Elefanten Skulptur vor dem naturhistorischen Museum in Wien.
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Coronavirus

Österreich ein Jahr im Griff der Pandemie

Genau vor einem Jahr sind in Österreich die ersten Fälle des neuartigen Coronavirus entdeckt worden. Die folgenden zwölf Monate waren in vielerlei Hinsicht eine Achterbahnfahrt: emotional, gesundheitspolitisch und koalitionär. Ein Rückblick auf eine übermäßig ereignisreiche Zeit mit skurrilen Untertönen.

Die Ankunft des damals neuartigen Virus SARS-CoV-2 in Österreich war vor einem Jahr schon absehbar, in mehreren Ländern hatte es sich bereits ausgebreitet. Seither haben Österreich, seine Bevölkerung und auch seine Regierung ein kräftezehrendes Jahr mit zwei Wellen und drei Lockdowns hinter sich.

Den Anfang nahm die Epidemie in Österreich am 25. Februar 2020: In Innsbruck wurde ein italienisches Paar positiv getestet. Am Tag davor hatte die Regierung bereits ein Maßnahmenpaket mit punktuellen Reisewarnungen und einer Informationskampagne beschlossen. Auch die Gesundheitshotline 1450 nahm ihren Dienst auf – zu Beginn äußerst schleppend. Schon wenig später nahm der Skandal um Ischgl seinen Verlauf. Am 5. März alarmierte Island die österreichischen Behörden wegen infizierter Rückkehrer, die zuvor im Tiroler Oberland Ski fahren waren. Die Tiroler Behörden sahen es da noch als „wenig wahrscheinlich“ an, „dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“. Doch ausreichend getestet wurde nicht.

Tirol, die Erste

Als das Land Tirol am 13. März die Quarantäne über das Paznauntal verhängte, kam es zum Reisechaos: Zahllose Urlauber verließen die Skigebiete hastig, um noch nach Hause zu gelangen. Viele hatten auch erst am Folgetag ihren Heimflug von Innsbruck und quartierten sich in der Zwischenzeit in der Landeshauptstadt ein. Später stellte sich heraus, dass sich rund 11.000 Fälle in ganz Europa auf Ischgl zurückführen ließen. In Tirol aber herrschte die Meinung vor, nichts falsch gemacht zu haben. Besonders Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) zog für diese konsequente Haltung Kritik auf sich.

Landesrat Tilg zu Vorwürfen gegen Tirol

Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) nimmt in einer Interviewschaltung aus Innsbruck zu den Vorwürfen Stellung, die Tiroler Landesregierung habe zu wenig schnell reagiert.

Österreich steuerte rasch auf einen Shutdown zu. Im ganzen Land wurden im Verlauf des März strenge Regeln eingeführt, größere Veranstaltungen wurden verboten, Unibetrieb und Einreise aus Risikogebieten eingeschränkt. Die Menschen stürmten für Hamsterkäufe die Supermärkte, besonders beliebt waren Klopapier und Germ.

Österreich erstmals im Lockdown

Am 16. März trat schließlich der erste Lockdown in Kraft, bei einer 7-Tage-Inzidenz von 4,1. Wohnungen durften nur noch für Ausnahmen verlassen werden, es galt ein Mindestabstand von einem Meter. Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen, wurden geschlossen, auch Gastronomie, Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen sowie Spielplätze. Die Regierung erhöhte die Wirtschaftshilfe („Koste es, was es wolle“). Tirol stellte bis 5. April alle Gemeinden unter Quarantäne und schloss seine Grenzen. Die meisten Bundesländer beendeten die Skisaison vorzeitig. Der Höchststand der ersten Welle wurde Anfang April mit 267 Intensivpatienten erreicht.

Innenminister Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
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Nehammer, Kogler, Kurz und Anschober (von links nach rechts) bildeten das „Virologische Quartett“

Wie überall in Europa hatte man auch in Österreich keine Erfahrung mit einem Lockdown. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne), als „Virologisches Quartett“ bezeichnet, fingen an, regelmäßig Pressekonferenzen über die aktuelle Lage abzuhalten. Der „Babyelefant“ wurde zum heimischen Maskottchen für den Mindestabstand. Die Regierung appellierte wiederholt eindringlich an die Menschen, sich zu schützen. Kurz sorgte für Aufmerksamkeit mit der Warnung: „Bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist.“

Kurz im ORF-Interview: „Jeder wird jemanden kennen“

Der Bundeskanzler sprach am Beginn der Pandemie drastische Warnungen aus.

