Martina Aleson zeigt Fotos ihrer Vorfahren
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Ahnenforschung

Kirchenarchive gehen online

Stammbaum- und Ahnenforschung liegen im Trend. Wichtige Auskunftsquelle dafür sind Archive von Pfarren und Klöstern. Projekte wie die Topothek, Matricula und Monasterium haben begonnen, quer über die Religionsgrenzen hinweg Daten aus Kirchenarchiven online Interessierten zur Verfügung zu stellen.

So sind es etwa Zigtausende Bücher und Dokumente, verborgene Schätze, die im Archiv der Evangelischen Kirche in Österreich von längst vergangenen Tagen zeugen. Historische Fotos, die evangelisches Leben in Österreich dokumentieren, sollen online zugänglich gemacht und Ahnenforschung damit ermöglicht und erleichtert werden. Darunter sind viele Bilder, die bisher für Interessierte kaum zugänglich waren. Das soll sich mit der neuen Topothek nun ändern.

Das Besondere an dem Projekt sei, erzählt Michael Chalupka, Bischof der Evangelischen Kirche A. B., dass jeder mitmachen kann. „Viele haben alte Fotos und Dokumente daheim, die in den Alben oder Schuhkartons ein wenig beachtetes Dasein fristen. Vielleicht sind aber gerade diese Fotos, etwa einer Konfirmandenstunde aus den 1960er Jahren, auch für andere interessant. Die Topothek soll ein Beteiligungsinstrument für alle sein und als Archiv offenstehen“, sagt Chalupka. Über eine Landkarte kann man die Bilder rasch verorten und über eine Zeitleiste mit anderen Ereignissen in Beziehung bringen.

Ahnenforschung in Onlinekirchenarchiven

Immer mehr Plattformen von Kirchen bieten online die Möglichkeit zur Stammbaum- und Ahnenforschung.

Kirchenarchive online

Über eine Reihe von Onlineplattformen ist es bereits möglich, kirchliche Archive zu durchstöbern. Vor allem Fotos und Bilder aus den vergangenen 150 Jahren finden sich etwa in der Topothek. Digitalisierte Kirchenmatriken sind unter Matricula abrufbar. Urkunden finden sich bei Monasterium.

Das Interesse vieler Menschen an der Vergangenheit ist nicht neu. Akribisch werden etwa in der Bibel Genealogien aufgelistet. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum gerade Klöster und Pfarren bis heute Orte der Geschichtsschreibung und des Anlegens von Chronologien und Matriken sind.

Kirchenbücher bis ins 16. Jahrhundert zurück

Als Matriken bezeichnet man in Österreich die in den einzelnen Pfarren angelegten Bücher, in denen Taufen, Trauungen und Sterbefälle eingetragen sind. Die ältesten derartigen Kirchenbücher stammen aus dem 16. Jahrhundert, flächendeckend setzt die pfarrliche Matrikenführung erst in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein. In den Fokus rücken diese Matriken heute vor allem durch die steigende Popularität der Ahnenforschung.

Die Tauf-, Ehe- und Sterbematriken helfen, Vorfahren ausfindig zu machen. Über das Onlineprojekt Matricula etwa werden immer mehr dieser Verzeichnisse gescannt und auch online abrufbar gemacht. Es gibt dabei jedoch eine gesetzliche Einschränkung: Taufbücher der vergangenen 100, die Trauungsbücher der vergangenen 75 und die Sterbebücher der vergangenen 30 Jahre sind für die allgemeine Einsichtnahme aus Personenschutzgründen gesperrt.

Family Search Website
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„FamilySearch“: Ein Onlinetool der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage steht Interessierten gratis zur Verfügung

Familie via Internet finden

Vorreiter auf dem Gebiet der Ahnenforschung ist die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, früher vor allem als „Mormonen“ bekannt. Die Gläubigen dieser Kirche folgen einem Aufruf ihres Gründers Joseph Smith: Die Namen möglichst aller verstorbenen Familienangehörigen sollen ergründet werden, Ungetaufte könnten dadurch stellvertretend getauft werden. „Wir glauben, dass wir dadurch im Himmel als Familie auf ewig beisammen sein werden“, sagt Martina Aleson von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

Sie besitzt zahlreiche Fotos und Dokumente von verstorbenen Angehörigen: Viele der Personendaten ihrer Ahnen hat Aleson bereits in das Onlineprogramm „FamilySearch“ eingegeben. Zu jeder Person kann dort auch eine kurze Biografie ergänzt werden, darüber hinaus gibt es einen eigenen Bereich, um Fotos abzuspeichern. Über eine Suchfunktion lassen sich etwa auch Dokumente oder von anderen Userinnen und Usern eingegebene Personen finden.

Weltweit unterirdische Serverfarmen

„FamilySerach“ kann auch von Nichtkirchenmitgliedern verwendet werden, „gratis“, wie Aleson betont. Um dieses Service weltweit anzubieten, betreibt die Kirche einen großen Aufwand und unterhält riesige Serverfarmen und unterirdische Archive. Daneben engagieren sich die Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage weltweit beim Erfassen und Digitalisieren von alten Quellen.

