Eine Frau im gelben Pullover sitzt auf einem Sofa und hält sich die Hände vor dem Bauch weil sie Schmerzen hat
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Endometriose

Wenn Schmerzen zur Regel werden

Starke Blutungen, Krämpfe, depressive Phasen. Fast jede Frau kennt ein oder mehrere Symptome, die mit ihrem Zyklus zu tun haben. Was aber, wenn die Schmerzen unerträglich werden, wenn sie Monat für Monat den eigenen Körper beherrschen? Die Periode war lange Zeit Tabuthema, doch mit mehr Aufklärung wird auch das Bewusstsein für damit einhergehende mögliche Krankheiten größer. Eine davon ist Endometriose.

Schätzungen zufolge sind zwischen fünf und zehn Prozent der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter von Endometriose betroffen. In Österreich sind das laut dem Endometriosezentrum in Wien zwischen 70.000 und 150.000 Frauen, die Dunkelziffer wird aber wesentlich höher, teilweise auf das Doppelte geschätzt. Weltweit gibt es rund 200 Millionen Betroffene.

Obwohl die Erkrankung gutartig ist, klagen Frauen beispielsweise über starke Unterleibsschmerzen, übermäßige Blutungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und psychische Probleme. Auch Unfruchtbarkeit kann eine Folge von Endometriose sein. Trotzdem gilt die Krankheit als schwierig zu diagnostizieren, insbesondere weil die Beschwerden von Frau zu Frau so unterschiedlich sein können. Manche haben auch gar keine Beschwerden, obwohl sich Endometrioseherde ausgebildet haben.

„Das ist nicht wie bei einer Blinddarmentzündung“

Bei einer Endometriose siedeln sich gebärmutterschleimhautartige Zellen außerhalb der Gebärmutterhöhle an. Jedoch: „Endometriose hat sehr unterschiedliche Formen. Das ist nicht wie bei einer Blinddarmentzündung“, erklärt Rene Wenzl, Gynäkologe und Leiter des Endometriosezentrums in Wien gegenüber ORF.at. So gebe es Formen, die relativ einfach mittels Ultraschall zu diagnostizieren seien, wie eine Zyste am Eierstock. „Sobald die Endometriose aber ins Gewebe hineinwächst, hauptsächlich am Dickdarm und an der Harnblase, wird es schon etwas schwieriger, das am Ultraschall zu sehen“, so Wenzl.

Rene Wenzl, Gynäkologe und Leiter des Endometriosezentrums in Wien
Nicht die Regel
Rene Wenzl ist Gynäkologe und leitet das Endometriosezentrum der MedUni Wien

Kompliziert werde es dann, wenn die Endometriose am Bauchfell entlangwachse. „Diese Form ist sehr schwierig zu diagnostizieren. Sie schaut im Prinzip genauso aus wie das normale Bauchfell“, so der Gynäkologe. Klarheit könne bei dieser Version derzeit nur eine Bauchspiegelung bringen. Im Zuge dessen würden häufig auch gleich Endometrioseherde entfernt, wie Betroffene ORF.at schildern.

Die Ursachen für Endometriose geben Expertinnen und Experten allerdings Rätsel auf. „Eine entscheidende Theorie ist, dass das Blut während der Menstruation über die Eileiter in den Bauchraum ausgeschwemmt wird. Dort bleibt es hängen, und es entwickelt sich die Endometriose“, erklärt Wenzl. Das Problem dabei: „Fast jede Frau hat diese retrograde Menstruation, doch es erkranken nicht 90 Prozent an Endometriose, sondern nur fünf bis zehn Prozent.“ Der Gynäkologe vermutet daher, „dass verschiedene Faktoren zusammenkommen müssen“.

„Immer noch viel auf die Psyche geschoben“

Betroffene laufen oft über Jahre von Praxis zu Praxis. Beschwerden werden zwar erkannt, doch häufig von Ärztinnen und Ärzten nicht als mögliche Symptome für Endometriose in Erwägung gezogen. Nicht nur deshalb sei es besonders wichtig, auf die individuelle Krankheitsgeschichte einer Patientin einzugehen, betont Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender-Medizin an der Medizinischen Universität Wien. „Es ist häufig ein Problem, dass Symptome von Frauen nicht ernst genommen oder fehlinterpretiert werden“, so die Expertin zu ORF.at. „Es wird bei Frauen immer noch viel auf die Psyche geschoben.“

Die Gendermedizinerin und „Wissenschafterin des Jahres 2016“, Alexandra Kautzky-Willer
APA/Herbert Neubauer
Alexandra Kautzky-Willer ist Fachärztin für Innere Medizin und Professorin für Gender-Medizin an der Med Uni Wien

So komme es vor, dass Ärztinnen und Ärzte bei Frauen eher als bei Männern kein organisches Problem als Ursprung erkennen, sondern Depressionen, Angststörungen und so weiter. „Das Geschlecht spielt bei Diagnosen eine große Rolle“, zeigt sich Kautzky-Willer überzeugt und ergänzt: „Ebenso wie auch etwa das Alter, der Body-Mass-Index und der Lebensstil.“ Ein guter Arzt bzw. eine gute Ärztin sollte sich deshalb, so die Medizinerin, egal in welchem Fachbereich, immer ausführlich über die bisherige Krankheitsgeschichte und die Lebensumstände informieren – doch sei oft der Zeitfaktor in Praxen ein Hindernis.

