Menschen in Einkaufsstraße
Reuters/Lisi Niesner
„Leute spielen weniger mit“

Hürden beim Contact-Tracing

Testen und erfolgreiches Contact-Tracing gelten neben der Impfung als Schlüssel, die Pandemie einzudämmen. Beide Strategien wurden sukzessive ausgebaut und professionalisiert. Einige Bundesländer zogen angesichts der Ausbreitung der CoV-Mutationen die Schrauben bei der Kontaktnachverfolgung an. Doch „die Leute spielen weniger mit“, heißt es aus so manchem Bundesland gegenüber ORF.at.

„Infizierte geben nur teilweise Auskunft über ihre Kontakte oder nennen weniger, als sie tatsächlich hatten“, beobachtet etwa der Kärntner CoV-Sprecher Gerd Kurath. Es gebe auch einige, die erkrankt seien, gar nicht mehr zum Test gingen und das zu Hause aussäßen. Da gebe es auch keine Garantie, dass diese Infizierten zehn Tage in Quarantäne bleiben, so Kurath.

Auch die Aussicht auf mögliche Probleme, weil etwa die Lockdown-Bestimmungen nicht eingehalten wurden, erschwert die Kontaktangaben. „Manche Menschen tun sich schwer, ihre Kontaktpersonen tatsächlich zu nennen. Sei es, weil sie sich verantwortlich fühlen, dass diese Personen vielleicht abgesondert werden, oder weil der Anschein entstehen könnte, dass Vorgaben des Bundes während des Lockdowns nicht eingehalten wurden“, meint auch Herbert Vith, Leiter des Infektionsteams in Vorarlberg.

„Keine Firmenkontakte nennen“

Die meisten Übertragungen sind derzeit in Haushalten zu beobachten. Der Anteil der Infektionen am Arbeitsplatz nahm aber in den vergangenen Wochen zu. „Einige Arbeitnehmer werden vom Arbeitgeber aufgefordert, keine Firmenkontakte zu nennen“, sagt etwa einer der steirischen CoV-Koordinatoren, Martin Schemeth. Das sei nicht vergleichbar mit der Situation im Herbst.

Er verweist auf das Beispiel eines Supermarktes in Fürstenfeld – mehr dazu in steiermark.ORF.at. Dort habe die erste infizierte Person keine Kontaktangaben aus der Firma gemacht, so der CoV-Koordinator. Das sei von der Firmenleitung nicht erwünscht gewesen.

Auch die Salzburger Landessanitätsdirektorin Petra Juhasz richtet einen Appell an alle, aktiv mitzuwirken. Es sei ihr bewusst, „dass die Bedenken vor einer Quarantäne oder anderen Unannehmlichkeiten groß sind“. Ohne Mitwirkung seien aber die Anstrengungen der Behörden zur Eindämmung des Virus vergebens.

Antigentestung in einer Apotheke
APA/AFP/Alex Halada
Testen und Kontakte zu suchen zählen zu den entscheidenden Strategien zur Bekämpfung der Pandemie

Softwarelösung statt Zettelwirtschaft

Organisatorisch wurde das Contact-Tracing in den vergangenen Monaten auf neue Beine gestellt. Das sei inzwischen eine „hochkomplexe Geschichte“, die vom Telefondienst über Juristen, die schnell Bescheide erstellen müssen, bis zu Ärzten mehrere Stufen umfasse, erklärt Schemeth. Das war nicht immer so.

