Pressekonferenz „1 Jahr Pandemie in Österreich“
APA/Helmut Fohringer
Ein Jahr Pandemie

CoV „wird Teil unseres Lebens bleiben“

Knapp ein Jahr nach den ersten bestätigten Coronavirus-Fällen in Österreich haben am Freitag Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Expertinnen und Experten Bilanz gezogen. Tenor: Das Virus habe „uns alle in den Wahnsinn getrieben“, werde aber „Teil unseres Lebens bleiben“ – man müsse „die Realität so nehmen, wie sie ist“. Anschober sprach von einem „Jahr, das wir nie vergessen werden“, und gab einen Ausblick. Politologinnen und Politologen orten unterdessen einen „Zickzackkurs“ der Regierung.

Für die nächsten Wochen bis Ostern erwarte er noch eine „wirkliche Risikophase“ mit „leicht steigenden Zahlen“, sagte Anschober. Nicht zuletzt die Virusvarianten übten „stärkeren Druck“ aus, hieß es bei der Pressekonferenz. In den vergangenen Tagen halte man unter anderem aber mit 250.000 Tests pro Tag dagegen. Noch nicht eingerechnet seien hier die Tests an den Schulen. Dass die Mutationen B.1.1.7 und B.1.351 ein Problem werden, sei vor dem Jahreswechsel klar geworden.

Erst kurz zuvor sei es gelungen, die hierzulande um den November aus dem Ruder gelaufenen Infektionszahlen mit erneuten Lockdowns auf ein „Plateau“ mit moderaten Neuansteckungen zu begrenzen. Die Mutationen hätten sich „massiv ausgedehnt“ und seien auf dem Weg zur „Dominanz“, sagte Anschober. Bei den Nachweisen sehe man weiter, dass der Osten stärker von der B.1.1.7-Variante betroffen ist und die B.1.351-Variante bekanntermaßen in Tirol kursiert.

Bevölkerung muss „sehr, sehr konsequent sein“

Auch angesichts dieser Entwicklungen beobachte man nun „leichte Steigerungen, die noch nicht dramatisch“ seien, sagte der Gesundheitsminister. Die Bevölkerung müsse jetzt trotzdem „sehr, sehr konsequent sein“. Dass das funktionieren kann, zeige sich darin, dass die Umstellung auf die Verwendung der FFP2-Masken „perfekt gelebt“ werde. Ein wenig sei an den weiter höheren Zahlen auch das zuletzt stark intensivierte Testen schuld. „Ein Teil des Anstieges ist erklärbar, weil genau hingesehen wird“, sagte Anschober.

Vor allem die größere Anzahl an geimpften Personen – diese Woche werde die Zahl von 500.000 Impfungen erreicht – „ist spielentscheidend“. Die Situation sollte sich um Ostern vor allem bei den Risikogruppen entspannen. Wie es danach weitergehe, werde in einer „klaren Strategie“ für den Umgang mit dem Virus festgelegt. Der Arbeitsprozess dazu sei im Laufen, so Anschober, der auch ankündigte, genauer auf Folgeerscheinungen wie negative psychosoziale Auswirkungen zu achten und Perspektiven für Jugendliche zu schaffen, die unter der Krise besonders leiden.

Aktuell bis zu 1,5 Millionen „temporär immun“

Laut den Modellen des Simulationsforschers Niki Popper von der Technischen Universität Wien haben inklusive Dunkelzifferfällen bereits rund 15 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine SARS-CoV-2-Infektion hinter sich. „Das sind aktuell 1,3 bis 1,5 Millionen Menschen, die zumindest temporär immun sind“, erläuterte Popper. In dieser Ausbreitung sei jedoch die Wirksamkeit der Immunisierung noch gering, dafür müssten 50, 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion überstanden haben.

„Es wird immer ein Balanceakt sein“

Günter Weiss, Direktor für Innere Medizin in Innsbruck, war via Video zugeschaltet. Er hatte vor rund einem Jahr die ersten CoV-Patienten stationär aufgenommen und „den Sprung von der Theorie in die Praxis“ gemacht. Man habe die „Tücken und Spektren der Krankheit kennengelernt“, so Weiss. Es sei keine Infektionskrankheit in so kurzer Zeit so intensiv erforscht worden, man habe aber noch immer „kein wirksames Medikament in der Hand“, so Weiss.

