Kinder mit Smartphones
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Essen wie die Influencer

Lebensmittelkonzerne ködern Kinder im Netz

Soziale Netzwerke sind längst für viele Wirtschaftstreibende bedeutsame Werbeplattformen. Das gilt auch für Lebensmittelkonzerne. In einem neuen Bericht der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch wird dargelegt, wie die Industrie Internetstars gezielt einsetzt, um Kinder und Jugendliche zum Konsumieren zu bringen.

Für die Recherche untersuchte Foodwatch im Jahr 2020 über einen Zeitraum mehrerer Wochen Tausende Posts, Storys und Videos bekannter Social-Media-Stars auf den Plattformen YouTube, Instagram und TikTok. Die Organisation dokumentierte dabei zahlreiche Belege für entsprechende Werbung. Die Ergebnisse wurden am Mittwoch vorgestellt. Laut dem Bericht sind einige der untersuchten Beiträge sichtbar als „Werbevideo“ gekennzeichnet.

Andere geben hingegen scheinbar Einblick in den Alltag von Influencerinnen und Influencern. Diese sitzen dann im Fast-Food-Lokal, trinken Zuckerlimonade oder preisen ein anderes Produkt an. Laut Bericht setzten etwa Konzerne wie Coca-Cola, McDonald’s und Haribo auf diese Taktik. Den Einfluss der Influencer „machen sich Lebensmittelunternehmen zunutze, um für ihre süßen Limonaden, Torten und Schokoriegel zu werben“, sagte Heidi Porstner von Foodwatch Österreich.

„An elterlicher Aufsicht vorbei“

Die Industrie agiere so an der elterlichen Aufsicht vorbei. "Sie gelangt somit direkt ins Kinderzimmer und auf die Handys von Kindern und Jugendlichen und untergräbt so die Bemühungen von Eltern, ihre Kinder für gesunde Lebensmittel zu begeistern“, sagte auch Lisa Kernegger von Foodwatch Österreich am Mittwoch. Offenbar mit Erfolg: Kinder in Österreich geben ihr Taschengeld gerne für Essen, Fast Food und Süßigkeiten aus, wie eine Studie der Universität Wien mit der Münze Österreich 2018 ergab.

Im Schnitt ist etwa jeder dritte Bub und jedes vierte Mädchen in Österreich im Alter von acht Jahren übergewichtig oder adipös. Das geht aus der im November 2017 veröffentlichten Studie „COSI“ („Childhood Obesity Surveillance Initiative“) der WHO hervor, an der Österreich 2017 zum ersten Mal teilnahm. Übergewicht im Kindes- und Jugendalter erhöht das allgemeine Risiko, im Erwachsenenalter an Adipositas und anderen Stoffwechselerkrankungen zu erkranken.

Gesetzliche Beschränkung gefordert

Rechtlich seien den Unternehmen kaum Grenzen gesetzt, wenn sie mit Influencern Lebensmittel bei Minderjährigen bewerben wollen. Im Gegensatz zu Ländern wie Norwegen, Schweden und Großbritannien gebe es in Österreich nach wie vor keine direkten gesetzlichen Verbote oder Einschränkungen von Kindermarketing für unausgewogene Lebensmittel, kritisierte Foodwatch. Das Ziel solle sein, die Wirkung von Werbung für Lebensmittel und Getränke, die einen hohen Gehalt an Salz, Zucker, Fett, gesättigten Fettsäuren oder Transfettsäuren aufweisen, auf Kinder wirkungsvoll zu reduzieren.

Doch neue Werberegeln setzten auf Selbstregulierung statt auf gesetzliche Beschränkungen, so Foodwatch. „Als Gesetzgeber Unternehmen vorzugeben, sich selbst die Regeln zu schreiben, ist an Absurdität wirklich kaum zu übertreffen. Das ist bei einem so wichtigen Thema, bei dem es um die Gesundheit der Kinder geht, einfach viel zu wenig“, sagte Porstner. „Es braucht dringend eine gesetzliche Beschränkung des Kindermarketings, die sich streng an den Nährwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientiert.“ Die WHO arbeitete 2015 ein Nährwertprofil für Kinder aus.