Zu Ostern ein Erlass

Viele Regeln sorgten aber für Streit. Bei der Durchsetzung griff die Polizei hart durch, was viel Kritik auf sich zog. Im Nachhinein hob der Verfassungsgerichtshof (VfGH) auch viele Regeln als gesetzwidrig auf. Unmut gab es auch wegen der Schließung der Bundesgärten: Die zuständige Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) ließ die Anlagen in Wien und Innsbruck zusperren, obwohl das Bedürfnis nach Grünflächen im Lockdown groß war. Zwischen Bund und Wien entbrannte darüber erbitterter Streit, der nicht zuletzt durch den anlaufenden Wiener Wahlkampf Auftrieb erhielt.

Aufregung gab es auch zu Ostern: Mit dem „Ostererlass“ wurden unter anderem im privaten Bereich Zusammenkünfte mit mehr als fünf haushaltsfremden Personen verboten. Die Folge war scharfe Kritik von verschiedenster Seite, auch erstmals wieder von der Opposition, die sich mit der Regierung auf einen Schulterschluss geeinigt hatte. Gesundheitsminister Anschober zog den „Ostererlass“ wenig später zurück, sein Sonderbeauftragter Clemens Martin Auer räumte ein: „Wir haben da Verwirrung gestiftet.“

Auer zum „Ostererlass“

Der Sonderbeauftragte im Gesundheitsministerium nahm nach Kritik am „Ostererlass“ Stellung.

Rücktritt? „Es ist schon wurscht“

Bald setzten wieder erste Lockerungen ein, lange Schlangen vor den wieder offenen Baumärkten wurden zigfach in den Sozialen Netzwerken gepostet. Am 1. Mai wurden auch wieder Sportstätten geöffnet, wenig später kehrten auch Maturanten und Abschlussklassen nach sieben Wochen Fernunterricht in die Schulen zurück. Zu Pfingsten durften auch Hotels und Campingplätze wieder öffnen. Bei täglich im Schnitt 50 Neuinfektionen kehrte im Mai „neue Normalität“ ein. Die Menschen gingen wieder aus, es galten allerdings Sicherheitsvorkehrungen wie Abstand und Maskenpflicht. Mitte Juni flog die AUA nach drei Monaten wieder und die Reisebeschränkungen zwischen den meisten EU-Staaten fielen.

Doch in der Regierung gärte es: Nach starkem Druck und Kritik aus Reihen der österreichischen Kulturszene trat Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne) zurück. Kurz zuvor hatte noch der Kabarettist Lukas Resetarits in der ZIB2 gesagt: „Es ist schon wurscht.“ Doch Lunacek begründete ihren Rücktritt mit Unzufriedenheit und Enttäuschung im Kulturbereich, die trotz ihrer Bemühungen „nicht geringer“ geworden seien. Ins Amt folgte Andrea Mayer nach.

Resetarits mit Kritik an der Kulturpolitik in der Krise

Im Mai wurde scharfe Kritik an der Kulturpolitik laut. Staatssekretärin Lunacek stand unter Beschuss. Lukas Resetarits wurde in der ZIB2 über seinen Unmut befragt.

Wie gewonnen, so zerronnen

Ein relativ entspannter Sommer rächte sich bald: Schon im Juli begannen die Infektionszahlen wieder zu steigen. Die Regierung setzte auf Testen und Contact-Tracing, auch die Maskenpflicht wurde wieder großflächig eingeführt. Nach dem Sommer präsentierte die Regierung ihre „Corona-Ampel“, die Österreich beim Start am 4. September noch großteils „grün“ einschätzte. Sofort brach Streit aus über die Legitimität der Ampelangaben und mögliche Konsequenzen. Im Lauf des Septembers wurden die Maßnahmen gegen die Pandemie wieder verschärft, die neuen Regeln aber wurden im Begutachtungsverfahren scharf kritisiert, die FPÖ warnte gar vor „Coronafaschismus“. Einen Aufschrei gab es etwa wegen einer Registrierungspflicht für Gäste in der Gastronomie.

Die Infektionszahlen stiegen weiter: Anfang Oktober wurden erstmals über 1.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet, am 22. Oktober waren es bereits über 2.000, fünf Tage später über 4.000 neue Fälle. Die Regierung kündigte Verschärfungen an, Mediziner warnten vor Versorgungsengpässen. Erste Bundesländer schlugen Alarm, beim Contact-Tracing nicht mehr nachzukommen. Auch die Spitäler waren besorgt, denn mehr als 200 Menschen mussten intensiv behandelt werden. Am 27. Oktober sah Gesundheitsminister Anschober Österreich von einem zweiten Lockdown noch „weit entfernt“. Doch schon wenige Tage später sah die Sache anders aus.

Die Coronavirus-Ampel zeigte auf der Österreich-Karte nur noch rot an, die Regierung kündigte einen Teil-Lockdown ab 3. November an. Veranstaltungen wurden wieder abgesagt, Theater, Museen und Freizeiteinrichtungen schlossen erneut. Trotzdem vervielfachte sich die Zahl der Infizierten, Spitals- und Intensivpatienten und Todesfälle auf ein im Frühjahr unvorstellbares Ausmaß. Am 12. November wies das AGES-Dashboard den bisherigen Inzidenz-Spitzenwert von 565,9 aus.