Pressekonferenz „1 Jahr Pandemie in Österreich“
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Weiss – zur Pressekonferenz zugeschaltet: „Tücken und Spektren der Krankheit kennengelernt“

Man müsse künftig jedenfalls mit dem Virus leben: „Corona ist leider Teil unseres Lebens geworden und wird Teil unseres Lebens bleiben, wir werden mit dem Virus und den ständigen Veränderungen leben müssen“, sagte Weiss. „Es wird immer ein Balanceakt sein – zwischen Maßnahmen, die eine Auswirkung einschränken, und Öffnungsschritten.“

CoV-Krise „ist ein wirklicher Brandbeschleuniger“

Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist auch für den ärztlichen Leiter des auf Suchtkrankheiten spezialisierten Anton-Proksch-Instituts, Michael Musalek, „die große Herausforderung“. Für ihn ist die Coronavirus-Krise auch eine „psychosoziale Krise“. Psychische Probleme würden sich ausbreiten „wie eine virale Erkrankung“. Vor allem Menschen, die schon vorher psychische Probleme hatten, seien nun verstärkt betroffen. „Die Covid-Krise ist ein wirklicher Brandbeschleuniger“, so der Psychiater und Psychotherapeut.

„Hat uns alle in den Wahnsinn getrieben“

In der Rückschau gebe es aber auch viele Lichtblicke, so die Expertinnen und Experten. Elisabeth Puchhammer-Stöckl, Virologin an der MedUni Wien, sagte, dass man vor einem Jahr noch gedacht habe, dass man die Pandemie eingrenzen könne – das habe aber nicht funktioniert. Das Virus habe „uns alle in den Wahnsinn getrieben“, so Puchhammer-Stöckl. Für sie sei faszinierend gewesen, dass es so einen raschen Wissenstransfer zum Thema bzw. zur Erforschung gegeben habe.

Die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl
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Puchhammer-Stöckl: „Unglaubliche Geschwindigkeit des Wissenstransfers“ im vergangenen Jahr

Sehr rasch sei ein PCR-Test entwickelt worden, den man dann auch gleich habe durchführen können, so Puchhammer-Stöckl. Selbst die Mutationen habe man sehr schnell nachweisen können. Nun sei die Forschung zu Medikamenten eine große Herausforderung. Aktuell sei wichtig herauszufinden, warum manche Menschen einen schweren Verlauf haben und welche Symptome bei Personen auftreten.

Bei der Pressekonferenz sprach auch die Leiterin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera, die als Betroffene über ihre und die Erkrankung ihres Mannes berichtete. CoV folge leider „keinem Muster“ und habe „das Leben von uns allen verändert“. Wie Impfungen die Situation verbessern können, zeige das „Vorbild Israel“, so Spera.

1. März als „Tag, an dem entschieden wird“

Der künftige Umgang mit dem Virus werde mit einer „sehr präzisen Bewertung“ der CoV-Lage definiert werden. Der 1. März sei „der Tag, an dem entschieden wird“, fügte Anschober nach den Beiträgen der Expertinnen und Experten noch hinzu. Öffnungsschritte vor diesem neuralgischen Datum halte er daher für unrealistisch. Der Minister verwies auf laufende Gespräche mit Kulturinstitutionen und der Gastronomie sowie auf einen „Sportgipfel“ in der kommenden Woche.

Er verstehe die Sehnsucht nach Normalität, nach Kultur und anderen Möglichkeiten eines normaleren Lebens. Bis Ostern befinde man sich aber voraussichtlich noch in einer „schwierigen Phase“. Für die erste März-Woche seien dann vorsichtige Öffnungen angedacht, denen er aber nicht vorgreifen wolle, sagte Anschober.

