Mähdrescher auf einem großen Feld
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Start-ups gegen Giganten

Ungleiches Rennen um „Agrar-Amazon“

Während viele Branchen durch den Onlinehandel schon nachhaltig umgekrempelt wurden, steht das im Agrarbereich noch aus. Momentan liegt der Handel mit Saatgut, Agrarchemie und anderen Hilfsgütern noch fast ausschließlich in der Hand einiger Megakonzerne – bei der Suche nach einem „Agrar-Amazon“ wollen nun auch Quereinsteiger mitmischen. Sie treffen aber auf großen Widerstand.

Dabei sind die USA – Heimat von Big Tech – vorne dabei. Die Landwirtschaft ist dort nach wie vor ein großer Wirtschaftszweig, das Geschäft mit Agrochemie wie Dünger, Pestiziden, Insektiziden und ähnlichen Produkten essenzieller Bestandteil. Dieses liegt eisern in der Hand weniger Konzernen wie Bayer, DuPont und Syngenta. Rund 85 Prozent des Geschäfts entfallen nach einer Reihe von Großfusionen auf diese drei Konzerne sowie BASF, entsprechend groß ist deren Macht bei Markt- und Preisgestaltung.

Dabei ist das Geschäft mit Agrochemie und anderem landwirtschaftlichen Bedarf noch keines, das online abgewickelt wird: Der Löwenanteil des Handels mit diesen Produkten läuft im stationären Handel, bei zertifizierten Zwischenhändlern und in landwirtschaftlichen Kooperativen wie Genossenschaften ab. Onlinebestellungen sind ein Randphänomen – und damit eine offensichtliche Digitalisierungslücke, die besetzt und profitabel geschlossen werden will. So hat beispielsweise das Rennen um den Onlinevertrieb längst begonnen.

Ein Traktor besprüht ein Feld mit Pestiziden
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Der Handel mit landwirtschaftlichen Hilfsprodukten ist milliardenschwer

Megakonzerne mit Hunger auf mehr

Wenig überraschend sieht etwa die NGO Grain dabei einen „Startvorteil“ bei diesen Agrarriesen. Sie stecken seit Jahren Millionen in die Digitalisierung der Landwirtschaft. Wie in allen Big-Tech-Bereichen sind auch hier Daten der Treibstoff: Detaillierte Messungen vom Erdreich bis zum finalen Lebensmittel sollen die Landwirtschaft moderner, effizienter und damit auch profitabler machen. Dafür haben sich in den letzten Jahren durch Fusionen wie von Bayer und Monsanto sowie die Übernahme von Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern ChemChina nicht nur regelrechte Megakonzerne gebildet, diese weiten ihre Geschäftsfelder auch entsprechend Richtung IT und Finanz aus.

Während Pestiziddrohnen und Ackerroboter mit künstlicher Intelligenz in der Praxis grosso modo noch Zukunftsmusik sind, haben die Agrochemiekonzerne mit diversen Apps und Programmen bereits erste greifbare Ergebnisse dieser Digitalisierungspläne auf den Markt gebracht. Apps wie „Climate FieldView“ von Bayer und „Xarvio“ von BASF sammeln die Daten von landwirtschaftlichen Betrieben und empfehlen diesen u. a. auf Basis von Klima- und Anbaudaten die idealen Zeitpunkte für die Ausbringung von Saatgut, Nährstoffen und Pflanzenschutzmitteln. Diese werden freilich vom entsprechenden Anbieter hergestellt und vertrieben, die Verwendung der Apps bindet die Betriebe damit noch enger an die mächtigen Konzerne.

Quereinsteiger aus dem Silicon Valley

Aber nicht nur die etablierten Agrarriesen, sondern auch neue Akteure sehen Chancen in diesem Vertriebsweg. Dass die etablierten Unternehmen dabei nicht tatenlos zusehen, wird am Beispiel des Start-ups Farmer Business Network (FBN) ersichtlich, wie das „Wall Street Journal“ („WSJ“) im Vorjahr berichtete. Das im Silicon Valley gegründete Unternehmen verspricht ebenfalls Ertragsverbesserung und Kostenersparnis durch die Weisheit von Big Data, Schwarmintelligenz und Algorithmen. Dabei berührt das Unternehmen aber einen wunden Punkt: Es will mit den gesammelten Daten Preise für Agrarchemie transparenter machen, die fest von den großen Konzernen kontrolliert werden.

Das Kernprodukt von FBN ist eine Art Vergleichsportal, mit dem Landwirte und Landwirtinnen Informationen über die Preise von Agrarprodukten bei unterschiedlichen Anbietern bekommen sollen. Diese Transparenz soll einerseits die Verhandlungsposition vor allem kleiner landwirtschaftlichen Betriebe stärken. Andererseits sollen Saatgut, Pestizide, Vieh und andere Produkte auch direkt online bei FBN bestellt werden können – natürlich zu einem günstigeren Preis als auf herkömmlichem Wege.