Eine Kooperation in Österreich mit der Evangelischen Kirche ist angedacht und auch beim Digitalisieren vieler Matriken haben die Kirchenmitglieder mitgeholfen. „Indem man die Geschichte seiner Vorfahren erforscht, kann man sich selbst auch viel besser verstehen“, so Aleson.

Tausende Vorfahren entdeckt

Gleich mehrere tausend Vorfahren hat Robert Reiter ausfindig gemacht und ist dabei über 400 Jahre in der Zeit zurückgereist. Sein Hobby Ahnenforschung und seine Begeisterung für Geschichte hat er zum Beruf gemacht. Aktuell arbeitet er als Scan-Archivar im römisch-katholischen Diözesanarchiv in St. Pölten.

Archivar Robert Reiter scannt Urkunden
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Reiter im Diözesanarchiv St. Pölten. 150.000 historische Urkunden hat er bereits gescannt.

Reiter zieht in seinem Arbeitsraum die Rollos zu, um das Sonnenlicht abzudecken. Dann entfaltet er eine mehrere hundert Jahre alte Urkunde. Vorsichtig muss dabei zuerst die Tierhaut, auf der damals geschrieben wurde, mit leichtem Kneten geschmeidig gemacht werden. Dann wird das Pergament auf einen 30.000 Euro teuren Scanner gelegt und abfotografiert. Ein Vorgang, den Reiter schon mehr als 150.000-mal gemacht hat. Nach eigenen Angaben hält er damit einen inoffiziellen Weltrekord.

Millionen Dokumente in Kellern

Im Internetprojekt Monasterium können viele der von ihm gescannten Urkunden abgerufen werden. Insgesamt ist der Bestand der online angebotenen Urkunden dort bereits auf 400.000 angewachsen. Im Vergleich zu den vielen Millionen Dokumenten, die noch in den Kellern der Kirchenarchive gelagert sind, ist das aber erst ein Bruchteil.

In all diesen alten Dokumenten stecke noch viel Information, wie Menschen früher gelebt hätten, wie sie mit den Herausforderungen ihrer Zeit umgegangen seien, erzählt Karl Kollermann, stellvertretender Leiter des Diözesanarchivs St. Pölten.

Alte Dokumente im Archiv der Evangelischen Kirche A.B.
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Korrespondenz der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche A. B. aus vergangenen Jahrzehnten. Vieles hier wartet auf seine Digitalisierung.

Ideen für Zukunft

Aber auch in der jüngeren Vergangenheit kann man bei genauerem Hinschauen Spannendes für heute erkennen, sagt Alexander Schatek. Er ist der Leiter der Topothek und hat die Plattform schon für viele Gemeinden und Regionen eingerichtet. Immer wieder hat er erlebt, dass Menschen beim Betrachten von alten Fotos Ideen bekommen, wie man etwa abgebildete historische Plätze auch heute wieder wohnlicher und gemütlicher herrichten könnte.

Ein Blick ins Archiv würde immer wieder andere Perspektiven und spannende Zusammenhänge aufzeigen, sagt Schatek: „Das soll auch für kommende Generationen möglich sein.“ Schateks Sorgen gelten daher den Dokumenten und Bildern aus der jüngeren Vergangenheit, die viele noch gar nicht für archivierenswert halten. Hier will er mehr Bewusstsein schaffen, und mit der Topothek stünde dafür ein gutes Archivwerkzeug zur Verfügung, um auch diese Fotos aus den vergangenen Jahrzehnten zu sichern.

TV-Hinweis

„Orientierung“ in ORF2 ab 12.30 Uhr berichtet über die Onlinearchive von Kirchen.

Ahnen in der Topothek

Der Blick in die Vergangenheit zeige Entwicklungen auf, sagt Michael Bünker, der Altbischof der Evangelischen Kirche A. B. „Das gute Gedächtnis, aber auch das schlechte Gewissen einer Organisation, damit auch einer Kirche, ist das Archiv,“ zitiert Bünker einen bekannten Spruch.

Er selbst entstammt seines Wissens einer vier Generationen umfassenden Pfarrerdynastie. „Mein Urgroßvater war als evangelischer Pfarrer sicher ganz anders, als wir uns heute evangelische Pfarrer wünschen würden. Aber das zeigt eben, wie sich die Zeiten geändert haben, wie sich die Theologie geändert hat, wie sich Kirche geändert hat.“

Und das werde an einer Familiengeschichte, an den Menschen „da auf den Fotos“ gut sichtbar. Die Fotos und Dokumente seiner Vorfahren will Bünker nun mit der Allgemeinheit teilen. Bald wird man also auch die Bünker-Ahnen und ihre Pfarrgemeinden in der Topothek der Evangelischen Kirche A. B. finden können.