Schneebedekckte Landschaft in Osttirol
ORF.at/Zita Klimek
„Fahrlässigkeit“

Arbeitsrechtler rät von Tirol-Reisen ab

Die von der Bundesregierung ausgesprochene Reisewarnung für Tirol ist laut Juristen zwar nicht verbindlich. Allerdings könnten Reisen in das Bundesland arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen, sagte Arbeitsrechtler Franz Marhold am Dienstag gegenüber ORF.at. „Ich rate derzeit davon ab, nach Tirol zu fahren.“

Die Reisewarnung für Tirol ist Rechtsexperten zufolge eine Mahnung bzw. Empfehlung der Regierung. Für den auf Medizinrecht spezialisierten Juristen, Karl Stöger, ist der Schritt überhaupt ein „Akt politischer Verzweiflung“. Peter Bußjäger vom Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre in Innsbruck stellte ebenfalls die Rechtsverbindlichkeit einer Reisewarnung für ein Bundesland infrage.

Arbeitsrechtsexperte Marhold stimmte seinen Kollegen im Gespräch mit ORF.at zu. „Ich kann nicht aufgehalten oder bestraft werden“, so der Vorstand des Instituts für Arbeitsrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Allerdings könnte auch eine Empfehlung bzw. Mahnung der Regierung arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen – insbesondere bei der Frage nach der Entgeltfortzahlung bei einer Covid-19-Erkrankung. „Die innerösterreichische Reisewarnung kann als Maßstab bei der Bewertung der Fahrlässigkeit eine Rolle spielen.“

„Nicht notwendige Reisen“ vermeiden

„Wenn eine Person trotz Warnung der Bundesregierung nach Tirol reist, um dort etwa Ski zu fahren, und anschließend an Covid-19 erkrankt und deshalb der Arbeit fernbleibt, könnte der Arbeitgeber unter Umständen die Entgeltfortzahlung verweigern“, so der Arbeitsrechtler. Ob es sich dabei um eine „grob fahrlässig herbeigeführte Arbeitsunfähigkeit“ handelt, müsste dann wohl das Arbeits- und Sozialgericht klären.

Marhold sagte, dass „nicht notwendige Reisen“ nach Tirol zu vermeiden sind. Damit gemeint sind etwa Tagesausflüge. Wenn zum Beispiel ein Bauleiter bzw. eine Bauleiterin in das Bundesland fahren muss, um eine Baustelle zu besichtigen, sei es beruflicher Natur und vom Interesse des Arbeitgebers gedeckt. In diesem Fall dürfte es keine Probleme geben, so der Universitätsprofessor.

Die Arbeiterkammer (AK) riet im Ö1-Morgenjournal dazu, die Reisewarnung ernst zu nehmen. Falls Reisen nach Tirol außerhalb des Berufs notwendig sind (z. B. um ältere Familienangehörige zu pflegen), sollte man das mit dem Arbeitgeber zuerst absprechen.

Reisewarnungen fester Bestandteil in der Krise

International sind Reisewarnungen schon längst fester Bestandteil in der Coronavirus-Krise. Laut Arbeitsministerium kann der Arbeitgeber eine Reise nicht verbieten. Erkrankt der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin während des Urlaubs in einem gefährdeten Gebiet, könnte die Entgeltfortzahlung unter Umständen entfallen.

Dass Reisewarnungen innerhalb des eigenen Staates quasi Neuland in der Krise sind, sei für den Sorgfaltsmaßstab irrelevant, so Marhold. „Die Beurteilung der Fahrlässigkeit ist auch immer eine Frage der Interessen“, so der Experte der WU Wien. Überhaupt sei es – sofern es zu strikteren Maßnahmen kommt – Aufgabe des Verordnungsgebers, die weiteren Einzelheiten zu klären.

Auch laut dem Verbraucherschutzverein (VSV) gibt es zivilrechtlich indirekte Rechtsfolgen aus der Reisewarnung. Wer für die Zeit der Reisewarnung eine Hotelbuchung (geschäftlich oder Homeoffice) vorgenommen hat, könne davon – wegen einer unvorhersehbaren Steigerung der Gefahrenlage – kostenlos zurücktreten, so VSV-Obmann Peter Kolba in einer Aussendung. „Wer eine aufrechte Reisewarnung missachtet, kann aber versicherungstechnische Probleme bekommen. Man könnte die Verwirklichung des Schadens (Quarantäne, Krankheit oder Tod) durch eine Reise nach Tirol als vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst verursacht werten.“

Weitere Maßnahmen geplant

Ob und welche Maßnahmen noch kommen, könnte sich am Dienstag weisen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) verschärfte am Montagabend im ZIB2-Interview die Gangart. Richtung Tirol sagte der Minister, dass man unter anderem ein Freitesten für die Ausreise aus jene Tiroler Regionen prüfen lasse, die von der zuerst in Südafrika festgestellten Virusvariante B.1.351 stark betroffen sind. Diese Variante dürfte ansteckender sein und kann der Antikörperantwort des menschlichen Immunsystems zumindest teilweise entkommen.

