Schule in der Knöllgasse
Rataplan
Notlösung als Dauerzustand

Das Kreuz mit den „Containerschulen“

Vieles läuft im Schulbetrieb gerade anders als sonst – doch auch in Zeiten des Coronavirus naht im letzten Volksschuljahr gerade die Entscheidung, wie es im Herbst weitergeht. Während die Schülerzahlen an Mittelschulen sinken, ist der Andrang auf AHS groß. Bei akuter Raumnot kommen oft mobile Klassen zum Einsatz. Eigentlich als Notlösung gedacht, werden die „Container“, die oft besser sind als ihr Ruf, mitunter zum Dauerzustand.

Dass es besonders in Schulen im Umland der Städte manchmal eng wird, liegt auch daran, dass die Bevölkerung dort besonders stark wächst. So boomt etwa der Zuzug in den „Speckgürtel“ rund um Wien, wie auch aktuelle Zahlen der Statistik Austria zeigen.

Einer der davon betroffenen Schulstandorte ist das Gymnasium Keimgasse in Mödling. Seit über zehn Jahren gibt es dort wegen akuter Raumnot „Containerklassen“ – wie mobile Klassen meist wenig schmeichelhaft genannt werden. Als „hilfreiche Notlösung“ bezeichnet sie Schulleiter Michael Päuerl. „Ohne diese Behelfsklassenräume hätten zahlreiche Schülerinnen und Schüler nicht aufgenommen werden können“, so Päuerl gegenüber ORF.at.

„Besser als ,Wanderklassen‘“

„Die meisten Schülerinnen und Schüler fühlen sich darin prinzipiell wohl“, so Päuerl. Mobile Klassen seien jedenfalls eine bessere Lösung als „Wanderklassen“ – Schulklassen also, die immer wieder in gerade freie Räume wechseln müssen. Ein Nachteil der mobilen Klassen sei die Trennung vom Hauptgebäude und damit auch von den Sanitäreinrichtungen und Aufenthaltsräumen.

Dass in der langjährigen Geschichte der mobilen Klassen am Gymnasium Keimgasse, diese schon einmal unmittelbar neben dem Sportplatz aufgestellt waren, hätten die Schülerinnen und Schüler hingegen „sicher als Vorteil gesehen“. Denn so konnten sie in den Pausen den Sportplatz nutzen.

Containerklasse
BG und BRG Keimgasse
Eine mobile Klasse des Gymnasiums Keimgasse in Mödling

Die Kälte im Winter ist – im Gegensatz zur Hitze im Sommer – laut Päuerl kein großes Problem: „Die Räume können gut beheizt werden.“ Während man sich aber im Hauptgebäude beim Verlassen des Klassenzimmers immer noch im Schulhaus befinde, stehen die Schülerinnen und Schüler beim Verlassen des Ersatzquartiers direkt im Freien und damit in der Kälte oder im Regen.

Desinfektionsmittel statt Händewaschen

Die aktuell notwendigen Hygienemaßnahmen seien in den mobilen Klassen etwas schwieriger umzusetzen: „Die Räume können zwar leicht und schnell gelüftet werden, sie sind aber enger, und das Raumluftvolumen ist geringer als in den Klassenräumen im Hauptgebäude. Außerdem gibt es keine Möglichkeit zum Händewaschen.“ Als Ersatz für Wasser und Seife werde Desinfektionsmittel verwendet.

Große Unterschiede im Hinblick auf Coronavirus-Sicherheitsmaßnahmen sieht Päuerl zwischen den Klassen im Hauptgebäude und jenen im Ersatzquartier aber nicht. Denn: „Der Schulraum ist insgesamt schon jahrelang sehr eng. Viele empfohlene Maßnahmen wie Unterricht in Turnsälen oder Aulen sind deshalb ohnehin nicht möglich.“

Zu eng, zu heiß, zu kalt?

„Containerklassen“ werden seit Jahren kritisiert: Es sei darin zu eng, im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt. Vorwürfe, die die Architektinnen Katharina Wörgötter und Susanne Höhndorf vom Wiener Architekturbüro Rataplan so nicht stehenlassen wollen. Für die Planung und Herstellung mobiler Klassen seien dieselben bauphysikalischen Anforderungen wie für alle Neubauten rechtlich vorgeschrieben, so Wörgötter. „Das bedeutet: Sie unterscheiden sich hinsichtlich der aktuellen hohen Standards für Wärmeschutz, Schutz gegen sommerliche Überwärmung und Energieverbrauch grundsätzlich nicht von Neubauten.“

Es gehe bei mobilen Klassen vor allem um eine geringe Bauzeit. Und diese sei möglich, weil auf Unterkellerung verzichtet werde und viele vorgefertigte Elemente verwendet würden, ergänzt Höhndorf. Die vorgefertigten Sandwichpaneelkonstruktionen aus Metall seien auch der Grund für die Ähnlichkeit mit Baustellencontainern.

