Ein Pärchen mit Masken bei einem Spaziergang
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Pandemie

Dating als Dilemma

„Corona-Partner“, Dates mit Maske, Abstand oder Abstinenz: Für Singles scheint die Partnersuche pandemiebedingt einem dystopischen Roman entsprungen – und das seit bald einem Jahr. Dass ein Gros der Menschen ihr Datingverhalten aufgrund des Coronavirus geändert habe, bestätigte die Soziologin Barbara Rothmüller, die zu dem Thema forscht, gegenüber ORF.at. Viele sehen Dating in der Krise als „Balanceakt zwischen Lust und Moral“, so die Expertin.

Bei Menschen auf Partnersuche haben Lockdowns in Endlosschleife und die damit einhergehenden Appelle, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, freilich Spuren hinterlassen. „Sehr viele Menschen sind verzweifelt und haben teilweise seit Wochen keinen Menschen mehr umarmt oder berührt“, sagte Rothmüller, die als Soziologin und Sexualpädagogin an der Sigmund-Freud-Universität tätig ist. Gerade nach Monaten der Pandemie sei das Bedürfnis nach Nähe bei vielen besonders groß.

Die Soziologin befragte bereits im ersten Lockdown Tausende Menschen zum Thema „Intimität, Sexualität und Solidarität in der Covid-19-Pandemie“. Von 10. November bis 10. Dezember – also großteils während des zweiten harten Lockdowns – führte sie eine weitere nicht repräsentative Befragung durch, deren Ergebnisse aktuell ausgewertet werden. Ein Zwischenergebnis zeigt, dass fast 90 Prozent der Partnersuchenden die Art und Weise des Dating im Lockdown veränderten.

Tinder- und Meetic-App-Logos
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Dass die Pandemie zu einem Run auf Dating-Apps führt, kann die Soziologin nicht bestätigen

Haltung zur Pandemie als Kompatibilitätskriterium

Die häufigste Veränderung war, dass viele nicht wussten, wo sie im Lockdown neue Leute kennenlernen können. Das betraf ein Drittel der Befragten auf Partnersuche. 20 Prozent der Befragten, die prinzipiell Onlinedatingplattformen zur Partnersuche verwendeten, pausierten in der Pandemie. Generell würden ihre Daten aus dem zweiten Lockdown nicht darauf schließen lassen, dass Menschen auf Partnersuche verstärkt zu Onlinedating übergehen, wie das etwa Statistiken von Dating-Apps suggerieren, so die Expertin.

Die Palette an Veränderungen ist breit: „Manche geben an, dass sie länger kommunizieren und stärker auswählen, wen sie treffen. Andere sagen, dass sie, wenn sie jemanden treffen, dann nur mit Mundschutz oder im Freien“, so Rothmüller – Stichwort Spaziergang-Dates. Wieder andere würden aufgrund der Pandemie nur Personen treffen, die sie bereits kennen oder nach einem „Corona-Partner“ suchen, den sie ausschließlich für die Dauer der Pandemie treffen wollen.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Partnerwahl ist dabei überhaupt auch die Einstellung zur Pandemiebekämpfung. „Es gibt schon Menschen, die sich dafür entscheiden, dass sie nur andere Menschen daten, die dieselbe Haltung zur Pandemie oder die Einstellung zur Pandemiebekämpfung haben wie sie selbst.“

Ein Paar beim spazieren
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Der Spaziergang erlebt auch bei Partnersuchenden eine Renaissance

„Balanceakt zwischen Lust und Moral“

Doch nicht alle sind auf der Suche: Ein Viertel der Befragten gab an, im Lockdown gar nicht zu daten, 18 Prozent warten, bis die Zahlen besser werden. „Manche Menschen möchten niemanden treffen, weil sie es für unverantwortlich halten“, so Rothmüller.

Infos zur Studie: 2.569 Personen aus Österreich und Deutschland nahmen an der Befragung teil. 71 Prozent waren Frauen, 25 Prozent Männer, 2,3 Prozent nicht binäre Befragte. 58 Prozent hatten einen Hochschulabschluss. Finanziert wird die Studie durch die Wissenschaftsförderung der Stadt Wien Kultur und das Netzwerk Wissenschaft der AK Wien.

Fakt ist, dass das Verlangen nach Intimität und Sexualität Menschen auf Partnersuche in ein sehr starkes Dilemma bringt. „Es ist schon so, dass sich die Leute selbst moralisch verurteilen und zugleich von anderen verurteilt werden“, schilderte sie. Dating sei quasi ein „Balanceakt zwischen Lust und Moral, zwischen Begehren beziehungsweise Einsamkeit und der Gesellschaft“.

Wen die Isolation besonders trifft

Besonders betreffe das Dilemma Menschen, die alleine wohnen, Jugendliche und junge Erwachsene sowie queere Menschen beziehungsweise Personen, die sich in komplexen Beziehungsgeflechten befinden, erklärte die Expertin. Natürlich kann eine Person mehrere dieser Kriterien erfüllen.

Doch warum haben diese es nochmal schwerer? Singlehaushalte hätten ein hohes Nähebedürfnis, sagte Rothmüller. Für Junge sei die Pandemie bereits wegen eines unsteten Alltags, Existenzängsten und einer Zunahme an Konflikten in der Familie eine Belastungsprobe. „Man kann sehen, dass Menschen höheren Alters sehr stabile Beziehungen haben, die auch in Krisenzeiten nicht so fundamental infrage gestellt werden. Anders ist das bei Jungen, deren Beziehungen instabiler sind.“

Expertin sieht „beachtliche Leistung“

Und jene, die das traditionelle monogame Beziehungskonzept nicht leben möchten – etwa Polyamore – stehen wiederum vor der Herausforderung, ihre Beziehungsarrangements im Lockdown aufrechterhalten zu können. LGBTQ-Personen hadern überdies damit, dass der Kontakt zu den für sie aufgrund von Diskriminierungserfahrungen wichtigen Communitys reduziert wird oder wegbricht. Insgesamt berichten 14 Prozent der LGBTQ-Befragten unter anderem von Ausgrenzung aufgrund ihrer Sexualität, ihrer Beziehungsform sowie wechselnden Partnern in der Pandemie.

Schilderungen, wonach manche Befragte wegen Dates an der frischen Luft von ihrem Umfeld misstrauisch beäugt oder gar als Pandemietreiber angesehen werden, bezeichnete die Expertin nicht zuletzt deshalb auch als „sehr problematisch“. Dass so viele ihr Datingverhalten verändert haben, sei immerhin eine „ganz schön beachtliche Leistung. Wie man aus der Forschung zur Aids-Pandemie weiß, ist es nicht realistisch zu erwarten, dass Menschen über Monate hinweg abstinent leben und keine Partnersexualität haben“.

Krise für viele auch Chance

Wenngleich die Aussicht auf mehr Normalität noch in relativ weiter Ferne liegt, so scheinen so manche Singles der Krise aber auch Positives abgewinnen zu können. „In so schwierigen Situationen brechen manche Beziehungen auseinander. Manchmal verliert man den Kontakt zu Personen, die einem wichtig waren, aber es gibt doch für viele Vertrauensbeziehungen, die stabil sind, und das wissen die Leute zu schätzen“, sagte Rothmüller.

Die Pandemie würden viele Singles auch dafür nützen, um nachzudenken. „Das bezieht sich natürlich auch auf intime Beziehungen und wie man in Zukunft leben möchte. Das ist wie eine Moratoriumszeit, und was dabei rauskommt, ist offen.“