Eine Erntemaschine schüttet Sojabohnen in einen Anhänger
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„Zu eimem hohen Preis“

Wirtschaftsboom im Hinterland Brasiliens

Der Bundesstaat Mato Grosso im Hinterland Brasiliens erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem der Rest des Landes nur träumen kann – angefacht durch den ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro, China und nicht zuletzt durch „Gott selbst“. Der Bundesstaat sei zu einer landwirtschaftlichen Großmacht aufgestiegen, wie die „Financial Times“ („FT“) berichtete. Doch der Preis dafür ist hoch.

Abseits der öffentlichen Wahrnehmung in Brasilien und weltweit habe sich der im Westen des Landes gelegene Bundesstaat zu einem der global größten Produzenten von Weizen, Mais, Baumwolle und, allen voran, Sojabohnen entwickelt. „Die Ernte ist so ertragreich, dass sie von den Einheimischen ‚grünes Gold‘ genannt wird“, schrieb die „FT“.

Mato Grosso, der Name des Bundesstaates, zweimal so groß wie Spanien, bedeute aus dem Portugiesischen übersetzt so viel wie „dichter Wald“. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Landschaft aber dramatisch verändert. Einst satte, grüne Wälder hätten riesigen Plantagen weichen müssen. Der Norden, wo diese neue Landschaft auf den Amazonas-Regenwald trifft, sei so zu einem Brennpunkt für illegale Rodungen geworden, so die „FT“.

Technologische Entwicklungen ausschlaggebend

Waren einst die Küstenmetropolen wie Rio de Janeiro und Sao Paulo die wirtschaftlichen sowie politischen Zentren und Schmelztiegel Brasiliens, verlagere sich das Geschehen nun zunehmend ins Landesinnere. Es seien Regionen wie Mato Grosso, die lange als unzugänglich und daher wirtschaftlich unrentabel galten, die nun eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Nation spielen würden.

Von Zucker bis Soja

Seit die portugiesischen Eroberer um 1500 das Land für sich beanspruchten, war Brasilien ein Ort von hohem landwirtschaftlichen Interesse. Waren es früher Zucker, Kaffee und Kakao, sind es nun Sojabohnen, die den Blick der Welt wieder auf Brasiliens Boden richten lassen.

Das bestätigte auch Fernando Tadeu de Miranda Borges, Professor für Ökonomie an der staatlichen Universität, gegenüber der „FT“: „Mato Grosso wird Brasiliens wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben.“ Ausschlaggebend seien vor allem neue technologische Entwicklungen wie die genetische Veränderung von Pflanzen sowie neue Methoden der Bodendüngung, die den landwirtschaftlichen Anbau von Sojabohnen und Co. nun ermöglichten.

„Wir haben ein Land genommen, das wertlos war und haben es mit Technologie und neuen Düngemethoden gezähmt“, sagte Angelo Carlos, Betreiber eines Agrarforschungszentrums gegenüber der „FT“.

„Neues Brasilien“

Während der Rest des Landes also in Armut, Kriminalität und Korruption versinke, biete Mato Grosso seinen rund 3,5 Millionen Bewohnern und Bewohnerinnen „Hoffnung und Chancen“. Die landwirtschaftliche Interessenvertretung Mato Grossos, FAMATO, spricht von einem „neuen Brasilien“, das selbst vielen Brasilianern und Brasilianerinnen nicht bekannt sei.

Dem Gouverneur Mauro Mendes zufolge habe Marto Grosse Sao Paolo beim landwirtschaftlichen Brutoinlandsprodukt (BIP) bereits überholt. „Wir haben zwar immer noch nicht das, was sie in Sao Paulo mit ihren Theatern und Unterhaltungsangeboten haben, aber wir freuen uns einfach über Fortschritte und Entwicklungen“, so Mendes.

Straße im brasilianischen Bundesstaat Para zwischen dem Regenwald und einem Sojafeld
AP/Leo Correa
Die Schnellstraße BR-163 teilt das Land: Links die Wälder, rechts die Sojafelder, hier im Nachbarbundesstaat Para

China als Zielhafen der brasilianischen „Sojakönige“

Mato Grosso sei der einzige Bundesstaat Brasiliens, der selbst während der Coronavirus-Pandemie ein wirtschaftliches Wachstum aufweisen konnte. Sowohl Sao Paulo als auch Rio de Janeiro haben jedoch einen entscheidenden Vorteil: die Nähe zu großen Häfen. Die „Sojakönige“ Mato Grossos sind dagegen auf die Schnellstraße BR-163 angewiesen, die sich auf Tausenden Kilometern vom Süden bis in den Norden des Landes erstreckt. Sie erst ermöglicht es den Landwirten, ihre Produkte in die weite Welt exportieren.

