Eine Ampulle mit Astrazeneca Impfstoff.
Reuters/Henry Nicholls
London – Brüssel

Erneut Rätseln über AstraZeneca-Verträge

Über die Verträge zwischen Großbritannien und der Europäischen Union mit dem Impfstoffhersteller AstraZeneca herrscht erneut Rätselraten. Grund ist die Recherche des TV-Senders CNN, wonach der Vertrag Londons jenem Brüssels ähnelt – und auch erst später abgeschlossen worden sein soll. AstraZeneca hält hingegen fest, dass man bereits seit Mai 2020 eine „verbindliche Vereinbarung“ mit Großbritannien habe.

Pikant ist der CNN-Bericht deshalb, weil es anders als in der EU in Großbritannien bisher keine Lieferengpässe mit AstraZeneca-Impfdosen gab. In beiden Verträgen ist dem Bericht vom Donnerstag zufolge eine „Best-Effort“-Klausel enthalten, also die Verpflichtung, sich im besten Sinne um die Einhaltung der vereinbarten Liefermengen zu bemühen. Zuvor war spekuliert worden, dass die Klausel für die Kürzungen der Lieferungen von AstraZeneca an die EU-Länder verantwortlich sein könnte.

Nun aber ist an der CNN-Recherche auch die Information brisant, dass eine in Teilen geschwärzte Version des britischen Vertrags bereits seit Ende November online verfügbar sein soll – allerdings unter einem schwer auffindbaren Link.

Ungleiche Versorgung sorgte für Spannungen

Die britische Regierung hatte dem Sender diesen Link als Antwort auf eine Informationsfreiheitsanfrage zugeschickt, nachdem sie zuvor die Veröffentlichung des Vertrags wiederholt abgelehnt und sogar als nationales Sicherheitsrisiko bezeichnet hatte. Wie und weshalb die bearbeitete Version des Vertrags trotzdem über Monate unbemerkt im Internet stehen konnte, blieb zunächst offen.

Die ungleiche Versorgung Großbritanniens und der EU hatte in den vergangenen Wochen erheblich zu Spannungen zwischen beiden Seiten beigetragen. AstraZeneca-Chef Pascal Soriot hatte die schnelleren Lieferungen an Großbritannien mit dem deutlich früheren Abschluss des Vertrages verteidigt – die EU kritisierte er in einem „La Repubblica“-Interview im Jänner überdies nochmals dafür, dass sie den Vertrag zu spät abgeschlossen habe. Die EU hatte damals ihren eigenen Vertrag mit AstraZeneca – teils geschwärzt – im Internet veröffentlicht.

Debatte über Vertragsabschlüsse

Wie sich nun mit dem CNN-Bericht herausstellt, wurde der Vertrag zwischen Großbritannien und AstraZeneca aber sogar einen Tag nach jenem zwischen der EU und AstraZeneca abgeschlossen. Der britische Vertrag ist nämlich mit 28. August 2020 datiert, jener der EU mit 27. August 2020, so CNN.

Ein Sprecher von AstraZeneca hielt gegenüber ORF.at fest, dass das Unternehmen „mit Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung mit der Universität Oxford Mitte Mai 2020“ eine „verbindliche Vereinbarung zur Lieferung des Impfstoffs an die britische Regierung eingegangen“ sei, „die den Aufbau einer eigenen Lieferkette für Großbritannien ermöglicht“.

Weil die EU ankündigte, Exporte von Impfstoffen stärker zu überwachen, war darüber hinaus sogar Streit über die brisante Nordirland-Frage entbrannt. Zunächst klang es so, als wolle die EU Kontrollen an der irisch-nordirischen Grenze in Kauf nehmen. Zwar ruderte Brüssel in dieser Frage schnell zurück, doch die Spannungen dauerten an.

Experten zerstreuen Zweifel an AstraZeneca

Nicht nur AstraZeneca, auch deren Vakzin hat inzwischen ein Imageproblem. Zu Unrecht, wie Experten versichern: Gegen schwere Verläufe helfe das Vakzin ebenso gut wie die anderen. Der Leiter der Wiener Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, Markus Zeitlinger, verteidigte den Impfstoff von AstraZeneca.

