre Mutter wurde 2012 im Alter von 82 Jahren aus ihrem Haus im Süden Nigerias entführt. Die damalige Finanzministerin sagte, die Entführer hätten zuerst ihren Rücktritt und dann ein Lösegeld gefordert.

Nigerianische Finanzministerin Okonjo-Iweala
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Die Ökonomin war von 2003 bis 2006 und von 2011 bis 2015 Finanzministerin Nigerias

Sie lehnte beides ab, die Mutter kam binnen fünf Tagen ohne Angaben näherer Informationen frei. „Meine Mutter ist eine sehr mächtige Frau. Sie weiß, wie sie die Dinge geregelt haben will, und wenn du es nicht so machst, wie sie es will, bekommst du Ärger“, sagte einmal einer ihrer Söhne über Okonjo-Iweala.

Ökonomin: Frauen weniger korrupt als Männer

Die nigerianische Frauenaktivistin Josephine Effah-Chukwuma sagte, dass Okonjo-Iwealas Karriere noch beeindruckender sei, wenn man bedenke, wie wenig Respekt Frauen in Nigeria entgegengebracht werde. „Sie hat die Frauen stolz gemacht. Sie hat gezeigt, dass eine Frau in einem patriarchalischen und frauenfeindlichen Land wie Nigeria sich behaupten und eine anerkennenswerte Leistung erbringen konnte, im Gegensatz zu dem, was Kritiker dachten“, sagte sie der BBC.

Okonjo-Iweala hatte schon früher gesagt, dass Frauen weniger korrupt seien als Männer. „Frauen neigen dazu, ehrlicher zu sein, geradliniger zu sein, sich mehr auf den Job zu konzentrieren und weniger Ego mitzubringen. Ich weiß nicht, ob es ein weiblicher Instinkt ist, aber eine Wirtschaft zu leiten ist manchmal ähnlich wie einen Haushalt zu führen“, sagte sie 2011 dem „Independent“.

In ihrer Bewerbung sagte sie: „Sie sollte auch auf die Herausforderung reagieren, die größere Beteiligung von Frauen am internationalen Handel zu erleichtern, insbesondere in Entwicklungsländern, wo größere Anstrengungen unternommen werden sollten, um Unternehmen im Besitz von Frauen mehr einzubeziehen.“