Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja
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Tichanowskaja

Proteste in Weißrussland vorerst gescheitert

Trotz monatelanger Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko hat sich in Weißrusslands Politik nichts bewegt. Nun musste auch Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja einräumen, dass man mit dem Protest auf den Straßen gescheitert ist. Sie hofft auf neuen Schwung im Frühjahr.

Die Proteste seit August waren hartnäckig und kräftezehrend. Jede Woche aufs Neue zogen die Gegner Lukaschenkos auf die Straßen Weißrusslands, seither wurden mehr als 30.000 Menschen festgenommen, Hunderte verletzt und mehrere getötet. Politische Konsequenzen gab es aber nicht. „Ich muss zugeben, wir haben die Straße verloren“, sagte Tichanowskaja nun in einem Interview mit der Schweizer Zeitung „Le Temps“.

„Wir haben nicht die Mittel, um der Gewalt des Regimes gegen die Demonstranten etwas entgegenzusetzen.“ Die Regierung habe Waffen und Macht. „Ja, es sieht im Moment so aus, als hätten wir verloren“, sagte sie.

Die Opposition sei dabei, Strukturen für die nächsten Kämpfe aufzubauen, so Tichanowskaja. „Unsere Strategie ist es, uns besser zu organisieren, das Regime unter ständigen Druck zu setzen, bis die Menschen wieder bereit sind, auf die Straße zu gehen, vielleicht im Frühjahr.“ Die Rückkehr zur Demokratie brauche mehr Zeit als angenommen. „Le Temps“ sprach mit Tichanowskaja in ihrem Exil in Litauen. Tichanowskaja will im März in die Schweiz reisen, wo der UNO-Menschenrechtsrat tagt, der sich auch mit der Situation in der Ex-Sowjetrepublik befassen will.

Warnung vor Aufspaltung

Sie überlege jeden Tag, ob sie nach Weißrussland zurückkehren solle, sagte Tichanowskaja. Manchmal sei sie der Verzweiflung nahe. „Aber man wird sich dann schnell klar, das kann man nicht machen, wenn man ein Symbol ist, eine nationale Anführerin, dann kann man nicht einfach aufgeben.“ Sie freue sich über neue Oppositionsinitiativen. Zugleich warnte sie vor einer Aufspaltung. „Das würde die Opposition zerstören“, so Tichanowskaja.

Die beiden TV-Reporterinnen Katerina Bachwalowa und Daria Tschulzowa
APA/AFP/Stringer
Die Verurteilung von Daria Tschulzowa (links) und Katerina Bachwalowa löste Empörung aus. Sie hatten Proteste gefilmt

Die große Protestwelle begann vor einem halben Jahr, als sich der als letzter Diktator Europas geltende Lukaschenko von der Wahlkommission für eine sechste Amtszeit bestätigen ließ – nach 26 Jahren an der Macht. Die Demokratiebewegung des Landes sieht hingegen Tichanowskaja als Gewinnerin. Sie war anstelle ihres inhaftierten Mannes angetreten.

Empörung über Urteile gegen Journalistinnen

Der Protest kühlte ab, in den vergangenen Wochen gab es nur noch vereinzelt Aktionen. Am Wochenende gab es etwa neue kleinere Proteste nach der jüngsten Verurteilung zweier Journalistinnen. Die beiden TV-Reporterinnen Katerina Bachwalowa und Daria Tschulzowa waren wegen Berichten über die Proteste zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Journalistinnen sind bereits seit November in Haft, nachdem sie eine Kundgebung in Minsk gefilmt hatten.

Zur Begründung für die Haftstrafen erklärte das Gericht am Donnerstag, die beiden Frauen hätten mit ihrer Berichterstattung „Menschen zur Beteiligung an einer Massenveranstaltung angestiftet“ und „Gruppenaktionen, die in grobem Maße gegen die öffentliche Ordnung verstoßen“ organisiert. Das Urteil rief international scharfe Kritik hervor. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte das Urteil scharf und rief die Regierung in Minsk auf, Journalisten nicht länger als „Feinde“ zu behandeln. Die US-Botschaft in Minsk sprach von „absurden“ Vorwürfen gegen die beiden Frauen. Auch die EU reagierte empört: Der Fall sei ein weiteres Beispiel für die „beschämende Unterdrückung der Medien“ in Weißrussland, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.

Treffen mit Putin

Die EU erkennt Lukaschenko nicht mehr als Präsidenten an. Russland hält dagegen noch zu dem Staatschef, drängte ihn aber immer wieder zu einer Verfassungsreform. Am Montag trifft Lukaschenko in Sotschi den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dabei soll es um die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Ländern gehen, insbesondere um Wirtschafts- und Energiefragen. Die Wirtschaft Weißrusslands ist stark abhängig von Russland, das etwa Öl und Gas liefert.

Beide Länder hatten erst am Freitag ein Abkommen unterzeichnet, nach dem Weißrussland seine Exporte von Ölprodukten nun über russische Häfen in der Ostsee abwickeln wird. Dieser Schritt gilt als Reaktion auf die von den benachbarten Baltenstaaten verhängten Sanktionen gegen Minsk. Moskau sieht seinen Nachbarn und Verbündeten als strategisch wichtige Pufferzone zur NATO. Beim letzten Treffen der beiden Staatschefs im September hatte Putin dem finanziell angeschlagenen Nachbarland einen Milliardenkredit zugesichert.