In den ersten Wochen der Pandemie wurden die Kontakte von Infizierten noch von einigen wenigen gesucht und informiert. Schemeth: „Zettel wurden von einem Stock in den anderen getragen.“ Von händisch geschriebenen Checklisten und mit der Hand geschriebenen Kontaktlisten, die von positiv Getesteten abfotografiert und gemailt wurden, berichtet Johannes Neustifter, Bezirkshauptmannschaft Steyr Land, von den stotternden Anfängen. „Mit Standardisierungen und mehr Personal haben wir aber im November und Dezember beim Contact-Tracing die zehnfache Menge geschafft.“

Tirol testet Software

Die meisten Bundesländer digitalisierten. Das Softwaresystem in Wien schafft es, visuell Zusammenhänge mehrerer Cluster darzustellen. In Vorarlberg werden seit Ende vergangenen Jahres die Testergebnisse automatisch zum Contact-Tracing geleitet. Die Nachverfolgung von Kontakten beginne damit sofort bei Vorliegen eines positiven PCR- oder Antigen-Tests, erklärt Herbert Vith, Leiter des Infektionsteams in Vorarlberg. Inzwischen läuft auch in der Steiermark eine Software namens „Elefant“, die die Kontaktnachverfolgung erleichtert.

Der technische Ausbau ist ein Jahr nach Beginn der Pandemie aber noch nicht abgeschlossen. Kärnten schuf erst mit dieser Woche eine Schnittstelle zwischen den Bezirkshauptmannschaften und dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS), das nun auch eine Unterstützung durch die AGES beim Contact-Tracing ermöglicht. Tirol ist gerade dabei, eine Software zu testen, die ermöglichen soll, dass Infizierte ihre Kontakte selbst elektronisch erfassen können. Derzeit gehe noch viel analog ab, so Elmar Rizzoli, Leiter des Tiroler Krisenstabs. Andere Bundesländer haben diese Möglichkeit schon länger.

„Anstieg wird wieder Herausforderung“

Seit Beginn der Pandemie wurde der Contact-Tracing-Pool in ganz Österreich stark vergrößert – mit freien Dienstverträgen, Unterstützung des Bundesheers und Vermittlung von Personal durch das Arbeitsmarktservice (AMS). Nahezu überall werden im Bedarfsfall Landesbedienstete eingesetzt. Angesichts der Mutationen und des damit erwarteten Anstiegs von Infektionen stockte Wien seinen Pool zuletzt auf über 700 Personen auf – mit Potenzial nach oben.

Bundesheer beim Contact Tracing in Salzburg
APA/Barbara Gindl
Auch das Bundesheer half in manchen Bundesländern beim Contact-Tracing

„Wir sind anders aufgestellt als im Herbst“, sagt auch der steirische CoV-Koordinator: „Aber wenn es wieder den gleichen Anstieg gibt, wird das eine große Herausforderung.“ Besonders fordernd waren die Monate November und Dezember. In fast ganz Österreich geriet das Contact-Tracing ins Trudeln. Auch Oberösterreich erreichte bei der Kontaktnachverfolgung seine Kapazitätsgrenzen. Neustifter: „Wir haben nicht mehr so detailliert nachgefragt, nur mehr das unmittelbare Umfeld.“

In einigen Fällen seien im November 60 bis 70 Kontaktpersonen zu erfassen gewesen, so Neustifter – bedingt durch Schule und Sportvereine. In Wien wurden im November im Schnitt zehn bis 15 Kontaktpersonen erfasst. Lockdownbedingt reduzierte sich die Zahl der Personen, die nach einem positiven Test informiert werden müssen, inzwischen auf im Schnitt drei bis fünf – mit Abweichungen. Aber auch hier gebe es Hinweise auf die Verbreitung der Mutationen, so Schemeth: „Im Herbst waren ein bis zwei enge Kontaktpersonen (K1, Anm.) positiv. Jetzt sind es oft fünf von sechs.“ In Tirol beobachtete man in den vergangenen Wochen vereinzelt auch Ansteckungen von weiter entfernten Kontakten (K2), so Rizzoli.

Unterschiedliche Aufklärungsquoten

Wie viele Fälle aufgeklärt werden können, variiert von Bundesland zu Bundesland – auch die Definition dazu. In Oberösterreich beispielsweise geht Neustifter von einer Aufklärungsquote von „Richtung 80 Prozent“ aus. Die aktuellen Zahlen der Ampelkommission für die Kalenderwoche sechs weisen 61 Prozent aus. Neustifter begründet das mit der unterschiedlichen Definition geklärter Fälle: „Für die AGES ist ein Fall nicht geklärt, wenn etwa offen bleibt, von welchem Enkel sich die Großmutter angesteckt hat. Das gilt bei uns als geklärter Fall.“ Für die AGES muss Patient 0 geklärt sein.