Der größte Zielhafen sei China, wo die steigende Nachfrage der expandierenden Bevölkerung auch die Nachfrage nach Rohstoffen wie Sojabohnen in die Höhe schnellen ließe – schließlich dienen diese als Futtermittel für Schlachttiere. Brasilien scheint dem großen Interesse erfolgreich nachzukommen: In den vergangenen zehn Jahren sei der Ertrag von 75 Millionen Tonnen auf 130 Millionen Tonnen (2020) gestiegen. Auch die Produktion von Mais habe sich auf rund 105 Millionen Tonnen fast verdoppelt. „Wenn wir nicht wären, wie könnte sich die Welt selbst ernähren?“, heißt es etwa seitens FAMATO.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro
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In Mato Grosso gilt Bolsonaro vielen als Idol – nicht so Umweltschützern und Indigenen

Bolsonaro: Mato Grossos Idol

„Es ist ein Boom, der durch die Verlagerung der Geopolitik vom Aufstieg Chinas mit seiner unersättlichen Nachfrage nach Nahrungsmitteln bis zur Ankunft populistischer Führer wie dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ausgelöst wurde“, schrieb die „FT“.

Bolsonaro gilt vielen in Mato Grosso als Idol, habe er doch bürokratische Hürden beseitigt, Landwirte gegen Umweltschützer verteidigt und stark in die Landwirtschaft sowie die Infrastruktur der Region investiert – etwa in die Asphaltierung der Schnellstraße BR-163. Zudem teile er mit den Bewohnern und Bewohnerinnen Mato Grossos den tiefen Glauben an Gott. Nicht zuletzt habe man den Wohlstand schließlich Gott selbst zu verdanken, so die Überzeugung der Einheimischen.

Umweltzerstörung: „Hoher Preis“ für Proftmaximierung

Doch der Preis, den das Land für den wirtschaftlichen Boom zahlen müsse, sei hoch, wie die „FT“ schreibt. Gerade die Infrastrukturprojekte seien auf heftige Kritik gestoßen – bei Umweltschützern, aber nicht zuletzt auch bei Indigenen. Denn während diese für die Landwirte Mato Grossos den „nächsten Entwicklungsschritt“ darstellen, bedrohen diese gleichzeitig jene Gebiete, die sowohl einer reichen Natur als auch indigenen Völkern als Heimat dienen.

Bereits in den Jahren zwischen 2009 und 2019 seien rund 14.000 Quadratkilometer Urwald zerstört worden. Und obwohl sich der Bundesstaat eigentlich zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens bekannte, habe die illegale Rodung im Jahr 2020 sogar noch zugenommen. Laut Greenpeace plant die Regierung zudem, das Budget für Inspektionen sowie für den Kampf gegen Brände und Abholzung zu reduzieren. Für die Naturschutzorganisation signalisiere die Regierung damit, „Umweltkriminalität zu dulden“.

Erntemaschinen auf einem Sojafeld im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso
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Die Abholzung des Regenwaldes heizt die Klimakrise zusätzlich an – Auswirkungen könnte das nicht zuletzt auch auf die Ernte selbst haben

Drastische Auswirkungen von Rodungen auf Umwelt

Auf lange Sicht gesehen, könnte aber genau das der Landwirtschaft Mato Grossos zum Verhängnis werden. Wenn die Rodung des Amazonas-Regenwaldes bestimmte „Tipping Points“ (Grenzwerte, Anm.) erst einmal überschritten hat, kann sich das auch auf Extremwetterereignisse auswirken, die sich wiederum negativ auf die Ernte niederschlagen können.

Die ersten Vorboten machen sich bereits jetzt bemerkbar: in Form von Bränden. Im Pantanal im mittleren Südwesten Brasiliens herrschte 2020 die größte Trockenheit seit fast 50 Jahren, es kam zu mehr als 21.000 Brandherden. Im Pantanal sind Feuer nach Blitzeinschlägen normal; allerdings ermitteln die Behörden gegen Farmer wegen Brandstiftungen.

Renato Farias, Direktor des Center of Life Institute (ICV), einer Nachhaltigkeitorganisation im nördlichen Amazonas-Gebiet von Mato Grosso, sagte, die Diskussion über die illegale Rodung sei heikel – es sei, als würde man „gegen das eigene Erbe vorgehen“. Er verwies auf neue Technologien und nachhaltige Techniken, durch die der landwirtschaftliche Ertrag verdoppelt werden könne, ohne noch mehr Wald abholzen zu müssen. Vorerst gehe die Zerstörung der Umwelt aber weiter.