Gesundheitsminister Anschober: „Können nicht zur Tagesordnung übergehen“

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) über den Konflikt mit dem Land Tirol.

Am Dienstag würden erneut Juristen und Juristinnen in seinem Auftrag beraten, was man tun könne, sagte der Minister am Montag. „Ich stehe für Gesundheitsschutz, aber auch für Rechtssicherheit“, sagte Anschober, der ob der „aufgeheizten Stimmung“ in Tirol mit „Dutzenden, wenn nicht Hunderten Klagen“ gegen etwaige schärfere Maßnahmen rechnet. „Alles, was rechtlich möglich ist, werden wir machen, egal ob Tirol da ja sagt oder nein“, sagte er zudem.

Der Minister zeigte sich zwar froh über die Maßnahmen – darunter das Vorschreiben negativer Antigen-Tests für die Seilbahnbenützung – diese seien aber zu wenig. Von Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) wolle man „mehr, mehr, mehr“ an Maßnahmen haben, so Anschober. Konkret meinte er lückenlose Testungen in den besonders betroffenen Gebieten, gemeint ist wohl der Bezirk Schwaz. Da Platter hier die Verantwortung nicht wahrgenommen habe, müsse man schauen, wie man das durchsetzen könne. Anschober sieht hier als Möglichkeit, dass man sich bei der Ausreise aus einer Risikoregion „heraustesten“ muss.

Kaiser über Tirol: Bund letztverantwortlich

Platter stieß sich zuvor am Begriff der Reisewarnung, habe der entsprechende Appell doch eigentlich gar keine Auswirkung. Der Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl (ÖVP) sprach in der ORF-Sendung „Tirol heute“ gleich von einem „Rülpser aus Wien“. Viel entscheidender seien für Tirol ohnehin Reisewarnungen aus den Hauptmärkten, also Deutschland und den Niederlanden.

Platter war am Montag vor dem Bund in die mediale Offensive gegangen und hatte ein eigenes Maßnahmenpaket präsentiert. Dieses beinhaltet unter anderem einen Aufruf an die Bevölkerung zur allgemeinen Mobilitätseinschränkung, flächendeckende PCR-Tests in Bezirken mit hoher 7-Tage-Inzidenz sowie die Vorschreibung von negativen Antigen-Tests für die Seilbahnbenützung – mehr dazu in tirol.ORF.at . Selbst das zu erreichen dürfte kein Kinderspiel gewesen sein. Es sei ein großes Stück Arbeit gewesen, dass diese Testregelung durchgesetzt wurde, berichtete Anschober.

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) bezog im Ö1-Morgenjournal zu Tirol und der Verantwortung für Maßnahmenverschärfungen Stellung. Er sagte, trotz Absprachen mit den Bundesländern sei der Bund letztverantwortlich, das Mittragen der Entscheidungen durch die Bevölkerung aber wesentlich – mehr dazu in kaernten.ORF.at.

Kickl kritisiert Tirol-Reisewarnung, NEOS für Isolierung

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch kritisierte in einer Aussendung nur, dass die Regierung ein „unwürdiges Schauspiel“ liefere – welches das „türkis-grüne Totalversagen beim Corona-Management“ belege. Das sei eine Gefahr für Tirol und ganz Österreich. Deutsch verlangte „rasche Entscheidungen“ und ein gemeinsames Vorgehen. Denn in einer Krise brauche es „Leadership, rasche Entscheidungen auf klarer Datengrundlage und Voraussicht“. Aber von der ÖVP und den Grünen kämen nur „Chaos, Planlosigkeit und Zögern“.

Für FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl ist das Vorgehen gegen die Coronavirus-Situation in Tirol nicht nachvollziehbar. Bundesregierung und Bundesland führten hier einen „Watschentanz“ auf, sagte er am Dienstag in einer Pressekonferenz. Er wertete es als „absurd“ und „gemeingefährlich“, jetzt Reisewarnungen auszusprechen – die rechtlich ohnehin nichts bringen würden. Mit Blick auf Österreich kritisierte Kickl die für ihn zu drastischen Maßnahmen, stehe das Gesundheitssystem doch noch lange nicht vor einer Überlastung.

Völlig entgegengesetzt dazu fiel die Wortmeldung von NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger aus. Anschober müsse sofort handeln, er dürfe sich jetzt nicht auf juridische Schwierigkeiten herausreden und versuchen, die Verantwortung ausschließlich Tirol umzuhängen, meinte sie in einer Aussendung. Der Bund habe festgestellt, dass die Zahlen der Virusmutation drastisch höher seien als vom Land zugegeben, und müsse jetzt reagieren. Meinl-Reisinger fragte sich auch, ob sich hier bisher die ÖVP und Bundeskanzler Sebastian Kurz quergelegt hätten.