In seiner Schutzwirkung sei er grundsätzlich mit anderen Impfstoffen vergleichbar, sagte er Mittwochabend in der ZIB2. AstraZeneca verursache bei der ersten Impfung mehr Nebenwirkungen und bei der zweiten weniger, bei Biontech und bei Moderna sei es genau umgekehrt. Schwere Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen würden bei Pfizer tatsächlich doppelt so häufig auftreten als bei AstraZeneca.

„Fakt ist: Er wirkt tatsächlich gegen die südafrikanische Variante offenbar schlechter. Fakt ist aber auch, dass wir bei den anderen Impfstoffen hier keine Vergleichsdaten haben“, sagte Zeitlinger. „Das heißt, hier wäre der Vergleich etwas unfair.“ Die Ursache für die Skepsis gerade beim medizinischen Personal gegenüber AstraZeneca sieht er in der „ungeahnten Datenfülle“.

Zeitlinger über Impfstoffnebenwirkungen

Markus Zeitlinger, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie, spricht im Interview über die Nebenwirkungen der Impfstoffe gegen das Coronavirus.

Schutz vor schweren Verläufen

Auch der Mikrobiologe Rainer Gattringer vom Klinikum Wels-Grieskirchen (Oberösterreich) hob die Wirksamkeit des AstraZeneca-Vakzins jüngst hervor. Dass es ein schlechterer Impfstoff wäre, stimme so nicht, „er zeigt vor allem eine sehr gute Effektivität bei der Verhinderung von schweren Verlaufsformen“, so Gattringer – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Herwig Kollaritsch, Leiter der Abteilung Epidemiologie und Reisemedizin am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien, äußerte sich ähnlich. Eine mögliche Wirkungsreduktion bei mutierten Viren bedeute keinen Wirkungsverlust. Das Vakzin von AstraZeneca könne schwere Krankheitsverläufe verhindern, ebenso wie die anderen eingesetzten Impfstoffe.

Darauf komme es in der Pandemiebekämpfung im Moment hauptsächlich an. Einen hundertprozentigen Schutz wie etwa bei einer FSME-Impfung gebe es bei solchen Vakzinen nun einmal generell nicht. Doch mit den derzeitigen Technologien gebe es auch gute Möglichkeiten, die Impfstoffe an die Mutanten anzupassen. Das hatte AstraZeneca bereits angekündigt.

Uneingeschränkte Empfehlung der WHO

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt das AstraZeneca-Vakzin auch für die B.1.351-Variante. „Es ist plausibel zu erwarten, dass dieser Impfstoff gegen schwere Krankheitsverläufe wirksam ist“, so die WHO. Den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Pfizer sowie Moderna wird aber bei leichten Verläufen eine höhere Wirksamkeit gegen die Mutante zugeschrieben.

Das vektorbasierte AstraZeneca-Mittel ist in der EU ein wichtiger Baustein in der Impfstrategie, da es vergleichsweise günstig ist und weniger hohe Anforderungen an Transport und Lagerung stellt als die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Für den Weg hin zum Impfen in Arztpraxen ist das entscheidend.

Unglückliche Öffentlichkeitsarbeit

Hinter dem Impfstoff AZD1222 steht neben dem britisch-schwedischen Konzern auch die renommierte Universität Oxford. Der deutsche Virologe Christian Drosten von der Berliner Charite sieht in der „halb-akademischen“ Konstellation einen Grund für das teils unglückliche Bild in der Öffentlichkeit. Daten, etwa aus Teilstudien, seien schnell häppchenweise veröffentlicht worden, während große Pharmakonzerne erst am Ende zusammenfassend publizierten.

Während es in Österreich und in Deutschland also um die Akzeptanz von AstraZeneca geht, gibt es in Großbritannien den umgekehrten Fall: In britischen Medien hatten Fälle für Aufsehen gesorgt, bei denen Menschen den Impfstoff von Biontech/Pfizer (Deutschland/USA) zurückgewiesen hatten, um „auf den englischen Impfstoff“ zu warten. Dem Hausärzteverband Royal College of General Practitioners zufolge handelt es sich dabei jedoch nicht um ein Massenphänomen.