Ein Arzt zieht eine Spritze auf
AP/Ronald Zak
„Völlig verkehrt“

Experte gegen Impfbevorzugung Tirols

Das abgesperrte Tirol begehrt Anpassungen im Impfplan, weil das Bundesland von der mutierten Virusversion B.1.351 betroffen ist. Sinnvoll sei eine Bevorzugung Tirols bei den Impfungen aber nicht, so der Impfexperte Herwig Kollaritsch. Lokale Ausbrüche seien so nicht bekämpfbar. Kollaritsch und die Initiative „Österreich impft“ appellieren zudem für Vertrauen in die vorhandenen Impfstoffe.

Sollte eine Isolation Tirols kommen, müsse das Bundesland bei den Impfungen vorgezogen werden. Mit dieser Forderung hatte Tirols Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl aufhorchen lassen. Nun, da tatsächlich über das Bundesland Reisebeschränkungen verhängt wurden, reißen ähnliche Forderungen nicht ab.

Am Donnerstag deponierte das Land den Wunsch nach zusätzlichen Lieferungen von mRNA-Impfstoffen beim Gesundheitsministerium und beim Bundeskanzleramt. Die besondere Sachlage in Tirol rechtfertige eine Sondertranche, hieß es. Am Freitag legte auch der Tiroler Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger nach: Alle verfügbaren und gegen das mutierte Virus wirksamen Impfstoffe seien jetzt in Tirol einzusetzen.

In Tirol grassiert die Variante B.1.351, die zuerst in Südafrika auftrat. Das Vakzin von AstraZeneca, ein Vektorimpfstoff, ist laut einer Studie weniger wirksam gegen einen milden Verlauf der Covid-19-Erkrankung. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass der Impfstoff nicht gegen schwere Verläufe von Covid-19 schützt.

Debatte über Wirksamkeiten

Es liegen aber noch keine validen Daten dazu vor. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt das AstraZeneca-Vakzin auch für die B.1.351-Variante. „Es ist plausibel zu erwarten, dass dieser Impfstoff gegen schwere Krankheitsverläufe wirksam ist“, so die WHO. Den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Pfizer sowie Moderna wird auch bei leichten Verläufen eine höhere Wirksamkeit gegen die Mutante zugeschrieben.

Am Freitag sprach man sich in Wien gegen eine Bevorzugung Tirols bei der Verteilung der Impfstoffe aus. „Eine Impf-Intervention jetzt in Tirol zur Bekämpfung der sich jetzt vielleicht ausbreitenden südafrikanischen Variante ist völlig verkehrt“, so Kollaritsch bei der Pressekonferenz der Initiative „Österreich impft“ in Wien.

Wirkung gegen schwere Verläufe vorhanden

Kollaritsch, Leiter der Abteilung Epidemiologie und Reisemedizin am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien, sagte, bis die Impfung tatsächlich greife, vergehe ein Zeitraum von sechs bis acht Wochen. „Das bedeutet epidemiologisch, dass die Impfung für die Bekämpfung eines akuten Ausbruchs untauglich ist.“ Langfristig sei sie natürlich sinnvoll, aber lokale Ausbrüche der neuen Variante seien „ausschließlich“ mit traditionellen Methoden des Containments zu bekämpfen „oder eventuell eines Cordon sanitaire (ein Sperrgürtel zur Eindämmung einer Epidemie, Anm.), wenn man das machen will“, so Kollaritsch. „Sonst gibt es keine Möglichkeit“.

Zudem betonte Kollaritsch, eine mögliche Wirkungsreduktion bei mutierten Viren bedeute keinen Wirkungsverlust. Das Vakzin von AstraZeneca könne schwere Krankheitsverläufe verhindern, ebenso wie die anderen eingesetzten Impfstoffe. Darauf komme es in der Pandemiebekämpfung im Moment hauptsächlich an. Einen hundertprozentigen Schutz wie etwa bei einer FSME-Impfung gebe es bei solchen Vakzinen nun einmal generell nicht. Doch mit den derzeitigen Technologien gebe es auch gute Möglichkeiten, die Impfstoffe an die Mutanten anzupassen. Das hatte AstraZeneca bereits angekündigt.

Impfgremium stellt sich hinter AstraZeneca-Vakzin

In Österreich ist die Skepsis gegen den CoV-Impfstoff von AstraZeneca zuletzt gewachsen. Das Nationale Impfgremium stellte sich nun hinter das Vakzin und machte deutlich, dass dieses schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verhindert.

