Polizeibeamte stehen am Tatort Schwedenplatz nach dem Terroranschlag in Wien im November 2020
APA/Hans Punz
Kritik an Behörden

Geteilte Reaktionen auf Terrorbericht

Am Mittwoch hat die nach dem Terroranschlag in Wien eingerichtete Untersuchungskommission ihren Endbericht vorgelegt. Darin findet sich viel Kritik an den Versäumnissen der Behörden. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sah sich dadurch in seinen Reformbemühungen bestärkt. Die Oppositionsparteien gingen hingegen in ihren Reaktionen mit Nehammer selbst scharf ins Gericht.

Am Abend des 2. November 2020 hatte ein mazedonischstämmiger Österreicher bei einem Terrorakt in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und war anschließend von der Polizei erschossen worden. Der Mann war einschlägig vorbestraft, zudem wurde im Nachhinein bekannt, dass der Staatsschutz sowohl wusste, dass er Islamisten aus Deutschland und der Schweiz in Wien traf, als auch, dass er in der Slowakei vergeblich Munition zu kaufen versuchte.

Angesichts dessen war es mäßig überraschend, dass die Kommission unter Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes in ihrem Endbericht gleich eine ganze Reihe an Missständen aufzählte. Aufgezeigt wurden Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden. Das alles ist in dem Bericht nachzulesen, der inzwischen auch ungeschwärzt auf der Website des Innenministeriums abgerufen werden kann.

Nachfragen blieben unbeantwortet

Die Kommission kritisiert darin etwa, dass das vom Staatsschutz observierte Islamistentreffen in der Bundeshauptstadt offenbar nicht an die Generaldirektion berichtet wurde. Nachfragen der Kommission, ob Einzelinformationen zu terroristischen Gefahren „nach oben gemeldet wurden, wurden nicht abschließend beantwortet“, heißt es im Abschlussbericht, womit hier ein Fragezeichen bestehen bleibt.

Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, nahm am Donnerstag im Ö1-Morgenjournal dazu Stellung und bestätigte, dass er über das Treffen der Dschihadisten und den versuchten Munitionskauf in der Slowakei nicht informiert gewesen sei. Das habe er auch der Kommission mündlich und schriftlich bekanntgegeben.

Arbeitsklima im BVT „zerrüttet“

Die „Ersteinschätzung“ beim späteren Attentäter sei erst nach zehn Monaten abgeschlossen gewesen, eine „Zusammenschau“ war für Mitte November und somit zwei Wochen nach dem Attentat geplant, wird weiter kritisiert. Dass die einzelnen Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) nicht in die Daten der jeweils anderen Behörden Einschau nehmen können, sondern Aktenstücke speziell anfordern müssen, hält die Zerbes-Kommission für problematisch. Das Arbeitsklima im BVT nannte sie „zerrüttet“ – mehr dazu in wien.ORF.at.

Bericht zu Anschlag in Wien belegt Mängel im Verfassungsschutz

In ihrem Endbericht zeigt die Untersuchungskommission zur Klärung möglicher Pannen im Vorfeld des Terroranschlags in Wien vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kündigte eine umfassende Reform des Verfassungsschutzes an.

Keine „Feigenblatt-Kommission“

„Das Erstaunlichste, was wir festgestellt haben, ist, dass es keinen effizienten, professionellen Datenaustausch zwischen den einzelnen Behörden gibt, die für den Staatsschutz verantwortlich sind“, sagte Zerbes. Sie betonte, die Kommission sei bei ihrer Arbeit nicht von der Politik gebremst worden: „Wir haben nicht ‚von oben‘ einen Maulkorb bekommen. Wir waren keine Feigenblatt-Kommission.“

Die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes
ORF
Die Strafrechtlerin Zerbes leitete die Untersuchungskommission. Die Ergebnisse beschrieb sie als „krass“.

Am Ende habe sich gezeigt, dass es in Bezug auf den 20-jährigen Attentäter aufseiten des Staatsschutzes vor allem im operativen Bereich „Fehlverhalten“ gegeben habe. Es gebe allerdings „keine Person, auf die sich eine Verantwortung zugespitzt hätte“. Es sei kein individuell-schuldhaftes, in strafrechtlicher Hinsicht zu ahndendes Verhalten nachweisbar. Es lasse sich aber nach wie vor nicht sagen, dass eine bestimmte Maßnahme, die unterlassen wurde, den Anschlag hätte verhindern können.

Kommissionschefin Zerbes zum Wien-Attentat

Die Untersuchungskommission unter Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes zeigt etwa Mängel beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder auf. Im Studio erklärte die Expertin die Ergebnisse des Endberichts.

Ruf begründete den schleppenden Datenaustausch gegenüber Ö1 damit, dass es sich bei den operativen Informationen um „hochsensible und klassifizierte“ Daten handle. Diese müssten im Informationsgefüge abgesprochen, analysiert und aufbereitet werden. Im Rückblick gesehen wäre es aber angebracht gewesen, die Justiz schneller zu informieren, so Ruf.

