Stahlproduktion
Reuters/China Daily CDIC
Klimakrise

Suche nach „grünem“ Stahl

Während der Öl- und Gassektor bereits seit Längerem in Sachen Klimakrise kritisiert wird, wächst nun auch der Druck auf die globale Stahlindustrie, „grünen“ Stahl zu produzieren, wie die „Financial Times“ („FT“) schreibt. Im Fokus sind besonders die großen Stahlproduzenten etwa im „Rust Belt“ der USA und ihre chinesischen Pendants. Der CO2-Ausstoß ist gigantisch: Neben der Energieproduktion mit fossilen Brennstoffen ist die Stahlbranche die zweitgrößte Verursacherin von CO2.

Das Treibhausgas CO2, also Kohlendioxid, ist für die Erderwärmung verantwortlich. Laut der World Steel Association macht der CO2-Ausstoß der Stahlbranche sieben bis neun Prozent aller direkten Emissionen fossiler Brennstoffe aus, mehr als etwa der gesamte CO2-Ausstoß von Indien, wie die Zeitung weiter schreibt. Da die Klimakrise auf der globalen Agenda steht und sich Regierungen weltweit auf ambitionierte Umwelt- und Klimaziele bzw. -initiativen festlegen, ist die Stahlbranche nun gefordert auch rascher umweltfreundlicheren Stahl zu produzieren.

Das Problem ist groß und drängend. „Stahl ist ein sehr wichtiges Material für die moderne Gesellschaft“, so Matin Pei, zuständig für Technik bei dem schwedischen Stahlriesen SSAB. Stahl wurde bereits seit sehr langer Zeit aus Eisenerz und eben Kohle hergestellt, so Pei. Neue Technologien seien jetzt gefordert. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, müssten die Emissionen in der Stahlindustrie um gut die Hälfte bis zur Mitte des Jahrhunderts fallen, zitiert die Zeitung die Internationale Energie Agentur (IEA). Erst dann könnte man das Ziel auf Nullemission von Treibhausgasen senken.

Stahlproduktion
Reuters/Sputnik/Alexander Astafyev
Für die Stahlproduktion braucht man sehr hohe Temperaturen – und die dazu nötige Energiezufuhr

Wasserstoff als Hoffnungsträger

Einige der größten Stahlproduzenten weltweit, wie etwa ArcelorMittal, die chinesische Baowu-Gruppe und die deutsche ThyssenKrupp, sind laut der „FT“ in unterschiedlichen Versuchs- und Entwicklungsstadien, um eine CO2-Reduktion in der Produktion zu erreichen. Als Hoffnungsträger, um die für die Eisengewinnung und Stahlproduktion hohen Temperaturen zu erzielen, gilt dabei vor allem Wasserstoff.

Wasserstoffpilotanlage H2FUTURE der voestalpine AG
voestalpine AG/Martin Eder
Forschungsprojekt „H2Future“ der voestalpine

Bei der voestalpine in Linz ist ein derartiges Pilotprojekt bereits im November 2019 gestartet. Das Forschungsprojekt „H2Future“ des Stahlerzeugers mit Verbund und Siemens soll Möglichkeiten ausloten, Koks und Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. Mit dem schrittweisen Umstieg auf Elektrohochöfen könnten die CO2-Emissionen bis 2030 um etwa ein Drittel, also drei bis vier Millionen Tonnen jährlich, vermindert werden, gibt die voestalpine an. Langfristig strebt der Konzern an, den Einsatz von Wasserstoff im Stahlerzeugungsprozess sukzessive zu erhöhen und bis 2050 CO2-neutral Stahl zu produzieren.