Laut den von der Ampelkommission verwendeten AGES-Zahlen steht derzeit Wien an erster Stelle mit rund 70 Prozent aufgeklärter Fälle. In Tirol gebe es derzeit eine höhere Aufklärungsquote bei Mutationsfällen als bei der bisherigen Variante, so Rizzolli: „Der Vorteil ist, dass hier die Zusammenhänge noch leichter feststellbar sind.“

Kärnten und Steiermark klären Hälfte der Fälle

Schlusslicht bei der Aufklärungsquote von Fällen war bis zuletzt Kärnten. Vor einigen Wochen lag diese noch unter 40 Prozent, inzwischen arbeitete sich das Contact-Tracing im Bundesland auf 51 Prozent weiter. Die niedrigste Aufklärungsquote hat nun die Steiermark (50 Prozent). „Wir arbeiten daran“, so Kurath für Kärnten. Er führt die niedrige Aufklärungsquote einerseits auf die geringere Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung zurück und andererseits auf die Sorglosigkeit in Kärnten aufgrund noch vor einigen Monaten vergleichsweise geringerer Infiziertenzahlen.

Das hat sich inzwischen geändert. Kärnten führt im Bundesländervergleich bei der 7-Tage-Inzidenz (150,9, Stand: Freitag, 14.00 Uhr). Der Kärntner Bezirk Hermagor ist derzeit der Hotspot mit einer 7-Tage-Inzidenz von 526. Hier wurden die Vorkehrungen auch besonders verschärft – mehr dazu in kaernten.ORF.at. Enge Kontaktpersonen (K1) werden hier nun zweimal getestet, und auch weitere Kontaktpersonen (K2) müssen am fünften Tag nach Bekanntwerden der Infektion oder dem Auftreten von Symptomen bei der infizierten Person einen PCR-Test durchführen.

Mutation sorgt für Verschärfungen

Auch andere Bundesländer verschärften angesichts der Mutation überall die Nachverfolgung und Teststrategie bei Kontaktpersonen. Bei Mutationsverdacht werden Kontaktpersonen oft prioritär behandelt. Alle Bundesländer – auch die, die das vorübergehend aus Kapazitätsgründen unterbrochen haben – testen K1-Personen wieder. Bei Verdacht auf Mutationen werden diese auch zwei-, dreimal getestet, K2-Fälle einmal – etwa in Tirol, Salzburg und seit wenigen Tagen auch in der Steiermark. In Vorarlberg werden K1-Personen mit einem Antigen-Test überprüft, bei Mutationsverdacht mit PCR-Test.

Keine besonderen Änderungen in Bezug auf die Mutationen gibt es in Wien und Niederösterreich. Die Systematik bleibe gleich, es werde sofort nach Vorliegen des positiven Testergebnisses mit dem Contact-Tracing begonnen: „Wir waren immer restriktiver“, heißt es aus dem Büro von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ). K1-Personen seien hier immer getestet worden. Offenbar gibt es aber in manchen Fällen Ausnahmen. Fix ist in jedem Fall die zumindest zehntägige Quarantäne.

„Rechnen mit zunehmender Arbeit“

Besonders streng ist Tirol. Nach Vorgabe des Gesundheitsministeriums müssen alle Personen, die bis 48 Stunden vor Symptombeginn oder dem positiven Test Kontakt zum Infizierten hatten, kontaktiert werden. Tirol erweiterte diesen Zeitraum auf 96 Stunden. K1-Personen werden dreimal getestet.

Kontakte werden noch intensiver ermittelt, heißt es auch aus Oberösterreich. Derzeit sei das noch überschaubar, so Neustifter. Oberösterreich ist derzeit das einzige orange gefärbte Bundesland. „Aber wir rechnen mit zunehmender Arbeit.“