Bundesministerium für Justiz in Wien
ORF.at/Dominique Hammer
Jahrelange Forderung

ÖVP jetzt für Bundesanwaltschaft

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und der Ermittlungen gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) spricht sich die ÖVP nun für einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt aus. Das gab Klubchef August Wöginger am Montag bekannt. Opposition und Experten fordern diesen Schritt schon lange. Das grüne Justizministerium will das Vorhaben rasch angehen.

Geschaffen werden solle eine weisungsfrei gestellte, entpolitisierte oberste Staatsanwaltschaft. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der momentan auch das Justizressort innehat, sagte, dass die ÖVP dem Druck der Grünen nun „endlich“ nachgebe. Die Ereignisse der letzten Jahre hätten die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme deutlich vor Augen geführt.

Das zuständige Justizministerium werde dieses Vorhaben so rasch wie möglich in Angriff nehmen, kündigte Kogler an. Auch die Opposition forderte teils jahrelang eine derartige weisungsfreie Staatsanwaltschaft, die Volkspartei konnte bisher nicht für dieses Vorhaben gewonnen werden.

Es solle eine Diskussion mit Rechtsanwälten, Richtern, Staatsanwälten, der Wissenschaft und dem Parlament geben, so Wöginger. Ziel sei eine doppelte Kontrolle der Staatsanwaltschaften durch Richterinnen und Richter im Vorverfahren und parlamentarische Kontrolle – ohne auf genauere Details einzugehen.

Anspielungen auf Ermittlungen um Blümel

Anlass für die ÖVP-Initiative sind offenkundig die Ermittlungen der WKStA gegen Finanzminister Blümel, die zuletzt laut ÖVP trotz einer nicht allzu eindeutigen Verdachtslage zu einer Hausdurchsuchung beim Ressortchef geführt hatten.

Direkt angesprochen wird diese in der Aussendung nicht, auch die WKStA wird nicht direkt erwähnt. In der Aussendung werden jedoch Fälle erwähnt, die damit im Zusammenhang stehen: die rechtswidrige Hausdurchsuchung im BVT, die zu einem internationalen Imageschaden für Österreich geführt habe, eine Anzeige gegen eine Journalistin und gegenseitige Abhörungen und Anzeigen innerhalb der Beamtenschaft, womit auf den Dauerkonflikt zwischen WKStA und Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien bzw. Sektionschef Christian Pilnacek angespielt wird.

Kurz: „Dringender Änderungsbedarf“ bei WKStA

Es habe so viele Verfehlungen bei der WKStA gegeben, dass es dort „dringenden Änderungsbedarf“ gebe, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag in einer Reaktion auf deren aktuelle Ermittlungen. Zudem seien in den letzten Jahren „von 40.000 Beschuldigten nur 400 verurteilt worden“. Es brauche daher einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt, wiederholte Kurz die schon zuvor von seiner Partei geäußerten Forderungen. Die ÖVP sei lange gegen diese Reform gewesen, habe nun aber ihre Meinung geändert.

Grüne: „Hat Hausdurchsuchung zum Umdenken gebraucht“

Angriffiger als Kogler reagierte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. In den Koalitionsverhandlungen habe die ÖVP den Bundesstaatsanwalt noch vehement blockiert: „Offenbar hat es erst eine Hausdurchsuchung fürs Umdenken gebraucht. Auch okay, Hauptsache, sie kommt.“

Die Reaktionen der Opposition fielen nach der Ankündigung Wögingers gemischt aus. „Was alles möglich ist, wenn die ÖVP unter Druck ist und lieber über die Staatsanwaltschaft als über die laufenden Ermittlungen gegen Blümel reden möchte“, so NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger auf Twitter. Sie ortete ein „Ablenkungsmanöver“.

SPÖ verweist auf langjährige Forderung

Die SPÖ verwies darauf, dass man schon seit über 20 Jahren einen Bundesstaatsanwalt fordere. Justizsprecherin Selma Yildirim will konkret einen vom Parlament gewählten, unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwalt als Weisungsspitze gegenüber den staatsanwaltschaftlichen Behörden. Dieser soll auf eine Dauer von zwölf Jahren bestellt werden und nicht wiedergewählt werden können.

Vorsichtig skeptisch zeigte sich auch die FPÖ. „Das wird man sich anschauen, wie dieser Bundesstaatsanwalt ausgestattet sein soll“, sagte deren Fraktionsführer im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, Christian Hafenecker, in einer ersten Reaktion. Man werde sich das in den entsprechenden Fachgremien ansehen. Der Vorstoß zeige aber nur, „dass der ÖVP das Wasser bis zum Hals steht“, so Hafenecker. „Unabhängig und ÖVP, das passt nicht zusammen“, so Klubchef Herbert Kickl in einer Aussendung.

