Bayrischer Ministerpräsident Markus Söder
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„Unsinn“

Söder weist Kritik an Grenzkontrollen zurück

Bayerns Ministerpräsidsent Markus Söder (CSU) hat die scharfe Kritik aus Österreich und Tschechien an den deutschen Grenzsperren zu den Mutationshotspots deutlich zurückgewiesen. „Was für ein Unsinn“, sagte Söder. Zuvor hatte unter anderen ÖVP-Innenminister Karl Nehammer die strikten Grenzsperren zu Tirol als „absolut inakzeptabel“ bezeichnet.

Bei einem Besuch in Schirnding an der tschechischen Grenze sagte Söder, die Kontrollen bedeuteten nicht das Ende des freien Europas, wie manche sagten. „Was für ein Unsinn.“ Er sei überzeugt, dass es Europa stärke, wenn es gelinge, eine neue CoV-Welle zu verhindern.

Montagfrüh kam es zunächst zu keinen kontrollbedingten Staus an der Grenze zwischen Tirol und Bayern. Auch in Richtung Italien – auch hier gelten strengere Einreiseregeln – gab es vorerst keine Probleme. Kilometerlange Staus gab es dagegen in Tschechien auf der Autobahn E55/D8 Prag – Dresden und auf der E50/D5 in Richtung Nürnberg. Dort bildete sich vorübergehend eine mehr als 20 Kilometer lange Lkw-Kolonne. Tschechien mit seinen Zulieferern gilt auch als „verlängerte Werkbank“ für viele deutsche Unternehmen.

Soll Verbreitung von Mutationen bremsen

Ziel der deutschen Grenzkontrollen ist es, das Einschleppen von ansteckenderen Varianten des Coronavirus über die Grenze einzudämmen. Sowohl in Tschechien als auch in Tirol sind diese Varianten deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb dürfen aus den betroffenen Gebieten derzeit nur noch Deutsche sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gab es zunächst nur für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, Lkw-Fahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte.

Systemrelevantes Pendeln erlaubt

Künftig sollen nun aber auch Berufspendler einreisen dürfen, die gebraucht werden, um die Funktionsfähigkeit ihrer Betriebe in systemrelevanten Branchen aufrechtzuerhalten. Sie müssen dafür bis einschließlich Dienstag ihren Arbeitsvertrag dabeihaben. Danach sollen die Länder Bayern und Sachsen Betriebe als systemrelevant definiert und individuelle Bescheinigungen ausgestellt haben, die an der Grenze vorgezeigt werden sollen. Voraussetzung für die Einreise der Mitarbeiter ist aber weiter ein maximal 48 Stunden alter negativer Test, zudem müssen sie sich digital vor der Einreise anmelden.

Sorge in Bayern wegen Problemen bei Produktion

Viele Betriebe hatten befürchtet, am Montag nicht wie gewöhnlich produzieren zu können. Denn allein in Bayern arbeiten nach den aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 22.000 Tschechinnen und Tschechen und 9.600 Österreicherinnen und Österreicher, viele davon im verarbeitenden Gewerbe.

Leere Autobahn bei Kiefersfelden
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Auf der bayrischen Seite der Grenze blieben die Autobahnen am Sonntag leer

Die Autoindustrie sieht trotz der Erleichterungen Probleme – vor allem, weil auch Lkw-Fahrer einen aktuellen Test vorlegen müssen. Diese Testpflicht sei so kurzfristig gar nicht umzusetzen, erklärte der Branchenverband VDA. Weil die Maßnahmen so kurzfristig gekommen seien, hätten die Werke keine Zulieferkomponenten auf Vorrat anlegen können. Die Automobilproduktion werde ab Montagmittag deshalb größtenteils zum Erliegen kommen. „Die Werke in Ingolstadt, Regensburg, Dingolfing, Zwickau und Leipzig sind als erste betroffen.“

Zuvor hatte die heimische Regierung die verschärften Einreiseregeln scharf kritisiert. Sowohl Innenminister Nehammer als auch ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg äußerten am Sonntag Unverständnis: „Die De-facto-Sperre des großen und kleinen deutschen Ecks für Österreicherinnen und Österreicher ist absolut inakzeptabel. Diese Maßnahme von Bayern ist unausgegoren und löst nur Chaos aus“, so Nehammer in einer Stellungnahme. „Mit dem Finger auf das Bundesland Tirol zu zeigen ist vielmehr eine Provokation als eine geeignete Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie und ihrer Auswirkungen.“

Treffen mit Botschafter im Außenministerium

Schallenberg forderte „Maß und Ziel“ strengerer Maßnahmen und warnte vor „überüberschießenden Schritten, die mehr schaden als nützen. Das habe ich heute auch meinen deutschen und italienischen Amtskollegen Heiko Maas und Luigi Di Maio mitgeteilt“, so Schallenberg. Sonntagabend wurde der deutsche Botschafter in Wien, Ralf Beste, ins Außenministerium gerufen und von hochrangigen Beamten darauf hingewiesen, dass Kontrollen aus österreichischer Sicht unverhältnismäßig sind. Das sachliche Gespräch habe in guter Atmosphäre stattgefunden, wurde zugleich betont.

