Russlands Oppositionsführer Alexej Nawalny
AP/Alexander Zemlianichenko
Russland

Straflager für Nawalny bestätigt

Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny muss eine mehrjährige Haftstrafe im Straflager antreten. Seine Anwältinnen und Anwälte scheiterten am Samstag vor einem Gericht in Moskau mit dem Versuch, ein zu Monatsbeginn verhängtes Urteil aufzuheben. Die Länge der Haftstrafe wurde vom Gericht leicht reduziert, auch einige Wochen Hausarrest werden Nawalny angerechnet. Stunden später folgte eine zweite Verurteilung in einem anderen Verfahren.

Von den ursprünglich dreieinhalb Jahren Straflager muss Nawalny laut Anwälten vermutlich rund zweieinhalb Jahre absitzen. Die Richter hatten dem 44-Jährigen vorgeworfen, gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen zu haben, während er sich in Deutschland von einem lebensgefährlichen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok erholte.

Nawalny, prominentester Kritiker von Präsident Wladimir Putin, bezeichnete den Vorwurf, er habe sich vor der Justiz verstecken wollen, am Samstag einmal mehr als „absurd“. Er sei Ende Jänner freiwillig nach Russland zurückgekehrt. „Die ganze Welt wusste, wo ich mich aufhalte.“

„Ich spreche so oft das letzte Wort“

Zum Urteil vermerkte Nawalny im Gerichtssaal: „Ich spreche so oft das letzte Wort. Jetzt geht dieser Prozess zu Ende – und es kommt der nächste. Und dort werde ich auch das letzte Wort haben. Falls sich jemand entschließen sollte, meine letzten Worte zu veröffentlichen, wird ein dickes Buch dabei herauskommen.“ Sarkastisch reagierte er auf die geringfügige Herabsetzung der Haftdauer: „Sie haben die Strafe um 1,5 Monate reduziert. Großartig!“, sagte er aus einem Glaskäfig im Gerichtssaal.

Russlands Oppositionsführer Alexej Nawalny vor Gericht
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Nawalny musste bei der Verhandlung in einem Glaskäfig im Gerichtssaal bleiben

Derzeit sitzt der 44-Jährige in einer Haftanstalt in der russischen Hauptstadt. Möglicherweise wird er aber bereits nächste Woche verlegt. Die tatsächliche Zeit im Straflager steht noch nicht ganz genau fest. Nawalnys Anwältinnen und Anwälte gehen davon aus, dass ihm ein mehrmonatiger Hausarrest und frühere Haftzeiten angerechnet werden. So könnte er nach zwei Jahren, sechs Monaten und zwei Wochen freikommen – Ende Juli oder Anfang August 2023.

Auch international hatte das Urteil für heftige Kritik gesorgt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte Russland erst am Mittwoch auf, Nawalny unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Das Urteil in diesem früheren Verfahren hatte das Menschenrechtsgericht 2017 als offenkundig unangemessen bezeichnet. Moskau wies die Forderung als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück.

Verurteilung wegen Beleidigung

Nur Stunden nach der Bestätigung des umstrittenen Straflagerurteils wurde Nawalny zudem zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Weil er einen Veteranen des Zweiten Weltkriegs beleidigt haben soll, verhängte das Moskauer Gericht am Samstag eine Geldbuße in Höhe von 850.000 Rubel (rund 9.400 Euro) gegen den Oppositionspolitiker. Das ist in etwa das Doppelte eines durchschnittlichen Jahresgehalts in Russland.

Russland: Berlin verweigert Zusammenarbeit

Russland warf unterdessen Deutschland erneut mangelnde Zusammenarbeit in der Causa der Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok vor. Die deutsche Antwort auf eine russische Anfrage vom 21. Jänner enthalte „eine wiederholte Weigerung zur Zusammenarbeit bezüglich der Umstände, die zu A. Nawalnys Krankenhausaufenthalt geführt haben“, hieß es am Samstag in einer Mitteilung der russischen Generalstaatsanwaltschaft. Es sei offensichtlich, dass die deutsche Seite „für sie unangenehmen Fragen“ ausweiche. Nawalny war nach Berlin ausgeflogen worden und dort wochenlang intensivmedizinisch betreut worden, nachdem er wegen einer Vergiftung in Lebensgefahr schwebte.

Moskau hatte Deutschland schon früher vorgeworfen, Rechtshilfegesuche völlig unzureichend beantwortet zu haben. Das Bundesamt für Justiz hingegen erklärte, inzwischen bereits vier russische Rechtshilfegesuche zum Giftanschlag auf Nawalny beantwortet zu haben.

Amnesty will Kreml Petition überreichen

Der Oppositionspolitiker könnte schon in der kommenden Woche in ein Straflager überstellt werden, meldete die Staatsagentur Ria Nowosti. Ein genauer Tag wurde zunächst nicht genannt. Unterdessen will die Menschenrechtsorganisation Amnesty International eine Petition zur Freilassung Nawalnys an den Kreml überreichen. Dazu seien in mehreren Ländern der Welt fast 200.000 Unterschriften gesammelt worden, hieß es. Nawalny werde wegen friedlicher politischer Aktivitäten im Kampf gegen Korruption verfolgt und weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung durchsetze.

Weiterer Prozess steht an

Am Samstag findet auch noch ein weiterer Prozess gegen Nawalny statt – er muss sich damit an einem einzigen Tag zweimal vor Gericht verantworten. Im zweiten Verfahren wird ihm vorgeworfen, einen 94 Jahre alten Teilnehmer des Zweiten Weltkrieges beleidigt zu haben. Die Verhandlung findet im selben Gerichtsgebäude statt wie das Berufungsverfahren am Vormittag. Sogar die Staatsanwältin sei dieselbe, schrieb Nawalnys Team – halb amüsiert, halb entrüstet – auf Twitter. „Bald teilen sie ihm einen persönlichen Richter und persönliche Polizisten zu.“ Die Staatsanwaltschaft forderte eine hohe Geldstrafe, Nawalnys Anwältin plädierte dagegen auf Freispruch.

Nawalny hatte im vergangenen Jahr Protagonisten eines Propagandavideos zur umstrittenen Verfassungsänderung als „Verräter“ bezeichnet. Darin war auch der Veteran aufgetreten. Nawalny beruft sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Nawalnys Inhaftierung vor fast einem Monat hatte in Russland Massenproteste ausgelöst. Mehr als 11.000 Menschen wurden festgenommen. Nawalnys Team kündigte zuletzt an, die Proteste im Frühjahr und Sommer fortsetzen zu wollen.

Der Oppositionsführer war am 20. August während eines Inlandsflugs zusammengebrochen. Er kam zunächst in ein Krankenhaus in Sibirien. Zwei Tage später wurde er zur Behandlung nach Berlin geflogen. Untersuchungen mehrerer Labors zufolge wurde er mit einem Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet. Russland hingegen sieht keine Hinweise auf eine Vergiftung und deshalb keinen Grund für Ermittlungen.