Zuletzt scharfe Kritik von Jilek

Das Thema Weisungsfreiheit war zuletzt auch im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss prominentes Thema. Die Ex-Staatsanwältin der WKStA, Christine Jilek, kritisierte die Verzögerungen bei ihrer Arbeit. Sie verwies darauf, dass Berichtspflichten und Weisungen ihrer Meinung nach die Verfahren in die Länge ziehen und behindern.

Die Kritik stieß bei Fachleuten auf große Resonanz. Der ehemalige Chef der polizeilichen Antikorruptionsdienststelle, Martin Kreutner, sagte vergangene Woche gegenüber Ö1: „Diese Weisungskette unmittelbar an einen politischen Entscheider, Entscheidungsträger ist anachronistisch und eigentlich weder mit unserer Verfassung noch mit internationalen Vorgaben vereinbar.“ Außer Österreich habe dieses Modell „nur noch Deutschland“, so Kreutner.

„Muss man jetzt wirklich neu überlegen“

Forderungen nach Änderungen kamen zuletzt auch vom Präsidenten des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK), Rupert Wolff. Im Ö1-Mittagsjournal sagte er, dass er dafür sei, „dass wir uns rasch dieses Themas annehmen“. Er sagte jedoch auch, ob man einen Bundesstaatsanwalt bestellen oder „eine andere Lösung finden werde“, werde „sich herausstellen.“ „Ich bin für schlanke Strukturen“, so Wolff.

Schon vergangene Woche hatte Wolff nach Jileks Kritik gesagt: „So viel, wie da falsch gelaufen ist“ in den letzten Jahren, „muss man das jetzt wirklich neu überlegen.“ Die vielen Klagen von Staatsanwälten und die vielen Diskussionen zeigten, „dass das nicht funktioniert“. Dazu könnte man auch bestehende Strukturen nützen – etwa den Weisungsrat oder den früheren Generalprokurator.

Staatsanwälte wollen Bestellung über Bundespräsidenten

Die Vereinigung der Staatsanwälte will unterdessen, dass eine vom Bundespräsidenten eingesetzte Kommission mit Fachleuten aus der Justiz den geplanten Bundesstaatsanwalt einsetzt. Sogar noch besser wäre die Einrichtung eines „Rates der Gerichtsbarkeit“, der sämtliche Höchstrichterinnen und -richter sowie den neuen Bundesanwalt ernennt, wie die Vorsitzende der Vereinigung, Cornelia Koller, gegenüber der APA sagte. In einem Positionspapier der Staatsanwälte heißt es, der Bundesstaatsanwalt solle ausschließlich dem gesetzlichen Auftrag zur Aufsicht über die Tätigkeit der Staatsanwaltschaften verpflichtet sein.

Die Vorsitzende der Richtervereinigung, Sabine Matejka, pocht darauf, dass eine längere Amtszeit des Bundesstaatsanwalts nötig sei. In dieser Position gehöre Kontinuität her, sagte sie im APA-Gespräch und wies darauf hin, dass die Justizminister zuletzt im Schnitt nur zwei Jahre im Amt gewesen seien. Sichergestellt werden müsse auch, dass bei der Ernennung nicht über Umwege wieder politischer Einfluss ausgeübt werden könne. Was die Person angeht, würde es Matejka begrüßen, wenn diese eine Befähigung für das Richteramt vorweisen könne.

Schon vor 20 Jahren Thema in der Innenpolitik

Erstmals forderte 2001 die SPÖ einen unabhängigen Bundesstaatsanwalt. Kurze Zeit stellte die SPÖ mit Maria Berger in einer rot-schwarzen Koalition die Justizministerin, und selbst sie hätte auf das Weisungsrecht verzichtet, was mit der ÖVP aber nicht zu machen war. Auch die Grünen stiegen früh in die Debatte ein. Auch NEOS fordert das seit dem Einstand in der Bundespolitik.

Der letzte größere Reformanlauf kam vom damaligen ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter im Jahr 2015. Er setzte als Beratungsorgan einen Weisungsrat ein, der letztlich als Kontrollorgan auch gesetzlich verankert wurde. Bestehend aus dem Generalprokurator und zwei externen Strafrechtsexperten ist er für Weisungsfälle und alle Fälle von besonderem öffentlichen Interesse zuständig.