Eine Debatte darüber, welcher Impfstoff nun für welche spezielle Gruppe besser sei, habe keinen Sinn, so Kollaritsch. „Die Alternative wäre nämlich: gar keine Impfung.“ Wolle man etwa abwarten, bis es ausreichend mRNA-Impfstoff für die Gruppe der 16- bis 64-Jährigen gebe, müsse man eine Verzögerung von mindestens vier Monaten in Kauf nehmen. Das Argument einer geringeren Schutzwirkung gegen leichte Verläufe ließ Kollaritsch ebenfalls nicht gelten. „Es geht darum, bei jungem Personal schwere Erkrankungen zu verhindern, und das kann AstraZeneca ganz hervorragend.“ Die entstandene Skepsis sei „leider Gottes fatal“.

Vakzine derzeit „nicht vergleichbar“

Auch Ursula Wiedermann-Schmidt vom Nationalen Impfgremium sprach sie gegen die derzeitige Debatte über die verschiedenen Impfstoffe aus. Ein Vergleich sei realiter nicht zulässig, da alle in unterschiedlichen Studiendesigns, Abfolgen und Populationen getestet worden seien. Ein Vergleich sei erst möglich, wenn alle Vakzine in einer Studie gemeinsam getestet würden. Aber alle zugelassenen Vakzine hätten eine solide Wirksamkeit in klinischen Studien bewiesen und bereits in der Realität gezeigt.

Tropenmediziner Herwig Kollaritsch
APA/Herbert Neubauer
Kollaritsch sprach sich am Freitag dafür aus, nicht auf „bessere“ Impfstoffe zu warten

Wiedermann-Schmidt betonte, dass auch der Unterschied zwischen mRNA- und Vektorimpfstoffen nicht groß sei. Dabei unterscheide sich lediglich die Art, wie die Information, die das Immunsystem anregt, in den Körper gelangt. „Es ist wichtig, dass die vorhandenen Impfstoffe jetzt angewandt werden“, so die Vakzinologin. „Sie können alle das leisten, was wir wollen: die Verhinderung schwerer Fälle, zudem wird höchstwahrscheinlich auch die Weitertragung des Virus bekämpft.“

Impfbereitschaft steigt

Die Initiative präsentierte am Freitag auch eine Umfrage, die eine deutlich vergrößerte Impfbereitschaft zeige. Die Erhebung, durchgeführt vom Marktforschungsinstitut marketmind, lege eine weit positivere Haltung zur Impfung dar, als es noch im vergangenen Dezember der Fall gewesen sei, so Markus Müller, Rektor der MedUni Wien. Die Zahl der heimischen „Impfenthusiasten“ sei von 14 auf 26 Prozent gestiegen, jene der „eingefleischten Impfgegner“ von 14 auf sieben Prozent gefallen. Auch die Personen in der Mitte des Meinungsspektrums seien nun einer Impfung zugeneigter, so Müller bei der Präsentation.

Grafik zeigt Umfrageergebnisse zum Thema Impfbereitschaft
Grafik: ORF.at; Quelle: Marketmind

Der Anteil der Bevölkerung, der sich sicher bzw. wahrscheinlich nicht impfen lassen möchte, sank bei der gleichen Fragestellung von Dezember zu Jänner von 38 auf 24 Prozent. Auch die noch unentschiedenen Befragten wurden im Monatsvergleich weniger – von 28 auf 20 Prozent, so die Umfragen mit je mehr als 1.000 Teilnehmenden.

Gefahr von Falschinformation

„Für uns ist mittlerweile deutlich spürbar, dass sich die Bevölkerung mehr informiert und mit der Corona-Schutzimpfung auseinandersetzt“, sagte Reingard Glehr vom Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Med-Uni Graz. Andererseits würden „immer mehr Falschmeldungen kursieren“ und laut der Umfrage vermehrt Informationen in digitalen Medien und Sozialen Netzwerken und weniger bei Hausärzten eingeholt werden, berichtete Glehr, die eine Hausarztpraxis in Hartberg führt.

Auch unter dem Gesundheitspersonal würden zwei Falschinformationen kursieren, berichtete Kollaritsch. Die erste sei, dass die Geimpften nach der Erstimpfung drei Monate schutzlos seien, weil erst dann die zweite Dosis vorgesehen ist. Dabei sei die Immunantwort bereits nach drei Wochen gegeben, erläuterte die Arbeitsmedizinerin Eva Höltl. „Der längere Abstand zwischen den Teilimpfungen soll die Impfwirkung nur verstärken.“