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte unterdessen die schärferen Einreiseregeln. „Wir müssen unseren Landkreisen in der Grenzregion die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen“, sagte Spahn der „Süddeutschen Zeitung“. Es gehe bei den Einreiseregeln nicht darum, Haltungsnoten für Nachbarländer zu verteilen, sondern konstruktiv mit der Situation umzugehen. „Und die ist leider in Tschechien, aber auch in der Slowakei und in Tirol aus dem Ruder gelaufen. Wir mussten reagieren“, sagte Spahn.

Paris: „Harte“ Entscheidung

Am Montag bezeichnete allerdings auch Frankreichs Europaminister Clement Beaune die deutsche Entscheidung zu Grenzkontrollen als „hart“. Eine solche Entscheidung in der Mitte Europas habe weitreichende Folgen, sagte er im Sender France Info. Er hoffe nicht, dass man selbst zu solchen Maßnahmen greifen müsse. Verstärkte Kontrollen an den Grenzen zu Frankreich hat Berlin derzeit nicht geplant.

Platter fordert weiter generelle Ausnahme für Pendler

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) forderte am Sonntag aber weiterhin eine Ausnahme für alle Tiroler Pendler. Die derzeitige Situation sei „absolut inakzeptabel“. Zudem sei derzeit „entgegen anderslautender Aussagen das Durchfahren ohne Stopp über das kleine und große deutsche Eck“ nicht möglich. Jemand, der von Tirol nach Salzburg oder Wien reisen will, müsse nun „großräumig“ ausweichen. „Eine solche Vorgangsweise ist weder verhältnismäßig noch sinnvoll“, zeigte sich Platter verärgert.

Verweis auf hohe Inzidenz in tschechischer Grenzregion

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigte die Grenzkontrollen bei der Einreise aus Tschechien. In der tschechischen Region Eger liege die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen bei 1.100, sagte er. Bei einer solchen Inzidenz hätte man in Sachsen strenge Beschränkungen wie Ausgangssperren und die Schließung von Geschäften veranlasst, so Kretschmer.

Deutsches Einreiseverbot in Kraft

Die Einreise aus Tirol nach Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen untersagt. Die deutsche Regierung befürchtet, dass die in Tirol häufig auftretende Virusmutation ins Land eingeschleppt werden könnte. ORF-Reporter Alexander Weglehner gibt eine Einschätzung, wie die Verkehrslage unter der Woche aussehen wird.

EU-Kommissarin äußert Skepsis

Nur bedingt Verständnis für die Grenzschließungen zeigte zuletzt EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. „Gegen die Mutationen helfen nur konsequentes Impfen sowie die Einhaltung der Hygiene-Regeln. Ich halte es für falsch, dass wir wieder zu einem Europa mit geschlossenen Grenzen wie im März 2020 zurückkehren“, so die 64-jährige christdemokratische Politikerin aus Zypern.

Test und Quarantäne in Italien

Verschärfungen sind allerdings nicht allein auf die deutschen Grenzen beschränkt. Auch Italien schränkte die Einreise aus Österreich weiter ein. Reisende aus Österreich brauchen seit Sonntag einen negativen CoV-Test und müssen in Quarantäne. Der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza will mit der vorerst bis 5. März geltenden Verordnung die Verbreitung der Virusmutationen einschränken. Die italienische Verordnung könnte verlängert werden, sollten es die Umstände erfordern.

Die Maßnahmen gelten für jede Person, die sich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Stunden in Österreich aufgehalten hat, also auch für Durchreisende. Vor der Einreise nach Italien muss ein negativer Test vorgelegt werden, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Innerhalb von 48 Stunden nach der Einreise in Italien müssen sich aus Österreich kommende Personen einem weiteren Test und einer 14-tägigen Quarantäne unterziehen. Danach müssen sie einen negativen Test vorlegen.

Ausreisekontrollen in Österreich

Kontrollen für Menschen, die aus Tirol ausreisen, gelten seit Freitag allerdings auch bei Reisen innerhalb Österreichs. Tirol darf nur verlassen, wer einen gültigen negativen CoV-Test mit sich führt. Auch am zweiten Tag der Kontrollen gab es dabei laut Polizei keine Schwierigkeiten. 355 Menschen wurde die Ausreise untersagt. Das waren rund 100 Menschen weniger als noch am Freitag – mehr dazu in tirol.ORF.at.