Illustration zeigt Schulgebäude
Rataplan
Holz statt Metall: Auch so kann eine mobile Klasse aussehen

Bei dringendem Schulraumbedarf sei durch diese Konstruktion eine extrem kurze Bauzeit möglich. Von Baustellencontainern würden sich mobile Klassen dennoch klar unterscheiden, so Höhndorf: „Räume, Materialien und Farbgebung werden an die Anforderungen für Schulbauten und an die Bedingungen vor Ort angepasst.“ Noch mehr Flexibilität in der Raumgestaltung sei mit der „vorteilhafteren“ Holzbauweise mit vorgefertigten Wand- und Deckenelementen möglich.

„Man kann aus dem Fenster schauen“

„Oft gefällt es den Schülerinnen und Schülern richtig gut, in ,ihr‘ eigenes kleines Schulgebäude zu gehen“, so Höhndorf. Volksschulkinder könnten zudem aus dem Fenster schauen, was bei etlichen „kasernenartigen“ Gründerzeitbauten wegen der hohen Parapete nicht möglich sei.

Schule in der Knöllgasse
Rataplan
Diese mobilen Klassen an einer Wiener Schule werden über die ursprünglich vorgesehenen zehn Jahre hinaus weiter genutzt

Meist werden Schulklassen nur vorübergehend in mobile Klassen ausgelagert, etwa wenn das Schulgebäude saniert wird oder einen Zubau erhält. Weil die mobile Bauweise einen vergleichsweise einfachen Rückbau erlaubt, sei sie als Übergangslösung gut geeignet, so Wörgötter. Aber auch gegen eine längere Nutzung spricht laut der Architektin nichts. Problematisch könne allerdings die Gestaltung des Freiraumes um das Gebäude herum sein, denn „mobile Klassen werden in der Regel auf ohnehin schon sehr knapp bemessenem Schulgelände errichtet“.

Ein Viertel mehr Schülerinnen und Schüler seit 1990ern

Die Zahl der mobilen Klassen in Österreich ist laut Bildungsministerium zwar gestiegen, „weil für die Umsetzung des Schulentwicklungsprogramms (SCHEP 2020) eine Reihe von Baumaßnahmen in Angriff genommen wurde“. Die Anzahl der mobilen Klassen an Standorten, an denen es keine begleitenden Baumaßnahmen gibt, ist in den letzten beiden Jahren allerdings gesunken, so das Ministerium gegenüber ORF.at. Insgesamt sei weniger als ein Prozent der Klassen in Bundesschulen von der Thematik betroffen.

Bauarbeiten am BG/BRG Keimgasse
BG und BRG Keimgasse
Am Gymnasium Keimgasse wird gerade groß aus- und neugebaut

Auch am Gymnasium Keimgasse in Mödling gibt es seit letztem Schuljahr eine Baustelle. Wurde die akute Raumnot zuvor schon jahrelang mit vier mobilen Klassen gelindert, so gibt es nun insgesamt neun Behelfsquartiere für die Dauer der Umbau- und Erweiterungsarbeiten. Um ein Viertel mehr Schülerinnen und Schüler als in den 1990er Jahren besuchen laut Schulleiter Päuerl heute die Schule. Und das, obwohl in der Umgebung Schulen ausgebaut und neue Standorte geschaffen wurden.

„Viele Provisorien“

Neben den steigenden Anmeldezahlen an Gymnasien sieht Schulleiter Päuerl das Bevölkerungswachstum in Randbereichen von Städten als wesentlichen Faktor für diese Entwicklung. „Die Raumnot bei wachsenden Schülerzahlen betrifft fast alle Gymnasien im städtischen Umfeld seit vielen Jahren. Die Schaffung der räumlichen Voraussetzungen konnte in den vergangenen Jahren nicht mit dem Bedarf Schritt halten.“

Mit „vielen Provisorien“ würden Gymnasien in den letzten Jahren versuchen, möglichst wenige Absagen erteilen zu müssen: Neben mobilen Klassen und Wanderklassen werden auch Unterrichtsräume für Physik, Biologie und Bildnerische Erziehung zu Klassenräumen umgewandelt. Oder Räume von nahe gelegenen Institutionen und Schulen, etwa Mittelschulen, angemietet. Am Gymnasium Keimgasse soll dieses Kapitel jedenfalls in absehbarer Zeit zu Ende sei. Der Abschluss der Bauarbeiten ist für Ende 2022 geplant.