Investitionen von mehreren hundert Milliarden nötig

Andere Firmen haben sich bereits weiter aus dem Fenster gelehnt und streben rascher die Klimaneutralität bei ihrer Stahlproduktion an. So will auch SSAB jetzt bald die Versuche mit Wasserstoff starten. Als Ziel strebt man an, praktisch keinen CO2-Ausstoß mehr zu haben. Fachleute sind allerdings skeptisch, dass das so rasch gelingen kann. Zwar sei der Fortschritt bei den technischen Entwicklungen ermutigend, so Faustine Delasalle von Systemiq, einer internationalen Nachhaltigkeitsberatungs- und Investmentgesellschaft. Doch noch sei man nicht am Punkt der Marktreife angelangt, dämpft sie Erwartungen auf eine sehr rasche Umsetzung. Aber es gehe relativ schnell voran. Sie erwartet erste Null-CO2-Stahlwerke bzw. Stahlproduktion mit nahe null CO2-Ausstoß bereits vor 2030.

ArcelorMittal Stahlwerk in Taranto, Italien
APA/AFP/Andreas Solaro
Ein Stahlwerk von ArcelorMittal in Italien

Doch nicht alle Stahlproduzenten könnten dabei mitziehen. Der Umschwung in einer derart globalen Branche, die jährlich rund zwei Milliarden Tonnen an Fertigstahl produziert, gilt als eine enorme Herausforderung. Unter den größten Hürden dabei sind die gigantischen Investitionen, die die Branche stemmen müsste. Schätzungen der „Financial Times“ gehen in die Richtung von mehreren hundert Milliarden Dollar. Und das sei gewiss nicht einfach aufzubringen, da die Branche von einem schon chronisch zu nennenden Überangebot und teils großen Rentabilitätsschwankungen geplagt wird.

Lakshmi Mittal warnt vor höheren Kosten

Der weltgrößte Stahlhersteller ArcelorMittal schätzt, dass die Dekarbonisierung – also die Umstellung auf weniger oder gar keinen C02-Ausstoß – seiner Anlagen im Einklang mit den Zielen der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2050 zu beseitigen, allein in Europa zwischen 15 und 40 Mrd. Euro kosten wird. „Diese Technologien werden die Kosten von Stahl erhöhen“, warnte erst unlängst der Chef des Stahlproduzenten, Lakshmi Mittal.

ThyssenKrupp will indes mit dem Bau von Anlagen zur Produktion von Wasserstoff zurück in die Erfolgsspur. Das Unternehmen habe „eine sehr gute Ausgangsposition auf diesem dynamisch wachsenden Markt“, sagte die Firmenchefin Martina Merz Anfang Februar bei der Onlinehauptversammlung. Thyssenkrupp verfüge über die „einzig schon großtechnisch realisierte Technologie, um Wasser unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen“.

ThyssenKrupp Stahlwerk in Duisburg, Deutschland
Reuters/Leon Kuegeler
Auch ThyssenKrupp in Deutschland will auf Wasserstoff setzen

Der Traditionskonzern, der im vergangenen Geschäftsjahr einen Milliardenverlust eingefahren hat, sucht nach einem neuen Geschäftsmodell. Ob die Stahlerzeugung weiter dazugehören wird, ist noch offen. Eine Entscheidung will der Vorstand im März treffen, wie Merz bekräftigte. Der britisch-indische Unternehmer Sanjeev Gupta hat ein Übernahmeangebot vorgelegt und will die Stahlerzeugung von Thyssenkrupp in seinen Konzern Liberty Steel aufgehen lassen.

Keine guten Aussichten für ThyssenKrupp

Aktionärsvertreter bezweifeln, dass ThyssenKrupp die finanzielle Kraft hat, den Stahlbereich zu sanieren und gleichzeitig massiv in die Wasserstofftechnik zu investieren. Der Konzern hat sich wie auch die voestalpine zum Ziel gesetzt, bis 2030 bei der Stahlproduktion den Kohlendioxidausstoß um 30 Prozent zu reduzieren und bis 2050 gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen auf null zu senken.