Beschwerde gegen TikTok

In Deutschland wurde am Mittwoch schnell der Ruf laut, Kinder stärker vor Werbung für ungesunde Lebensmittel zu schützen. Die deutsche Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte, dass „weitergehende Beschränkungen notwendig“ seien, um Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, zu regulieren. „Werbung darf Kinder nicht dazu verleiten, sich ungesund zu ernähren“, sagte Klöckner. Sie habe den Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft deshalb aufgefordert, „die Verhaltensregeln zu verschärfen“.

Erst am Dienstag hatte der europäische Verbraucherverband BEUC Beschwerde über das Videoportal TikTok bei der EU-Kommission und dem Netzwerk nationaler Verbraucherschutzbehörden eingereicht. „TikTok lässt seine Benutzer im Stich, indem ihre Rechte massenhaft verletzt werden“, sagte Generaldirektorin Monique Goyens. „Kinder lieben TikTok, aber das Unternehmen versagt darin, sie zu schützen.“

Konkret bemängelt wurde auch hier, dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend vor versteckter Werbung und potenziell schädlichen Inhalten geschützt würden. Auch sei das Vorgehen bei der Verarbeitung persönlicher Daten irreführend. Mehrere Klauseln der Nutzungsbedingungen seien unfair. Man erwarte, dass die Behörden die TikTok-Praktiken umfassend untersuchten und dagegen vorgingen, teilte BEUC mit. Zudem würden die nationalen Behörden dazu gedrängt, etwas zu unternehmen.

Offiziell erst ab 13 Jahren

Laut TikTok-Nutzungsbedingungen musst man mindestens 13 Jahre alt sein, um die Plattform nutzen zu dürfen. Anwender unter 18 Jahren benötigen die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten – zumindest offiziell. Die französische Verbraucherschutzorganisation UFC-Que Choisir berichtete allerdings, dass rund 45 Prozent der unter 13-Jährigen in Frankreich angeben, die App zu nutzen.

TikTok betonte am Dienstag, man nehme die „Sicherheit unserer Community, insbesondere unserer jüngeren Nutzer*innen“, und die Einhaltung von Gesetzen sehr ernst. „Wir arbeiten jeden Tag hart daran, unsere Community zu schützen“, so eine Sprecherin. So seien bereits alle Konten von Nutzern unter 16 Jahren standardmäßig auf „privat“ gesetzt.

So könnten alle Nutzer selbst entscheiden, wer ihnen folgen und ihre Videos sehen darf. Die Nutzungsbedingungen machten das Mindestalter von 13 Jahren deutlich. „Nutzer*innen müssen eine obligatorische Alterskontrolle durchlaufen, um sich für ein Konto anzumelden. Wenn sie unter 13 sind, können sie sich nicht registrieren und werden für weitere Versuche gesperrt“, so die Sprecherin.

Richtlinien in Teenager-Vokabular

Man habe auch eine App-Store-Bewertung festgelegt, die es Eltern ermögliche, TikTok auf dem Telefon ihres Kindes zu sperren. Zudem habe man eine Zusammenfassung der Datenschutzrichtlinien mit Vokabular entwickelt, das es Teenagern einfacher mache, „unseren Datenschutzansatz zu verstehen“. Man habe BEUC kontaktiert und würde ein Treffen begrüßen.

TikTok steht immer wieder in der Kritik, weil sich die App vor allem an jüngere und somit leichter beeinflussbare Nutzerinnen und Nutzer richtet. So musste die Plattform kürzlich ihre Datenschutzbestimmungen für 13- bis 15-Jährige ändern, nachdem Beobachter einen Algorithmus kritisiert hatten, der sexualisierte Videos favorisierte.