Nehammer: „Vollständig neuer“ Verfassungsdienst

Innenminister Nehammer sah sich durch den Bericht in seinen Reformbemühungen bestärkt. Wesentlichste Ableitung aus dem Kommissionsbericht sei, die Reform des Verfassungsschutzes „massiv“ voranzutreiben, wie der Ressortchef in einer Pressekonferenz betonte. „Der neue Verfassungsschutz wird tatsächlich ein vollständig neuer sein“, sagte Nehammer. Er wolle die „neue Schutzmauer für die Republik Österreich“ aus „tragfähigen Steinen“ bauen. In der Vergangenheit seien große Risse entstanden, ausgelöst durch die „rechtswidrige Hausdurchsuchung“ 2018, aber auch durch jüngste Vorkommnisse wie den Fall Marsalek.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Nehammer sieht sich durch den Bericht in seinen Reformvorhaben bestätigt – die Opposition fordert seinen Rücktritt

Am wichtigsten bei der Neuaufstellung sei die Trennung des nachrichtendienstlichen vom staatspolizeilichen Teil. Die Kommunikationsabläufe müssten genauestens evaluiert, die Kommunikationsverluste zwischen Bundesamt und Landesämtern minimiert werden. Zudem soll das Personal verdoppelt werden.

Bericht sieht keinen Bedarf für Strafrechtsänderung

Nicht konform ging Nehammer allerdings mit den Anmerkungen der Kommission zu geplanten Änderungen im Strafrecht. Das Gremium ging nämlich davon aus, dass der Anschlag in der Innenstadt „kein Defizit des bestehenden Terrorismusstrafrechts sichtbar macht“. In diesem Bereich bestehe „kein Ergänzungsbedarf“. Den geplanten neuen Tatbestand einer religiös motivierten extremistischen Verbindung nannte die Kommission denn auch „überflüssig“ und verfassungsrechtlich bedenklich.

Den Vorschlag, für wegen einer extremistischen Straftat verurteilte „Gefährder“ eine über ihre Strafe hinausreichende „Unterbringung“ – etwa im Maßnahmenvollzug – vorzusehen, lehnte das Gremium in seinem Bericht ebenfalls als ungeeignet ab. Die Experten schlagen dagegen eine strukturell verbesserte und finanziell höher dotierte Deradikalisierung vor. Nehammer wies die Kritik zurück. Die Maßnahmen verteidigte der Innenminister damit, dass man präventiv vorgehen müsse.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) äußerte sich zurückhaltender. Man werde alle Stellungnahmen, „aber insbesondere die der Kommission jetzt genau prüfen und anschauen“. „Manches ist gut im Anti-Terror-Paket, anderes wird hier noch zu begutachten sein, auch von uns, wo wir in der Tat kritische Rückmeldungen bekommen haben.“ Kogler, der aktuell die Justizministeragenden verwaltet, wollte überdies festgehalten haben, dass seitens der Behörde und der Mitarbeiter im Ressort über weite Strecken im Wesentlichen „alles korrekt und richtig gemacht wurde“.

Opposition fordert Nehammers Rücktritt

Für die SPÖ zeigte der Bericht, dass „erhebliche Mängel bei der Bekämpfung terroristischer Straftaten“ bestünden und eine komplette Neuaufstellung des Staatsschutz notwendig sei. Nehammer solle zurücktreten, befand die SPÖ – eine Ansicht, der sich auch die FPÖ und NEOS anschlossen. Für FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer ist das Vertrauen in den Innenminister „längst erschöpft“. Die Erkenntnisse der Kommission seien zum Teil haarsträubend. Von einem „desaströsen Zustand“ des Staatsschutzes und „Gefahr in Verzug“ sprach NEOS. Dass der Kommission bei ihrer Arbeit „Hindernisse“ in den Weg gelegt worden seien, erfordere ebenfalls noch eine genaue Prüfung.

Hier hakte dann auch noch einmal der Juniorpartner in der Koalition ein. Es sei völlig inakzeptabel, dass der Kommission vom BVT offenbar Informationen vorenthalten worden seien, meinte Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer: „Nach dem offensichtlichen Versagen des BVT hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, über alle Missstände in den verantwortlichen Behörden umfassend und transparent informiert zu werden.“ Der Innenminister müsse nun umgehend eine komplette Neuaufstellung des Bundesamts liefern.

Erneut Forderung nach Entschädigungsfonds

Bestätigt vom Bericht der Kommission sah sich am Mittwoch auch der Wiener Rechtsanwalt Karl Newole, der 16 Menschen vertritt, die bei dem Anschlag zu Schaden gekommen waren. Er erneuerte seine Forderung nach der Einrichtung eines Entschädigungsfonds – mehr dazu in wien.ORF.at.