Die Stahlproduktion in Deutschland ist im vergangenen Jahr auf die geringste Menge seit 2009 gesunken. Die Stahlhütten erzeugten 2020 insgesamt 35,7 Millionen Tonnen Rohstahl. Das waren noch einmal zehn Prozent weniger als im bereits schwachen Jahr 2019, wie die deutsche Wirtschaftsvereinigung Stahl Ende Jänner berichtete. In der Weltfinanzkrise 2009 hatten die Hütten 32,7 Millionen Tonnen Stahl erzeugt.

„Grundsätzlich bleibt der Stahlstandort Deutschland durch die Verwerfungen auf den globalen Stahlmärkten aber auch infolge der energie- und klimapolitischen Regulierungen unter Druck“, fasste der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, die Probleme zusammen. Skeptisch ist die Branche auch, was den Ausbau von Recycling betrifft: Stahl sei bereits jetzt eines der am meisten wiederverwendeten Materialien der Welt.

Biden mit ambitioniertem Plan

Der neue US-Präsident Joe Biden erklärte unterdessen die Bekämpfung des Klimawandels zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit und will die USA eigenen Aussagen zufolge zu einer führenden Nation beim Kampf gegen die Erderwärmung machen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte er eine Rückkehr der USA in das Pariser Klimaschutzabkommen eingeleitet. Biden ernannte auch den früheren US-Außenminister John Kerry zum Klimasonderbeauftragten, der in dieser Funktion dem Nationalen Sicherheitsrat angehört.

Die Vereinigten Staaten haben weltweit den zweithöchsten Treibhausgasausstoß nach China, bei deutlich weniger Einwohnern. Biden will nun in einem ambitionierten Plan den CO2-Ausstoß der USA wesentlich verringern. Ein Abschied von Öl und Kohle ist geplant. Das trifft auch und besonders die Schwerindustrie, darunter die Stahlproduktion. Auch die USA setzen dabei künftig auf die Nutzung von Wasserstoff.

Baowu Stahlwerk in Maanshan, China
AP/TPG/cnsphotos
Ein Stahlwerk der Baowu-Gruppe in China

Auch China will Treibhausgasausstoß verringern

China will die Treibhausgase im auch für die Stahlproduktion so wichtigen Energiesektor ebenfalls reduzieren. Das Land will bis zum Jahr 2060 CO2-Neutralität erreichen. Wie sich das Land an dieses ambitionierte Ziel kommen will, ist allerdings größtenteils unklar. Bisher liefern in der Volksrepublik Kohlekraftwerke allerdings noch immer rund 60 Prozent des Stroms. 2019 war die Volksrepublik mit knapp 14 Milliarden Tonnen CO2 der weltweit größte Emittent – die 14 Milliarden Tonnen sind rund 29 Prozent des gesamten globalen Ausstoßes.

Die USA stellten China bereits die Rute ins Fenster. Kerry forderte China zu mehr Anstrengungen bei der Bekämpfung der Erderwärmung auf. Die Zusage der Volksrepublik, bis 2060 klimaneutral zu werden, sei „nicht gut genug“, sagte der ehemalige Außenminister. Die meisten Staaten, so auch die USA, wollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null senken, also zehn Jahre früher als von China angepeilt.

Nach Angaben der IEA ist die globale Nachfrage nach Kohle in den Jahren 2019 und 2020 stark gesunken und wird in diesem Jahr voraussichtlich nur teilweise wieder steigen. Neben der gesunkenen Stromerzeugung hätten eben auch geringere Produktionsmengen bei Stahl und Zement zu dem Rückgang beigetragen. In den kommenden Jahren setzen sich beim Kohleverbrauch die regionalen Trends der vergangenen Jahre voraussichtlich fort. Während die Nachfrage in der EU und den USA sinken dürfte, erwarten die Autorinnen und Autoren der IEA-Studie in Südostasien und Indien einen Anstieg. In China wird die Kohlenachfrage laut der Analyse vom Dezember 2020 allerdings weitgehend stabil bleiben.