Erleichterung, gefolgt von Ärger

Der versuchte leichte Lockdown war zu wenig. Am 17. November traten wieder strengste Maßnahmen in Kraft. Mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft kehrte man aber zur „Light“-Version zurück. Am 26. Dezember wurde jedoch mit einem dritten harten Lockdown das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben wieder auf ein Minimum begrenzt – und wegen der neuen Virusmutationen dann bis 7. Februar verlängert. Dabei wurde erstmals flächendeckend auf den Gebrauch von FFP2-Masken gesetzt, zudem wurde der Mindestabstand auf zwei Meter verlängert – der Babyelefant hatte ausgedient.

Anlass zu Erleichterung gab das grüne Licht der EU zum Impfstoff von Biontech und Pfizer. Kurz nach Weihnachten wurden die ersten Impfungen in Österreich verabreicht. Dass nach diesem Impf-Startschuss nicht sofort mit der breiten Ausrollung begonnen wurde, sorgte für viel Ärger. Auch das Vordrängeln mancher Ortschefs beim Impfen brachte viele Menschen auf. Mehrere Vakzinproduzenten bekamen zudem Lieferprobleme, was den Impfstoff auch in Österreich zum knappen Gut machte.

Tirol, die Zweite

Trotz Impfung war aber auch das neue Jahr durch ein Auf und Ab bei den Maßnahmen gekennzeichnet. Anfang Februar wurde erneut die Rückkehr zu einem leichteren Lockdown angekündigt, obwohl die 7-Tage-Inzidenz weiterhin über 100 lag. Das von der Regierung ausgegebene Ziel von 50 war nicht erreicht worden. Doch die Bereitschaft, die strengen Maßnahmen mitzutragen, sank zu stark, die Menschen machten nicht mehr mit. Um die „Pandemiemüdigkeit“ zu lindern, wurde gelockert. Das Infektionsgeschehen sollte mit strengeren Begleitmaßnahmen und vermehrten Tests abgefangen werden.

Doch auch Virusmutationen versetzten Virologinnen und Virologen in Sorge. Positive Daten zur Wirksamkeit auch bei jenen Versionen, die zunächst in Großbritannien und Südafrika aufgetaucht waren, gaben aber Anlass zur Hoffnung. Da in Tirol etliche Fälle der Mutation B.1.351 auftauchten, wurden nach langem Verhandeln zwischen Wien und Innsbruck die Maßnahmen dort verstärkt, zudem wurde eine Reisewarnung für Tirol ausgesprochen. Außerdem wurden verpflichtende Tests vor der Ausreise fixiert. Fachleute kritisierten prompt, die Maßnahmen kämen zu spät. Wegen eines Clusters in Mayrhofen im Zillertal wurden auch hier die Maßnahmen noch einmal verschärft.

Zwiespältige Bilanz

Nach einem Jahr Pandemie in Österreich ist die Bilanz zwiegespalten. Die erste Phase überstand das Land relativ gut, wie die Politik auch wiederholt betonte. Später trübten sich die Zahlen wieder ein, sowohl was die Infektionen als auch die Wirtschaft betraf. Auch wurde diskutiert, welche weiteren Kollateralschäden die Pandemie bisher in Österreich verursacht hatte. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien schlugen wegen Überfüllung Alarm, auch die Schülerinnen und Schüler litten stark unter Isolation und eingeschränkten Möglichkeiten beim Lernen.

Vielerorts gerieten die Lockdowns zur Belastungsprobe für Familien, und auch Österreichs Wirtschaft brach vergleichsweise stark ein. Im vierten Quartal betrug der Rückgang 4,3 Prozent, das mit Abstand schlechteste Ergebnis in der gesamten Euro-Zone. Die gesellschaftliche Polarisierung nahm indes augenscheinlich zu, so wie auch Proteste gegen die CoV-Regeln. Kritiker und Unzufriedene mischten sich auf Demonstrationen mit Rechtsradikalen. Auch Verschwörungstheorien griffen im Netz Platz. Der Unmut wurde umso größer, als einige Demonstrationen gegen die Maßnahmen verboten wurden.

Doch nach zwölf Monaten Krise gibt es mit der Impfung einen Lichtblick. Die Bundesregierung geht davon aus, dass bis Ostern eine Million Österreicher zwei Dosen und damit vollen Schutz erhalten haben. In der Mitte des zweiten Quartals ist die Impfung der Gesamtbevölkerung, priorisiert nach Alter und Risiko, geplant.