Keine Produkte für den Außenseiter

Das Geschäftsmodell kommt bei Investoren gut an, FBN konnte seit seiner Gründung 2014 rund 570 Millionen Dollar einsammeln und gehört damit zu den am besten finanzierten Landwirtschafts-Start-ups. Doch gleichzeitig weckt das Unternehmen laut dem „WSJ“ damit die Unbill der Agrarriesen und Zwischenhändler. Das äußerte sich dem Bericht zufolge in Mail- und Briefkampagne, in der landwirtschaftliche Betriebe vor FBN gewarnt wurden. Handfester war allerdings das Problem, dass die Agrarkonzerne einen Verkauf ihrer Produkte an das Start-up verweigerten. Sie beriefen sich dabei darauf, dass Sicherheit und Wirksamkeit durch fehlende Beratung gefährdet seien.

Als FBN schließlich einen Zwischenhändler übernahm und auch dieser Schritt für Schritt nicht mehr von den großen Konzernen beliefert wurde, schaltete FBN die kanadischen Wettbewerbsbehörden ein. Separat davon läuft zudem in den USA ein Gerichtsverfahren, das von der Witwe eines Landwirts eingebracht wurde. In der Klage werden 14 Agrarkonzernen und Vertriebsunternehmen wettbewerbswidrige Maßnahmen gegen FNB und ähnliche Unternehmen vorgeworfen. Das etablierte Vertriebssystem von autorisierten Händlern würde dazu führen, dass Produkte zu intransparenten Preisen verkauft und damit höhere Margen erzielt würden. Die Unternehmen wiesen die Vorwürfe zurück.

Von Microsoft bis Alibaba

Im Rennen um die digitalisierte Landwirtschaft ist der Vertrieb von Agrarprodukten ein hart umkämpfter Bereich, aber nur eine von zahlreichen Komponenten. Neben dem Aufbau von Hightech-Technologie rückt auch die bereits aus dem Konsumentenbereich bekannte, umfassende und datenbasierte Vernetzung von Landwirtschaft und anderen Branchen – etwa dem Finanzbereich und dem Einzelhandel – näher. Tech-Konzerne wie Microsoft, Apple, Amazon, Facebook und Alibaba haben über diverse Kooperationen und Investitionen in Agrarprogramme längst einen Fuß in der Tür.

Logo der Bayer AG
Reuters/Benoit Tessier
Bayer fusionierte mit Monsanto und zementierte so seine Position als Platzhirsch bei Agrochemie

Daher befürchten NGOs wie Grain auch, dass von einer solchen Big-Data-Revolution (die oft dezidiert mit dem Anspruch antritt, die Landwirtschaft im globalen Süden und für kleine Betriebe zu verbessern) wieder nur jene Giganten profitieren würden, bei denen es bereits in anderen Bereichen laute Rufe nach Regulierung gibt.

Die Tendenz zu Big Data ziele darauf ab, die Arbeit von Millionen kleinen landwirtschaftlichen Betrieben in ein zentralisiertes digitales Netzwerk einzubinden. Sobald das geschehen sei, würden die Landwirte eng an die Betreiber dieses Netzes gebunden und „stark ermutigt“ – wenn nicht gar dazu verpflichtet –, ihre Produkte (Material, Maschinen und Finanzdienstleistungen) zu kaufen und diese mit Agrargütern zu beliefern, die diese dann weiterverkaufen können. Befürchtet werden neue und vertiefte Abhängigkeiten.

Die Abhängigkeit steigt

Für alternative und nicht extensive Formen der Landwirtschaft könnte es so generell noch schwieriger werden, überhaupt zu bestehen, glaubt auch die NGO IPES Food. Sie betrachtet mit Sorge, dass die Welt bei der essenziellen Produktion von Lebensmitteln immer tiefer in eine Abhängigkeit von einigen wenigen Konzernen rutscht. Landwirtschaftliche Betriebe seien zunehmend auf deren Produkte angewiesen, diese würden immer besser aufeinander abgestimmt, und der alternative Markt schrumpfe. Die industrialisierte Landwirtschaft würde gestärkt, Familien- und kleinbäuerliche Betriebe hingegen geschwächt.

Auch die genetische Vielfalt bei Saatgut und Vieh würden schwinden, weil die Konzerne sich in diesem Bereich Patente sichern und letztlich durch ihre Marktmacht entscheiden würden, was von wem wie angebaut werden kann. All das begünstige eine industrialisierte Landwirtschaft mit erheblichen sozialen und ökologischen Nebenwirkungen und einem immer heftigeren Machtgefälle. Gerade angesichts der Klimakrise sei diese Entwicklung äußerst bedenklich. Eine unregulierte Digitalisierung würde diesen Prozess noch verdichten, so die Warnung.