Politologen orten „Zickzackkurs“ der Regierung

Zugleich werden auch erste Bilanzen hinsichtlich der Regierungsarbeit im vergangenen Jahr gezogen – laut Politologinnen und Politologen fallen diese durchwachsen aus. Die Politologen Peter Filzmaier und Kathrin Stainer-Hämmerle sprechen von einem Zickzackkurs bei der Kommunikation: So habe Türkis-Grün anfangs sehr auf Angst gesetzt, im Sommer auf Laissez-faire, dann auf Eigenverantwortung und zuletzt auf eine Mischung, so Filzmaier, das schaffe Verunsicherung.

Der Politologe verwies auf die seit Beginn der Pandemie stetig abnehmende Zustimmung der Bevölkerung zur CoV-Politik der Regierung. Laut den regelmäßig durchgeführten Umfragen des „Austrian Corona Panel Project“ der Universität Wien waren im April 2020 noch jeweils rund drei Viertel der Befragten der Ansicht, die Maßnahmen der Regierung seien sowohl angemessen als auch effektiv.

„Jetzt – ein knappes Jahr später, im Februar 2021 – sagt nur noch ein Drittel, die Maßnahmen wären angemessen, und nur noch ein Fünftel sagt, es wären effektive Maßnahmen. Das ist ein klarer Negativbefund“, so Filzmaier. Er sagte auch, dass bei den Unzufriedenen sowohl jene dabei sind, denen die Maßnahmen zu wenig streng sind, als auch jene, denen sie zu weit gehen.

Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden konnten

Die Unzufriedenheit sei zwar zum Teil dem Verlauf und der Fortdauer der Pandemie geschuldet. Aber auch die Kommunikation der Regierung habe ihren Anteil, sind sich Filzmaier, Stainer-Hämmerle und Politberater Thomas Hofer einig. Neben den Richtungswechseln habe die Regierung durch ihre Kommunikation auch teils Hoffnungen geweckt, die nicht erfüllt werden konnten – etwa mit der bekannten Aussage von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vom August 2020, dass nun langsam „Licht am Ende des Tunnels“ sichtbar werde – und dem seitens Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bis in den Herbst hinein geäußerten Optimismus, Österreich werde nicht in eine zweite Welle „hineinkippen“.

„In der Pandemie funktioniert das nicht“

„Politische Kommunikation ist oft sehr kurz- und mittelfristig orientiert“, sagte Filzmaier dazu. Ein typisches Beispiel sei die Kommunikation in Wahlkämpfen. „Vieles – das wäre mein These –, was man in der Kurzfristigkeit erlernt hat, war auch jetzt der Stil.“ So würden etwa Anschobers oftmals wiederholte Worte, es würden nun die „entscheidenden Wochen“ bevorstehen, „wunderbar“ in Wahlkämpfe passen. „In der Pandemie funktioniert das nicht.“

Auch Hofer verwies darauf, dass zuerst im Frühjahr stark mit „Angstbildern“ gearbeitet wurde (etwa mit der Warnung von Kurz Ende März, es werde bald jeder jemanden kennen, der an Covid-19 verstorben ist). „Dann aber gab es fast einen Wettlauf ‚Was machen wir zuerst auf‘.“ Damit sei das Bild vermittelt worden, „man hätte es de facto überstanden“.

Besser Ziele als Zeiträume kommunizieren

Eine Alternative in der Kommunikation wäre es, bei den Lockdowns von der Angabe eines Enddatums auf die Epidemiezahlen umzuschwenken, sind sich Filzmaier und Stainer-Hämmerle einig. Denn die Zeitprognosen halten nicht, verwies Filzmaier etwa auf das für den letzten Lockdown ausgerufene Ziel, innerhalb einer bestimmten Zeit eine 7-Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner zu erreichen. Es sei nie gut, Zeiträume anstatt Ziele zu kommunizieren, ergänzte Stainer-Hämmerle angesichts des klaren Scheiterns.

Einen Wandel orten Filzmaier, Hofer und auch Stainer-Hämmerle im jüngsten Vorgehen der Regierung, auch Experten vor den Vorhang zu holen. Die Einbindung der Opposition und der Länder (auch bei den Pressekonferenzen) sei ebenfalls ein richtiger, wenn auch später Schritt gewesen, sagte Hofer.