Wann eine Spezialistin aufsuchen?

Inzwischen wurde in den letzten zehn Jahren viel an Endometriose geforscht, etwa auch an Biomarkern, an denen sich die Krankheit erkennen ließe. Dennoch beklagt Wenzl, dass in Zeiten des Coronavirus Forschungsschwerpunkte woanders liegen würden und die Endometrioseforschung unter anderem damit zu kämpfen habe, dass die Krankheit nur einen Bruchteil der Bevölkerung betreffe: nahezu ausschließlich Frauen im gebärfähigen Alter. Doch gibt es auch Fälle, die nach der Menopause und vor der ersten Menstruation auftreten. Bei hoher Östrogengabe können endometrioseartige Zellen auch beim Mann vorkommen.

Wenzl warnt jedoch davor, zu schnell von Endometriose zu sprechen, wenn sie nicht deutlich erkennbar sei: „Wir behandeln, solange es nicht bewiesen ist, die Symptome.“ Einer zu starke Regelblutung etwa könne man mit der Anti-Baby-Pille oder der Hormonspirale entgegenwirken. Bei Schmerzen werde mit Schmerzmitteln gearbeitet, doch auch alternative, additive Mittel würden häufig zur Behandlung eingesetzt. Wenzl nennt hier Omega-3-Fettsäuren, Magnesium und Kurkuma als entzündungshemmende und schmerzlindernde Substanzen. Auch Physiotherapie kann helfen. Um Endometrioseherde zu entfernen, müsse aber operiert werden, sagen Expertinnen und Experten.

Anya Schauenstein und Tabea Hablützel
Nicht die Regel
Regisseurin Ranya Schauenstein (links) produziert einen Dokumentarfilm zu Endometriose, den ersten im deutschsprachigen Raum

Endometriose in den Griff zu bekommen, kann also kompliziert sein, die Krankheit ist dauerhaft. Wenzl rät Frauen, die sich unsicher sind, ob sie möglicherweise erkrankt sind, deshalb zu folgender Faustregel: „Wenn mehr als sechs Monate so starke Schmerzen auftreten, dass es zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität kommt, dann sollten Betroffene zu einem Spezialisten oder einer Spezialistin gehen.“ Das heiße freilich nicht, dass die Diagnose Endometriose laute, aber es könne als zeitlicher Rahmen dienen, die Situation persönlich besser einzuschätzen.

„Wenn du nicht ernst genommen wirst, hat das Folgen“

Dass das Bewusstsein für Endometriose in Österreich steigt, zeigen mehr und mehr Medienberichte über die Krankheit. Am Entstehen ist derzeit etwa der Dokumentarfilm „Nicht die Regel“ von Regisseurin und Endometriosepatientin Ranya Schauenstein. Sie startete 2019 einen Facebook-Aufruf an Frauen, die erkrankt und zudem in der Medienbranche tätig sind. „Ich wollte damit zeigen, dass ich sehr einfach Frauen alleine in meiner Branche finden kann, die Endometriose haben, weil die Krankheit so weit verbreitet ist“, so Schauenstein zu ORF.at.

So wie forschende Medizinerinnen und Mediziner wünschen sich auch die Produzentinnen einerseits mehr Investitionen in die Endometrioseforschung, andererseits mehr Aufklärung unter praktizierenden Gynäkologinnen und Gynäkologen. „Uns ist wichtig, Bewusstsein im deutschsprachigen Raum zu schaffen. Dass Betroffene, aber auch Ärztinnen und Ärzte diese Krankheit im Hinterkopf haben“, so die Regisseurin. „Dazu muss sie bekannter werden, damit betroffene Frauen zu Ärztinnen und Ärzten überwiesen werden, die ihnen wirklich helfen können.“ Schauenstein hebt insbesondere die psychischen Folgen einer unerkannten Endometriose hervor: „Wenn du jahrelang nicht ernst genommen wirst mit dieser Krankheit, hat das Folgen.“

Betroffene können auch bei der Endometriose Vereinigung Austria (EVA) Informationen über die Krankheit sowie Ansprechpartnerinnen finden. Der Verein verfügt außerdem über Listen zu Endometriosezentren in ganz Österreich. Trotz Coronavirus-Pandemie raten Ärztinnen und Ärzte jedenfalls, regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen und sich bei Beschwerden jeder Art nicht davor zu scheuen, einen Arzt bzw. eine Ärztin aufzusuchen. Bei gesundheitlichen Unklarheiten kann in Österreich immer die Gesundheitsnummer 1450 zur Erstberatung gewählt werden.